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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 91.
besondere Fügung den Namen des Gesendeten bekommen,
weil dereinst vom Messias zur Offenbarung seiner Herr-
lichkeit ein Blinder zu demselben gesendet werden sollte 29).
Nun konnte allerdings ein Apostel eine grammatisch un-
richtige Erklärung geben, sofern er nur nicht als inspirirt
vorausgesetzt wird, und auch ein geborener Palästinenser
konnte sich in Etymologieen hebräischer Worte irren, wie
das A. T. selber zeigt: doch aber sieht eine Spielerei die-
ser Art eher wie das Machwerk eines entfernter Stehen-
den als eines Augenzeugen aus. Der Augenzeuge hatte an
dem angeschauten Wunder und den vernommenen Reden
genug Bedeutungsvolles: erst bei dem entfernter Stehen-
den konnte die Mikrologie eintreten, dass er auch aus den
kleinsten Nebenzügen eine Bedeutung herauszupressen such-
te. Tholuck und Lücke stossen sich stark an einer sol-
chen, wie der Leztere sich ausdrückt, an Unsinn streifen-
den Allegorie, welche sie ebendesswegen sich nicht für jo-
hanneisch aufreden lassen wollen, sondern als eine Glosse
betrachten. Da jedoch alle kritischen Auktoritäten, bis
auf Eine, minder bedeutende, dieselbe bieten, so ist eine
solche Behauptung die baare Willkühr, und man hat nur
die Wahl, ob man mit Olshausen auch an diesem Zug als
einem apostolischen sich erbauen 30), oder mit den Proba-
bilien denselben mit unter die Merkmale von dem nicht
apostolischen Ursprung des vierten Evangeliums zählen
will 31).

Was nun aber den Verfasser des vierten Evangeliums,
oder die Überlieferung, aus welcher er schöpfte, veran-
lassen konnte, unzufrieden mit den Blindenheilungen, von
welchen die Synoptiker berichten, die vorliegende Erzäh-

29) so Euthymius und Paulus z. d. St.
30) b. Comm. 2, S. 230, wo er jedoch das apesalmenos auf den
von Gott ausgehenden Geistesstrom bezieht.
31) S. 93.
Das Leben Jesu II. Band. 6

Neuntes Kapitel. §. 91.
besondere Fügung den Namen des Gesendeten bekommen,
weil dereinst vom Messias zur Offenbarung seiner Herr-
lichkeit ein Blinder zu demselben gesendet werden sollte 29).
Nun konnte allerdings ein Apostel eine grammatisch un-
richtige Erklärung geben, sofern er nur nicht als inspirirt
vorausgesetzt wird, und auch ein geborener Palästinenser
konnte sich in Etymologieen hebräischer Worte irren, wie
das A. T. selber zeigt: doch aber sieht eine Spielerei die-
ser Art eher wie das Machwerk eines entfernter Stehen-
den als eines Augenzeugen aus. Der Augenzeuge hatte an
dem angeschauten Wunder und den vernommenen Reden
genug Bedeutungsvolles: erst bei dem entfernter Stehen-
den konnte die Mikrologie eintreten, daſs er auch aus den
kleinsten Nebenzügen eine Bedeutung herauszupressen such-
te. Tholuck und Lücke stossen sich stark an einer sol-
chen, wie der Leztere sich ausdrückt, an Unsinn streifen-
den Allegorie, welche sie ebendeſswegen sich nicht für jo-
hanneisch aufreden lassen wollen, sondern als eine Glosse
betrachten. Da jedoch alle kritischen Auktoritäten, bis
auf Eine, minder bedeutende, dieselbe bieten, so ist eine
solche Behauptung die baare Willkühr, und man hat nur
die Wahl, ob man mit Olshausen auch an diesem Zug als
einem apostolischen sich erbauen 30), oder mit den Proba-
bilien denselben mit unter die Merkmale von dem nicht
apostolischen Ursprung des vierten Evangeliums zählen
will 31).

Was nun aber den Verfasser des vierten Evangeliums,
oder die Überlieferung, aus welcher er schöpfte, veran-
lassen konnte, unzufrieden mit den Blindenheilungen, von
welchen die Synoptiker berichten, die vorliegende Erzäh-

29) so Euthymius und Paulus z. d. St.
30) b. Comm. 2, S. 230, wo er jedoch das ἀπεςαλμένος auf den
von Gott ausgehenden Geistesstrom bezieht.
31) S. 93.
Das Leben Jesu II. Band. 6
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[81/0100] Neuntes Kapitel. §. 91. besondere Fügung den Namen des Gesendeten bekommen, weil dereinst vom Messias zur Offenbarung seiner Herr- lichkeit ein Blinder zu demselben gesendet werden sollte 29). Nun konnte allerdings ein Apostel eine grammatisch un- richtige Erklärung geben, sofern er nur nicht als inspirirt vorausgesetzt wird, und auch ein geborener Palästinenser konnte sich in Etymologieen hebräischer Worte irren, wie das A. T. selber zeigt: doch aber sieht eine Spielerei die- ser Art eher wie das Machwerk eines entfernter Stehen- den als eines Augenzeugen aus. Der Augenzeuge hatte an dem angeschauten Wunder und den vernommenen Reden genug Bedeutungsvolles: erst bei dem entfernter Stehen- den konnte die Mikrologie eintreten, daſs er auch aus den kleinsten Nebenzügen eine Bedeutung herauszupressen such- te. Tholuck und Lücke stossen sich stark an einer sol- chen, wie der Leztere sich ausdrückt, an Unsinn streifen- den Allegorie, welche sie ebendeſswegen sich nicht für jo- hanneisch aufreden lassen wollen, sondern als eine Glosse betrachten. Da jedoch alle kritischen Auktoritäten, bis auf Eine, minder bedeutende, dieselbe bieten, so ist eine solche Behauptung die baare Willkühr, und man hat nur die Wahl, ob man mit Olshausen auch an diesem Zug als einem apostolischen sich erbauen 30), oder mit den Proba- bilien denselben mit unter die Merkmale von dem nicht apostolischen Ursprung des vierten Evangeliums zählen will 31). Was nun aber den Verfasser des vierten Evangeliums, oder die Überlieferung, aus welcher er schöpfte, veran- lassen konnte, unzufrieden mit den Blindenheilungen, von welchen die Synoptiker berichten, die vorliegende Erzäh- 29) so Euthymius und Paulus z. d. St. 30) b. Comm. 2, S. 230, wo er jedoch das ἀπεςαλμένος auf den von Gott ausgehenden Geistesstrom bezieht. 31) S. 93. Das Leben Jesu II. Band. 6

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/100>, abgerufen am 24.11.2024.