sen, welche Bezug auf die Tempelreinigung zu haben scheint (Matth. 21, 23 ff.), auf welche Jesus auch ganz anders ant- wortet, als nach dem vierten Evangelium auf jene Einspra- che. Die Wiederholung einer solchen Execution sucht man durch die Bemerkung erklärlich zu machen, dass, da auf die erste Austreibung hin der Unfug schwerlich unterblieb, bei jeder Erneuerung desselben Jesus auch zu wiederhol- tem Einschreiten veranlasst gewesen sei; dass aber näher die johanneische Tempelreinigung eine frühere als die syn- optische sei, davon glaubt man die Spur eben auch darin zu entdecken, dass bei jener Jesu alsbald Einsprache gethan wurde, bei dieser hingegen seines inzwischen gestiegenen Ansehens wegen nicht mehr.
Allein bei allen Abweichungen ist doch die Überein- stimmung der beiden Erzählungen überwiegend. Derselbe Unfug, dieselbe gewaltsame Art, ihm durch ekballein der Leute und anasrephein der Tische zu steuern, ja auch im Wesentlichen dieselbe Rede zur Begründung dieses Ver- fahrens, welche, wenn gleich nicht mit ebensovielen Wor- ten, doch auch bei Johannes eine Hinweisung auf Jes. 56, 7. Jer. 7, 11. enthält. Jedenfalls müsste man dieser bedeu- tenden Ähnlichkeiten wegen mit Sieffert2) annehmen, die zwei sich ursprünglich weniger ähnlichen Vorfälle seien in der Überlieferung assimilirt, die Züge des einen auf den andern übergetragen worden. Allein soviel scheint klar: die Synoptiker wissen nichts von einer frühern Be- gebenheit dieser Art, so wenig als von einem früheren jerusalemischen Aufenthalt Jesu überhaupt, und ebenso scheint der vierte Evangelist die Tempelreinigung nach dem lezten Einzug Jesu in die Hauptstadt nicht desswe- gen übergangen zu haben, weil er sie als aus den übri- gen bekannt voraussezte, sondern weil er den einzigen Akt dieser Art, der ihm überhaupt bekannt war, in eine
2) Über den Urspr., S. 108 ff.
Achtes Kapitel. §. 84.
sen, welche Bezug auf die Tempelreinigung zu haben scheint (Matth. 21, 23 ff.), auf welche Jesus auch ganz anders ant- wortet, als nach dem vierten Evangelium auf jene Einspra- che. Die Wiederholung einer solchen Execution sucht man durch die Bemerkung erklärlich zu machen, daſs, da auf die erste Austreibung hin der Unfug schwerlich unterblieb, bei jeder Erneuerung desselben Jesus auch zu wiederhol- tem Einschreiten veranlaſst gewesen sei; daſs aber näher die johanneische Tempelreinigung eine frühere als die syn- optische sei, davon glaubt man die Spur eben auch darin zu entdecken, daſs bei jener Jesu alsbald Einsprache gethan wurde, bei dieser hingegen seines inzwischen gestiegenen Ansehens wegen nicht mehr.
Allein bei allen Abweichungen ist doch die Überein- stimmung der beiden Erzählungen überwiegend. Derselbe Unfug, dieselbe gewaltsame Art, ihm durch ἐκβάλλειν der Leute und αναςρέφειν der Tische zu steuern, ja auch im Wesentlichen dieselbe Rede zur Begründung dieses Ver- fahrens, welche, wenn gleich nicht mit ebensovielen Wor- ten, doch auch bei Johannes eine Hinweisung auf Jes. 56, 7. Jer. 7, 11. enthält. Jedenfalls müſste man dieser bedeu- tenden Ähnlichkeiten wegen mit Sieffert2) annehmen, die zwei sich ursprünglich weniger ähnlichen Vorfälle seien in der Überlieferung assimilirt, die Züge des einen auf den andern übergetragen worden. Allein soviel scheint klar: die Synoptiker wissen nichts von einer frühern Be- gebenheit dieser Art, so wenig als von einem früheren jerusalemischen Aufenthalt Jesu überhaupt, und ebenso scheint der vierte Evangelist die Tempelreinigung nach dem lezten Einzug Jesu in die Hauptstadt nicht deſswe- gen übergangen zu haben, weil er sie als aus den übri- gen bekannt voraussezte, sondern weil er den einzigen Akt dieser Art, der ihm überhaupt bekannt war, in eine
2) Über den Urspr., S. 108 ff.
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Achtes Kapitel. §. 84.
sen, welche Bezug auf die Tempelreinigung zu haben scheint
(Matth. 21, 23 ff.), auf welche Jesus auch ganz anders ant-
wortet, als nach dem vierten Evangelium auf jene Einspra-
che. Die Wiederholung einer solchen Execution sucht man
durch die Bemerkung erklärlich zu machen, daſs, da auf
die erste Austreibung hin der Unfug schwerlich unterblieb,
bei jeder Erneuerung desselben Jesus auch zu wiederhol-
tem Einschreiten veranlaſst gewesen sei; daſs aber näher
die johanneische Tempelreinigung eine frühere als die syn-
optische sei, davon glaubt man die Spur eben auch darin zu
entdecken, daſs bei jener Jesu alsbald Einsprache gethan
wurde, bei dieser hingegen seines inzwischen gestiegenen
Ansehens wegen nicht mehr.
Allein bei allen Abweichungen ist doch die Überein-
stimmung der beiden Erzählungen überwiegend. Derselbe
Unfug, dieselbe gewaltsame Art, ihm durch ἐκβάλλειν der
Leute und αναςρέφειν der Tische zu steuern, ja auch im
Wesentlichen dieselbe Rede zur Begründung dieses Ver-
fahrens, welche, wenn gleich nicht mit ebensovielen Wor-
ten, doch auch bei Johannes eine Hinweisung auf Jes. 56, 7.
Jer. 7, 11. enthält. Jedenfalls müſste man dieser bedeu-
tenden Ähnlichkeiten wegen mit Sieffert 2) annehmen,
die zwei sich ursprünglich weniger ähnlichen Vorfälle
seien in der Überlieferung assimilirt, die Züge des einen
auf den andern übergetragen worden. Allein soviel scheint
klar: die Synoptiker wissen nichts von einer frühern Be-
gebenheit dieser Art, so wenig als von einem früheren
jerusalemischen Aufenthalt Jesu überhaupt, und ebenso
scheint der vierte Evangelist die Tempelreinigung nach
dem lezten Einzug Jesu in die Hauptstadt nicht deſswe-
gen übergangen zu haben, weil er sie als aus den übri-
gen bekannt voraussezte, sondern weil er den einzigen
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2) Über den Urspr., S. 108 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/727>, abgerufen am 26.11.2024.
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