Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Sechstes Kapitel. §. 75. Allein dass Johannes aus dem in der Rede Jesu dem Sinnenach nicht hervortretenden, und durch die Anschauung des in die Mitte gestellten Kindes noch besonders in den Hintergrund gedrängten Beisaz: epi to onomati mou im Au- genblick den allgemeinen Gedanken sollte herausgezogen haben: also ist das im Namen Jesu bei allem Thun die Hauptsache, und ebenso schnell auf den ganz entfernt liegenden Fall reflektirt: mit dieser Regel steht unser Ver- fahren gegen jenen Exorcisten im Widerspruch, das sezt Schleiermacher'sche Denkfertigkeit voraus, nicht eine Schwäche, wie sie den Jüngern damals noch eigen war. Dennoch hat Schleiermacher unfehlbar das Rechte getrof- fen, wenn er in dem Ausdruck epi to onomati mou das Band zwischen der vorhergehenden Rede Jesu und dieser apo- krisis des Johannes erkannt hat, nur dass dieses Band kein inneres und ursprüngliches ist, sondern ein äusseres und secundäres. Denn wenn es zwar für die zuhörenden Jünger viel zu ferne lag, bei jenem Worte Jesu sich durch innere Gedankenvermittlung sogleich jenes Falls aus ihrer Praxis zu erinnern: so lag dem nach Reminiscenzen aus der evangelischen Tradition schreibenden Referenten im dritten Evangelium, aus welchem der im zweiten hier geschöpft zu haben scheint, nach unsern bisherigen Beob- achtungen nichts näher, als durch das Schlagwort epi to onomati mou in der ebengemeldeten Rede Jesu an eine Anek- dote mit demselben Schlagworte erinnert zu werden, und sie auf diese äusserliche Ähnlichkeit hin frischweg anzuknüpfen. Nachdem hierauf Matthäus (V. 6 f.) an die Empfeh- 2) Fritzsche in Matth. p. 391.
Sechstes Kapitel. §. 75. Allein daſs Johannes aus dem in der Rede Jesu dem Sinnenach nicht hervortretenden, und durch die Anschauung des in die Mitte gestellten Kindes noch besonders in den Hintergrund gedrängten Beisaz: ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου im Au- genblick den allgemeinen Gedanken sollte herausgezogen haben: also ist das im Namen Jesu bei allem Thun die Hauptsache, und ebenso schnell auf den ganz entfernt liegenden Fall reflektirt: mit dieser Regel steht unser Ver- fahren gegen jenen Exorcisten im Widerspruch, das sezt Schleiermacher'sche Denkfertigkeit voraus, nicht eine Schwäche, wie sie den Jüngern damals noch eigen war. Dennoch hat Schleiermacher unfehlbar das Rechte getrof- fen, wenn er in dem Ausdruck ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου das Band zwischen der vorhergehenden Rede Jesu und dieser ἀπό- κρισις des Johannes erkannt hat, nur daſs dieses Band kein inneres und ursprüngliches ist, sondern ein äusseres und secundäres. Denn wenn es zwar für die zuhörenden Jünger viel zu ferne lag, bei jenem Worte Jesu sich durch innere Gedankenvermittlung sogleich jenes Falls aus ihrer Praxis zu erinnern: so lag dem nach Reminiscenzen aus der evangelischen Tradition schreibenden Referenten im dritten Evangelium, aus welchem der im zweiten hier geschöpft zu haben scheint, nach unsern bisherigen Beob- achtungen nichts näher, als durch das Schlagwort ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου in der ebengemeldeten Rede Jesu an eine Anek- dote mit demselben Schlagworte erinnert zu werden, und sie auf diese äusserliche Ähnlichkeit hin frischweg anzuknüpfen. Nachdem hierauf Matthäus (V. 6 f.) an die Empfeh- 2) Fritzsche in Matth. p. 391.
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Sechstes Kapitel. §. 75.
Allein daſs Johannes aus dem in der Rede Jesu dem Sinne
nach nicht hervortretenden, und durch die Anschauung
des in die Mitte gestellten Kindes noch besonders in den
Hintergrund gedrängten Beisaz: ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου im Au-
genblick den allgemeinen Gedanken sollte herausgezogen
haben: also ist das im Namen Jesu bei allem Thun die
Hauptsache, und ebenso schnell auf den ganz entfernt
liegenden Fall reflektirt: mit dieser Regel steht unser Ver-
fahren gegen jenen Exorcisten im Widerspruch, das sezt
Schleiermacher'sche Denkfertigkeit voraus, nicht eine
Schwäche, wie sie den Jüngern damals noch eigen war.
Dennoch hat Schleiermacher unfehlbar das Rechte getrof-
fen, wenn er in dem Ausdruck ἐπὶ τῷ ὀνόματί μου das Band
zwischen der vorhergehenden Rede Jesu und dieser ἀπό-
κρισις des Johannes erkannt hat, nur daſs dieses Band
kein inneres und ursprüngliches ist, sondern ein äusseres
und secundäres. Denn wenn es zwar für die zuhörenden
Jünger viel zu ferne lag, bei jenem Worte Jesu sich
durch innere Gedankenvermittlung sogleich jenes Falls aus
ihrer Praxis zu erinnern: so lag dem nach Reminiscenzen
aus der evangelischen Tradition schreibenden Referenten
im dritten Evangelium, aus welchem der im zweiten hier
geschöpft zu haben scheint, nach unsern bisherigen Beob-
achtungen nichts näher, als durch das Schlagwort ἐπὶ τῷ
ὀνόματί μου in der ebengemeldeten Rede Jesu an eine Anek-
dote mit demselben Schlagworte erinnert zu werden, und sie
auf diese äusserliche Ähnlichkeit hin frischweg anzuknüpfen.
Nachdem hierauf Matthäus (V. 6 f.) an die Empfeh-
lung der Aufnahme solcher Kinder die Warnung vor dem
σκανδαλίζειν τῶν μικρῶν τούτων, was aber nach dem jüdi-
schen und N. T.lichen Sprachgebrauch die Jünger und
Anhänger Jesu sind 2), angeschlossen hat, und auch Mar-
kus, unerachtet der beschriebenen Unterbrechung, doch
2) Fritzsche in Matth. p. 391.
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