sich verbitten, und wir wenigstens desswegen, weil Jesus, wenn auch vom Täufer angeregt, doch sonst wesentlich von ihm verschieden und als Original erscheint, hauptsächlich aber, weil dieser johanneische Styl für den rauhen Täufer viel zu weich, für den praktischen Kopf viel zu mystisch ist. So bleibt also nur das Andere, dass der Evangelist sowohl Jesum als den Täufer in seinem Tone reden lässt, eine Annahme, welche, an sich schon weit natürlicher als die vorige, durch eine Menge von Beispielen aller mögli- chen Geschichtschreiber gedeckt ist. Ist hienach die Form dieser Rede Jesu auf Rechnung des Evangelisten zu schrei- ben, so könnte der Inhalt zwar möglicherweise Jesu ange- hören: doch können wir theils nicht berechnen, wie weit, theils haben wir schon sonst Beispiele gehabt, dass der vier- te Evangelist auf die freieste Weise an bequeme Veranlas- sungen seine eigenen Reflexionen in Form von Reden Jesu knüpft.
Aus der Rede Kap. 6. ist zwar das, dass Jesus sich oder vielmehr seinen Vater V. 27 ff. als den Geber des geistigen Manna darstellt, in Analogie mit der oben ange- führten jüdischen Erwartung, dass der zweite Goel wie der erste Manna gewähren werde 4), und mit der Einla- dung der Weisheit in den Proverbien 9, 5: elthete, phagete ton emon arton: dass er aber sofort sich selbst den artos o zon o ek tou ouranou katabas nennt (V. 35 ff.), scheint doch nur in der philonischen Darstellung des logos theios als des trephon ten psukhen 5) seine vollkommene Analogie zu finden. Schwieriger ist, dass Jesus von V. 51. an als das Him- melsbrot sein Fleisch darstellt, welches er zum Heil der
4) oben, S. 73. Anmerk.
5) de profugis, Opp. Mang. 1, S. 566. bei Gfrörer 1, S. 202. Das hier noch weiter vom logos Gesagte: aph' ou pasai pai- de ai kai sophiai Reousin aennaoi kann mit Joh. 4, 14. 6, 35. 7, 38. verglichen werden.
Siebentes Kapitel. §. 77.
sich verbitten, und wir wenigstens deſswegen, weil Jesus, wenn auch vom Täufer angeregt, doch sonst wesentlich von ihm verschieden und als Original erscheint, hauptsächlich aber, weil dieser johanneische Styl für den rauhen Täufer viel zu weich, für den praktischen Kopf viel zu mystisch ist. So bleibt also nur das Andere, daſs der Evangelist sowohl Jesum als den Täufer in seinem Tone reden läſst, eine Annahme, welche, an sich schon weit natürlicher als die vorige, durch eine Menge von Beispielen aller mögli- chen Geschichtschreiber gedeckt ist. Ist hienach die Form dieser Rede Jesu auf Rechnung des Evangelisten zu schrei- ben, so könnte der Inhalt zwar möglicherweise Jesu ange- hören: doch können wir theils nicht berechnen, wie weit, theils haben wir schon sonst Beispiele gehabt, daſs der vier- te Evangelist auf die freieste Weise an bequeme Veranlas- sungen seine eigenen Reflexionen in Form von Reden Jesu knüpft.
Aus der Rede Kap. 6. ist zwar das, daſs Jesus sich oder vielmehr seinen Vater V. 27 ff. als den Geber des geistigen Manna darstellt, in Analogie mit der oben ange- führten jüdischen Erwartung, daſs der zweite Goël wie der erste Manna gewähren werde 4), und mit der Einla- dung der Weisheit in den Proverbien 9, 5: ἔλϑετε, φάγετε τῶν ἐμῶν ἀρτων: daſs er aber sofort sich selbst den ἄρτος ὁ ζῶν ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβὰς nennt (V. 35 ff.), scheint doch nur in der philonischen Darstellung des λόγος ϑεῖος als des τρέφον τὴν ψυχὴν 5) seine vollkommene Analogie zu finden. Schwieriger ist, daſs Jesus von V. 51. an als das Him- melsbrot sein Fleisch darstellt, welches er zum Heil der
4) oben, S. 73. Anmerk.
5) de profugis, Opp. Mang. 1, S. 566. bei Gfrörer 1, S. 202. Das hier noch weiter vom λόγος Gesagte: ἀφ' οῦ πᾶσαι παι- δε αι καὶ σοφίαι ῥέουσιν ἀένναοι kann mit Joh. 4, 14. 6, 35. 7, 38. verglichen werden.
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Siebentes Kapitel. §. 77.
sich verbitten, und wir wenigstens deſswegen, weil Jesus,
wenn auch vom Täufer angeregt, doch sonst wesentlich von
ihm verschieden und als Original erscheint, hauptsächlich
aber, weil dieser johanneische Styl für den rauhen Täufer
viel zu weich, für den praktischen Kopf viel zu mystisch
ist. So bleibt also nur das Andere, daſs der Evangelist
sowohl Jesum als den Täufer in seinem Tone reden läſst,
eine Annahme, welche, an sich schon weit natürlicher als
die vorige, durch eine Menge von Beispielen aller mögli-
chen Geschichtschreiber gedeckt ist. Ist hienach die Form
dieser Rede Jesu auf Rechnung des Evangelisten zu schrei-
ben, so könnte der Inhalt zwar möglicherweise Jesu ange-
hören: doch können wir theils nicht berechnen, wie weit,
theils haben wir schon sonst Beispiele gehabt, daſs der vier-
te Evangelist auf die freieste Weise an bequeme Veranlas-
sungen seine eigenen Reflexionen in Form von Reden
Jesu knüpft.
Aus der Rede Kap. 6. ist zwar das, daſs Jesus sich
oder vielmehr seinen Vater V. 27 ff. als den Geber des
geistigen Manna darstellt, in Analogie mit der oben ange-
führten jüdischen Erwartung, daſs der zweite Goël wie
der erste Manna gewähren werde 4), und mit der Einla-
dung der Weisheit in den Proverbien 9, 5: ἔλϑετε, φάγετε
τῶν ἐμῶν ἀρτων: daſs er aber sofort sich selbst den ἄρτος
ὁ ζῶν ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβὰς nennt (V. 35 ff.), scheint doch
nur in der philonischen Darstellung des λόγος ϑεῖος als des
τρέφον τὴν ψυχὴν 5) seine vollkommene Analogie zu finden.
Schwieriger ist, daſs Jesus von V. 51. an als das Him-
melsbrot sein Fleisch darstellt, welches er zum Heil der
4) oben, S. 73. Anmerk.
5) de profugis, Opp. Mang. 1, S. 566. bei Gfrörer 1, S. 202.
Das hier noch weiter vom λόγος Gesagte: ἀφ' οῦ πᾶσαι παι-
δε αι καὶ σοφίαι ῥέουσιν ἀένναοι kann mit Joh. 4, 14. 6, 35.
7, 38. verglichen werden.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 649. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/673>, abgerufen am 16.07.2024.
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