Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. Jesu behauptete Nothwendigkeit der Wiedergeburt auchfür Israeliten bezieht, in welchem Falle aber Nikodemus eben nach der Nothwendigkeit, nicht nach der Möglich- keit fragen, und statt pos dunatai k. t. l. pos dei k. t. l. setzen musste. Bleibt somit der unbegreifliche Missver- stand eines jüdischen Lehrers: so muss unsre Befremdung über denselben zum bestimmtesten Verdachte werden, so- bald sich ein Interesse der Sage oder des Evangelisten zeigt, den Mann, der sich hier mit Jesu unterhält, ein- fältiger zu schildern, als er wirklich war. Hier muss uns zuerst das allgemeine Interesse einfallen, welches jede Darstellung für Contraste hat, wodurch sie leicht dazu kommt, wenn in einer darzustellenden Unterredung Ei- ner der Belehrende, der Andre der Belehrte ist, diesen im Gegensaz zu der Weisheit von jenem in's Einfältige zu malen; ferner müssen wir uns erinnern, welche Befriedi- gung es für ein christliches Gemüth jener Zeit sein musste, einen didaskalos tou Israel im Verhältniss zu dem Leh- rer der Christen als einen Thoren bestehen zu lassen; endlich gehört es, wie wir bald näher sehen werden, zur stehenden Manier des vierten Evangeliums, in den Unter- redungen Jesu die Verwickelung und den Fortschritt da- durch herbeizuführen, dass die von Jesu geistig gemein- ten Bilderreden von den Mitsprechenden fleischlich ver- standen werden. Wenn in Erwiederung auf die zweite Frage des Ni- 11) [Spaltenumbruch]
3, 11: o eorakamen, mar-
turoumen; kai ten martu- rian emon ou lambanete. 13: kai oudeis anabebeken eis ton ouranon, ei me o ek tou ouranou katabas, o uios tou anthropou, o on en to ourano. [Spaltenumbruch] 1, 18: theon oudeis eorake po- pote; o monogenes uios, o on eis ton kolpon tou patros, ekei- nos exegesato. 11: -- kai oi idioi auton ou parelabon. Zweiter Abschnitt. Jesu behauptete Nothwendigkeit der Wiedergeburt auchfür Israëliten bezieht, in welchem Falle aber Nikodemus eben nach der Nothwendigkeit, nicht nach der Möglich- keit fragen, und statt πῶς δύναται κ. τ. λ. πῶς δεῖ κ. τ. λ. setzen muſste. Bleibt somit der unbegreifliche Miſsver- stand eines jüdischen Lehrers: so muſs unsre Befremdung über denselben zum bestimmtesten Verdachte werden, so- bald sich ein Interesse der Sage oder des Evangelisten zeigt, den Mann, der sich hier mit Jesu unterhält, ein- fältiger zu schildern, als er wirklich war. Hier muſs uns zuerst das allgemeine Interesse einfallen, welches jede Darstellung für Contraste hat, wodurch sie leicht dazu kommt, wenn in einer darzustellenden Unterredung Ei- ner der Belehrende, der Andre der Belehrte ist, diesen im Gegensaz zu der Weisheit von jenem in's Einfältige zu malen; ferner müssen wir uns erinnern, welche Befriedi- gung es für ein christliches Gemüth jener Zeit sein muſste, einen διδάσκαλος τοῦ Ἰσραὴλ im Verhältniſs zu dem Leh- rer der Christen als einen Thoren bestehen zu lassen; endlich gehört es, wie wir bald näher sehen werden, zur stehenden Manier des vierten Evangeliums, in den Unter- redungen Jesu die Verwickelung und den Fortschritt da- durch herbeizuführen, daſs die von Jesu geistig gemein- ten Bilderreden von den Mitsprechenden fleischlich ver- standen werden. Wenn in Erwiederung auf die zweite Frage des Ni- 11) [Spaltenumbruch]
3, 11: ὃ ἑωράκαμεν, μαρ-
τυροῦμεν· καὶ τὴν μαρτυ- ρίαν ἡμῶν οὐ λαμβάνετε. 13: καὶ οὐδεὶς ἀναβέβηκεν εἰς τὸν οὐρανὸν, εἰ μὴ ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβὰς, ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου, ὁ ὢν ἐν τῷ οὐρανῷ. [Spaltenumbruch] 1, 18: ϑεὸν οὐδεὶς ἑώρακε πώ- ποτε· ὁ μονογενὴς υἱὸς, ὁ ὢν εἰς τὸν κόλπον τοῦ πατρὸς, ἐκεῖ- νος ἐξηγήσατο. 11: — καὶ οἱ ἴδιοι αὐτὸν οὐ παρέλαβον. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0662" n="638"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zweiter Abschnitt</hi>.</fw><lb/> Jesu behauptete Nothwendigkeit der Wiedergeburt auch<lb/> für Israëliten bezieht, in welchem Falle aber Nikodemus<lb/> eben nach der Nothwendigkeit, nicht nach der Möglich-<lb/> keit fragen, und statt <foreign xml:lang="ell">πῶς δύναται κ. τ. λ. πῶς δεῖ κ. τ. λ.