Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. so sehr, worin dann Paulus Recht behält, dass er ursprüng-lich nicht auf den Messias, sondern auf einen jüdischen Regenten, sei dieser nun David oder ein anderer, gieng: so sehen wir hier im Munde Jesu ein Muster nicht textge- mässer, wohl aber zeitgemässer Schriftauslegung, was wir uns denn nach dem oben Bemerkten nur gar nicht wollen wundern lassen. Den Schlüssel zu dem Räthsel, welches er den Pharisäern aufgab, hat Jesus nach des Referenten Ansicht ohne Zweifel in der Lehre von der höheren Natur des Messias besessen; da die Pharisäer nach unsrer Erzählung diese Auskunft nicht fanden, so scheint ihnen jene Lehre nicht geläufig gewesen zu sein. Die Absicht Jesu bei Vor- legung dieser Frage war, den Pharisäern zu zeigen, dass auch er, was sie früher gegen ihn versucht hatten, im Stan- de sei, sie durch verfängliche Fragen in die Enge zu trei- ben, und zwar mit besserem Erfolg als sie. Desswegen stellen die Evangelisten dieses Stück an den Schluss der von ihnen mitgetheilten Disputationen, und Matthäus sezt die Schlussformel: oude etolmese tis ap' [e]keines tes emeras eperotesai auton ouketi gewiss passender hieher als Lukas nach der Zurechtweisung der Sadducäer (20, 40.), oder Markus nach der Verhandlung über das grösste Gebot (12, 34.). Zunächst vor dieser von Jesu den Pharisäern gestellten Zweiter Abschnitt. so sehr, worin dann Paulus Recht behält, daſs er ursprüng-lich nicht auf den Messias, sondern auf einen jüdischen Regenten, sei dieser nun David oder ein anderer, gieng: so sehen wir hier im Munde Jesu ein Muster nicht textge- mäſser, wohl aber zeitgemäſser Schriftauslegung, was wir uns denn nach dem oben Bemerkten nur gar nicht wollen wundern lassen. Den Schlüssel zu dem Räthsel, welches er den Pharisäern aufgab, hat Jesus nach des Referenten Ansicht ohne Zweifel in der Lehre von der höheren Natur des Messias besessen; da die Pharisäer nach unsrer Erzählung diese Auskunft nicht fanden, so scheint ihnen jene Lehre nicht geläufig gewesen zu sein. Die Absicht Jesu bei Vor- legung dieser Frage war, den Pharisäern zu zeigen, daſs auch er, was sie früher gegen ihn versucht hatten, im Stan- de sei, sie durch verfängliche Fragen in die Enge zu trei- ben, und zwar mit besserem Erfolg als sie. Deſswegen stellen die Evangelisten dieses Stück an den Schluſs der von ihnen mitgetheilten Disputationen, und Matthäus sezt die Schluſsformel: οὐδὲ ἐτόλμησέ τις ἀπ' [έ]κείνης τῆς ἡμέρας ἐπερωτῆσαι αὐτὸν οὐκέτι gewiſs passender hieher als Lukas nach der Zurechtweisung der Sadducäer (20, 40.), oder Markus nach der Verhandlung über das gröſste Gebot (12, 34.). Zunächst vor dieser von Jesu den Pharisäern gestellten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0646" n="622"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> so sehr, worin dann <hi rendition="#k">Paulus</hi> Recht behält, daſs er ursprüng-<lb/> lich nicht auf den Messias, sondern auf einen jüdischen<lb/> Regenten, sei dieser nun David oder ein anderer, gieng: so<lb/> sehen wir hier im Munde Jesu ein Muster nicht textge-<lb/> mäſser, wohl aber zeitgemäſser Schriftauslegung, was wir<lb/> uns denn nach dem oben Bemerkten nur gar nicht wollen<lb/> wundern lassen. 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So befreundet aber waren diese beiden<lb/> Sekten bekanntlich nicht, sondern umgekehrt war nach<lb/> A. G. 23, 7. die eine geneigt, sich auf die Seite eines sonst<lb/> Angefeindeten zu schlagen, wenn sich dieser als Gegner<lb/> der andern zu stellen wuſste. Sondern hier muſs <hi rendition="#k">Schnek-</hi><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [622/0646]
Zweiter Abschnitt.
so sehr, worin dann Paulus Recht behält, daſs er ursprüng-
lich nicht auf den Messias, sondern auf einen jüdischen
Regenten, sei dieser nun David oder ein anderer, gieng: so
sehen wir hier im Munde Jesu ein Muster nicht textge-
mäſser, wohl aber zeitgemäſser Schriftauslegung, was wir
uns denn nach dem oben Bemerkten nur gar nicht wollen
wundern lassen. Den Schlüssel zu dem Räthsel, welches
er den Pharisäern aufgab, hat Jesus nach des Referenten
Ansicht ohne Zweifel in der Lehre von der höheren Natur des
Messias besessen; da die Pharisäer nach unsrer Erzählung
diese Auskunft nicht fanden, so scheint ihnen jene Lehre
nicht geläufig gewesen zu sein. Die Absicht Jesu bei Vor-
legung dieser Frage war, den Pharisäern zu zeigen, daſs
auch er, was sie früher gegen ihn versucht hatten, im Stan-
de sei, sie durch verfängliche Fragen in die Enge zu trei-
ben, und zwar mit besserem Erfolg als sie. Deſswegen
stellen die Evangelisten dieses Stück an den Schluſs der
von ihnen mitgetheilten Disputationen, und Matthäus sezt
die Schluſsformel: οὐδὲ ἐτόλμησέ τις ἀπ' έκείνης τῆς ἡμέρας
ἐπερωτῆσαι αὐτὸν οὐκέτι gewiſs passender hieher als Lukas
nach der Zurechtweisung der Sadducäer (20, 40.), oder
Markus nach der Verhandlung über das gröſste Gebot
(12, 34.).
Zunächst vor dieser von Jesu den Pharisäern gestellten
Aufgabe nämlich erzählen die beiden ersten Evangelisten
eine Verhandlung Jesu mit einem νομικὸς oder γραμματεὺς
über das vornehmste Gebot (Matth. 22, 34 ff. Marc. 12, 28 ff.),
welche Matthäus an die Disputation mit den Sadducäern
so anknüpft, als hätten die Pharisäer durch ihre Frage
nach dem höchsten Gebot die Niederlage der Sadducäer
rächen wollen. So befreundet aber waren diese beiden
Sekten bekanntlich nicht, sondern umgekehrt war nach
A. G. 23, 7. die eine geneigt, sich auf die Seite eines sonst
Angefeindeten zu schlagen, wenn sich dieser als Gegner
der andern zu stellen wuſste. Sondern hier muſs Schnek-
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