Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. das erzählte Wort oder Werk einer Person so ganz mitihrem sonst bekannten Charakter übereinstimmt, wie hier der habsüchtige und zugleich heuchlerische Tadel mit dem Charakter des Verräthers, wie da die Sage diesen Namen verlieren kann, das gestehe ich nicht einzusehen. Zumal da die Geschichte, bei welcher jener Tadel ausgesprochen wurde, besonders nach ihrer Stellung bei den zwei ersten Evangelisten, so nahe mit dem Zeitpunkt des Verraths zusammenfiel, und so eine Beziehung dieses Schritts auf jene Äusserung fast aufgedrungen war. So sehr in der That, dass, wenn jene Äusserung versteckten Geizes auch nicht wirklich von Judas gethan worden war, man sich doch später versucht finden musste, sie ihm als Beitrag zu seiner Charakteristik und zur Erklärung seines nach- maligen Verrathes zuzuschreiben. So dass sich hier die Sache umkehrt, und die Frage entsteht, ob wir nicht, statt den Johannes zu loben, dass er uns diese bestimmte Notiz erhalten hat, vielmehr die Synoptiker rühmen müs- sen, dass sie sich einer so nahe liegenden, aber unhisto- rischen Combination enthalten haben. Anders werden wir auch über die Bezeichnung der salbenden Frau als Maria von Bethanien nicht urtheilen können, als dass, so unbe- greiflich die Trennung jener That von ihrem berühmten Namen ist, wenn sie ursprünglich ihr angehört haben soll, ebenso leicht die sich fortbildende Sage dazu kommen konnte, eine Handlung ergebener Liebe gegen Jesum, wenn sie auch ursprünglich einer andern, minder bekann- ten Person angehörte, derjenigen zuzuschreiben, deren inniges Verhältniss zu Jesu dem dritten und vierten Evan- gelium zufolge frühzeitig grossen Ruhm in der ersten Ge- meinde erlangt hatte. Doch auch von einer andern Seite noch sehen wir Zweiter Abschnitt. das erzählte Wort oder Werk einer Person so ganz mitihrem sonst bekannten Charakter übereinstimmt, wie hier der habsüchtige und zugleich heuchlerische Tadel mit dem Charakter des Verräthers, wie da die Sage diesen Namen verlieren kann, das gestehe ich nicht einzusehen. Zumal da die Geschichte, bei welcher jener Tadel ausgesprochen wurde, besonders nach ihrer Stellung bei den zwei ersten Evangelisten, so nahe mit dem Zeitpunkt des Verraths zusammenfiel, und so eine Beziehung dieses Schritts auf jene Äusserung fast aufgedrungen war. So sehr in der That, daſs, wenn jene Äusserung versteckten Geizes auch nicht wirklich von Judas gethan worden war, man sich doch später versucht finden muſste, sie ihm als Beitrag zu seiner Charakteristik und zur Erklärung seines nach- maligen Verrathes zuzuschreiben. So daſs sich hier die Sache umkehrt, und die Frage entsteht, ob wir nicht, statt den Johannes zu loben, daſs er uns diese bestimmte Notiz erhalten hat, vielmehr die Synoptiker rühmen müs- sen, daſs sie sich einer so nahe liegenden, aber unhisto- rischen Combination enthalten haben. Anders werden wir auch über die Bezeichnung der salbenden Frau als Maria von Bethanien nicht urtheilen können, als daſs, so unbe- greiflich die Trennung jener That von ihrem berühmten Namen ist, wenn sie ursprünglich ihr angehört haben soll, ebenso leicht die sich fortbildende Sage dazu kommen konnte, eine Handlung ergebener Liebe gegen Jesum, wenn sie auch ursprünglich einer andern, minder bekann- ten Person angehörte, derjenigen zuzuschreiben, deren inniges Verhältniſs zu Jesu dem dritten und vierten Evan- gelium zufolge frühzeitig groſsen Ruhm in der ersten Ge- meinde erlangt hatte. 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Zweiter Abschnitt.
das erzählte Wort oder Werk einer Person so ganz mit
ihrem sonst bekannten Charakter übereinstimmt, wie hier
der habsüchtige und zugleich heuchlerische Tadel mit dem
Charakter des Verräthers, wie da die Sage diesen Namen
verlieren kann, das gestehe ich nicht einzusehen. Zumal
da die Geschichte, bei welcher jener Tadel ausgesprochen
wurde, besonders nach ihrer Stellung bei den zwei ersten
Evangelisten, so nahe mit dem Zeitpunkt des Verraths
zusammenfiel, und so eine Beziehung dieses Schritts auf
jene Äusserung fast aufgedrungen war. So sehr in der
That, daſs, wenn jene Äusserung versteckten Geizes auch
nicht wirklich von Judas gethan worden war, man sich
doch später versucht finden muſste, sie ihm als Beitrag
zu seiner Charakteristik und zur Erklärung seines nach-
maligen Verrathes zuzuschreiben. So daſs sich hier die
Sache umkehrt, und die Frage entsteht, ob wir nicht,
statt den Johannes zu loben, daſs er uns diese bestimmte
Notiz erhalten hat, vielmehr die Synoptiker rühmen müs-
sen, daſs sie sich einer so nahe liegenden, aber unhisto-
rischen Combination enthalten haben. Anders werden wir
auch über die Bezeichnung der salbenden Frau als Maria
von Bethanien nicht urtheilen können, als daſs, so unbe-
greiflich die Trennung jener That von ihrem berühmten
Namen ist, wenn sie ursprünglich ihr angehört haben
soll, ebenso leicht die sich fortbildende Sage dazu kommen
konnte, eine Handlung ergebener Liebe gegen Jesum,
wenn sie auch ursprünglich einer andern, minder bekann-
ten Person angehörte, derjenigen zuzuschreiben, deren
inniges Verhältniſs zu Jesu dem dritten und vierten Evan-
gelium zufolge frühzeitig groſsen Ruhm in der ersten Ge-
meinde erlangt hatte.
Doch auch von einer andern Seite noch sehen wir
uns veranlaſst, eher die Erzählungen des Matthäus und
Markus, welche die Frau nicht nennen, als die des Jo-
hannes, der sie als die Bethanische Maria bezeichnet, für
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