</foreign><lb/> setzen muſste. Bleibt somit der unbegreifliche Miſsver-<lb/> stand eines jüdischen Lehrers: so muſs unsre Befremdung<lb/> über denselben zum bestimmtesten Verdachte werden, so-<lb/> bald sich ein Interesse der Sage oder des Evangelisten<lb/> zeigt, den Mann, der sich hier mit Jesu unterhält, ein-<lb/> fältiger zu schildern, als er wirklich war. Hier muſs uns<lb/> zuerst das allgemeine Interesse einfallen, welches jede<lb/> Darstellung für Contraste hat, wodurch sie leicht dazu<lb/> kommt, wenn in einer darzustellenden Unterredung Ei-<lb/> ner der Belehrende, der Andre der Belehrte ist, diesen<lb/> im Gegensaz zu der Weisheit von jenem in's Einfältige zu<lb/> malen; ferner müssen wir uns erinnern, welche Befriedi-<lb/> gung es für ein christliches Gemüth jener Zeit sein muſste,<lb/> einen <foreign xml:lang="ell">διδάσκαλος τοῦ Ἰσραὴλ</foreign> im Verhältniſs zu dem Leh-<lb/> rer der Christen als einen Thoren bestehen zu lassen;<lb/> endlich gehört es, wie wir bald näher sehen werden, zur<lb/> stehenden Manier des vierten Evangeliums, in den Unter-<lb/> redungen Jesu die Verwickelung und den Fortschritt da-<lb/> durch herbeizuführen, daſs die von Jesu geistig gemein-<lb/> ten Bilderreden von den Mitsprechenden fleischlich ver-<lb/> standen werden.</p><lb/> <p>Wenn in Erwiederung auf die zweite Frage des Ni-<lb/> kodemus Jesus fast ganz die Sprache des johanneischen<lb/> Prologs redet (V. 11—13) <note place="foot" n="11)"><lb/><cb/> 3, 11: <foreign xml:lang="ell">ὃ ἑωράκαμεν, μαρ-<lb/> τυροῦμεν· καὶ τὴν μαρτυ-<lb/> ρίαν ἡμῶν οὐ λαμβάνετε.<lb/> 13: καὶ οὐδεὶς ἀναβέβηκεν<lb/> εἰς τὸν οὐρανὸν, εἰ μὴ ὁ<lb/> ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβὰς, ὁ<lb/> υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου, ὁ ὢν<lb/> ἐν τῷ οὐρανῷ.<lb/><cb/> 1, 18: ϑεὸν οὐδεὶς ἑώρακε πώ-<lb/> ποτε· ὁ μονογενὴς υἱὸς, ὁ ὢν<lb/> εἰς τὸν κόλπον τοῦ πατρὸς, ἐκεῖ-<lb/> νος ἐξηγήσατο.<lb/> 11: — καὶ οἱ ἴδιοι αὐτὸν οὐ<lb/> παρέλαβον.</foreign></note>, und hieraus die Frage<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [638/0662]
Zweiter Abschnitt.
Jesu behauptete Nothwendigkeit der Wiedergeburt auch
für Israëliten bezieht, in welchem Falle aber Nikodemus
eben nach der Nothwendigkeit, nicht nach der Möglich-
keit fragen, und statt πῶς δύναται κ. τ. λ. πῶς δεῖ κ. τ. λ.
setzen muſste. Bleibt somit der unbegreifliche Miſsver-
stand eines jüdischen Lehrers: so muſs unsre Befremdung
über denselben zum bestimmtesten Verdachte werden, so-
bald sich ein Interesse der Sage oder des Evangelisten
zeigt, den Mann, der sich hier mit Jesu unterhält, ein-
fältiger zu schildern, als er wirklich war. Hier muſs uns
zuerst das allgemeine Interesse einfallen, welches jede
Darstellung für Contraste hat, wodurch sie leicht dazu
kommt, wenn in einer darzustellenden Unterredung Ei-
ner der Belehrende, der Andre der Belehrte ist, diesen
im Gegensaz zu der Weisheit von jenem in's Einfältige zu
malen; ferner müssen wir uns erinnern, welche Befriedi-
gung es für ein christliches Gemüth jener Zeit sein muſste,
einen διδάσκαλος τοῦ Ἰσραὴλ im Verhältniſs zu dem Leh-
rer der Christen als einen Thoren bestehen zu lassen;
endlich gehört es, wie wir bald näher sehen werden, zur
stehenden Manier des vierten Evangeliums, in den Unter-
redungen Jesu die Verwickelung und den Fortschritt da-
durch herbeizuführen, daſs die von Jesu geistig gemein-
ten Bilderreden von den Mitsprechenden fleischlich ver-
standen werden.
Wenn in Erwiederung auf die zweite Frage des Ni-
kodemus Jesus fast ganz die Sprache des johanneischen
Prologs redet (V. 11—13) 11), und hieraus die Frage
11)
3, 11: ὃ ἑωράκαμεν, μαρ-
τυροῦμεν· καὶ τὴν μαρτυ-
ρίαν ἡμῶν οὐ λαμβάνετε.
13: καὶ οὐδεὶς ἀναβέβηκεν
εἰς τὸν οὐρανὸν, εἰ μὴ ὁ
ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβὰς, ὁ
υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου, ὁ ὢν
ἐν τῷ οὐρανῷ.
1, 18: ϑεὸν οὐδεὶς ἑώρακε πώ-
ποτε· ὁ μονογενὴς υἱὸς, ὁ ὢν
εἰς τὸν κόλπον τοῦ πατρὸς, ἐκεῖ-
νος ἐξηγήσατο.
11: — καὶ οἱ ἴδιοι αὐτὸν οὐ
παρέλαβον.
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