Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. lung auszubilden, liegt schon in dem bisher Ausgeführten.Es ist schon von Andern die Bemerkung gemacht, wie das vierte Evangelium zwar wenigere, aber um so stärkere Wun- der von Jesu erzähle 32). So, wenn die übrigen Evange- lien simple Paralytische haben, welche Jesus heilt, hat das vierte Evangelium einen, der 38 Jahre lang gelähmt war; wenn Jesus in jenen eben Verstorbene wiederbelebt, ruft er in diesem einen schon vier Tage in der Gruft Gelege- nen, bei welchem bereits der Eintritt der Verwesung zu vermuthen war, in das Leben zurück; ebenso hier statt einfacher Blindenheilungen die Heilung eines Blindgebore- nen, -- eine Steigerung der Wunder, wie sie der apolo- getisch - dogmatischen Tendenz dieses Evangeliums ganz angemessen ist. Auf welchem Wege hiebei der Verfasser des Evangeliums oder die particuläre Tradition, welcher er folgte, zu den einzelnen Zügen der Erzählung kommen konnte, ergiebt sich leicht. Das ptuein war bei magischen Augenkuren gewöhnlich; der pelos lag als Surrogat einer Augensalbe nahe und kommt auch sonst bei zauberhaften Proceduren vor 33); der Befehl, sich im Siloateich zu wa- schen, kann der Verordnung Elisa's, dass der aussätzige Naeman sich siebenmal im Jordan baden solle, nachge- bildet sein. Die Verhandlungen, welche sich an die Hei- lung knüpfen, gehen theils aus der, auch von Storr be- merklich gemachten Tendenz des johanneischen Evangeliums hervor, sowohl die Heilung als die angeborne Blindheit des Menschen möglichst urkundlich zu machen und zu verbür- gen, daher das wiederholte Verhör des Geheilten selbst und sogar seiner Eltern; theils drehen sie sich um die symbo- lische Bedeutung der Ausdrücke: tuphlos und blepon, emera und nux, wie sie zwar auch den Synoptikern nicht fremd ist, noch specifischer jedoch in den johanneischen Bilder- kreis gehört. 32) Köster, Immanuel, S. 79; Bretschneider, Probab. S. 122. 33) Wetstein z. d. St.
Zweiter Abschnitt. lung auszubilden, liegt schon in dem bisher Ausgeführten.Es ist schon von Andern die Bemerkung gemacht, wie das vierte Evangelium zwar wenigere, aber um so stärkere Wun- der von Jesu erzähle 32). So, wenn die übrigen Evange- lien simple Paralytische haben, welche Jesus heilt, hat das vierte Evangelium einen, der 38 Jahre lang gelähmt war; wenn Jesus in jenen eben Verstorbene wiederbelebt, ruft er in diesem einen schon vier Tage in der Gruft Gelege- nen, bei welchem bereits der Eintritt der Verwesung zu vermuthen war, in das Leben zurück; ebenso hier statt einfacher Blindenheilungen die Heilung eines Blindgebore- nen, — eine Steigerung der Wunder, wie sie der apolo- getisch ‒ dogmatischen Tendenz dieses Evangeliums ganz angemessen ist. Auf welchem Wege hiebei der Verfasser des Evangeliums oder die particuläre Tradition, welcher er folgte, zu den einzelnen Zügen der Erzählung kommen konnte, ergiebt sich leicht. Das πτύειν war bei magischen Augenkuren gewöhnlich; der πηλὸς lag als Surrogat einer Augensalbe nahe und kommt auch sonst bei zauberhaften Proceduren vor 33); der Befehl, sich im Siloateich zu wa- schen, kann der Verordnung Elisa's, daſs der aussätzige Naëman sich siebenmal im Jordan baden solle, nachge- bildet sein. Die Verhandlungen, welche sich an die Hei- lung knüpfen, gehen theils aus der, auch von Storr be- merklich gemachten Tendenz des johanneischen Evangeliums hervor, sowohl die Heilung als die angeborne Blindheit des Menschen möglichst urkundlich zu machen und zu verbür- gen, daher das wiederholte Verhör des Geheilten selbst und sogar seiner Eltern; theils drehen sie sich um die symbo- lische Bedeutung der Ausdrücke: τυφλὸς und βλέπων, ἡμέρα und νὺξ, wie sie zwar auch den Synoptikern nicht fremd ist, noch specifischer jedoch in den johanneischen Bilder- kreis gehört. 32) Köster, Immanuel, S. 79; Bretschneider, Probab. S. 122. 33) Wetstein z. d. St.
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Zweiter Abschnitt.
lung auszubilden, liegt schon in dem bisher Ausgeführten.
Es ist schon von Andern die Bemerkung gemacht, wie das
vierte Evangelium zwar wenigere, aber um so stärkere Wun-
der von Jesu erzähle 32). So, wenn die übrigen Evange-
lien simple Paralytische haben, welche Jesus heilt, hat das
vierte Evangelium einen, der 38 Jahre lang gelähmt war;
wenn Jesus in jenen eben Verstorbene wiederbelebt, ruft
er in diesem einen schon vier Tage in der Gruft Gelege-
nen, bei welchem bereits der Eintritt der Verwesung zu
vermuthen war, in das Leben zurück; ebenso hier statt
einfacher Blindenheilungen die Heilung eines Blindgebore-
nen, — eine Steigerung der Wunder, wie sie der apolo-
getisch ‒ dogmatischen Tendenz dieses Evangeliums ganz
angemessen ist. Auf welchem Wege hiebei der Verfasser
des Evangeliums oder die particuläre Tradition, welcher
er folgte, zu den einzelnen Zügen der Erzählung kommen
konnte, ergiebt sich leicht. Das πτύειν war bei magischen
Augenkuren gewöhnlich; der πηλὸς lag als Surrogat einer
Augensalbe nahe und kommt auch sonst bei zauberhaften
Proceduren vor 33); der Befehl, sich im Siloateich zu wa-
schen, kann der Verordnung Elisa's, daſs der aussätzige
Naëman sich siebenmal im Jordan baden solle, nachge-
bildet sein. Die Verhandlungen, welche sich an die Hei-
lung knüpfen, gehen theils aus der, auch von Storr be-
merklich gemachten Tendenz des johanneischen Evangeliums
hervor, sowohl die Heilung als die angeborne Blindheit des
Menschen möglichst urkundlich zu machen und zu verbür-
gen, daher das wiederholte Verhör des Geheilten selbst und
sogar seiner Eltern; theils drehen sie sich um die symbo-
lische Bedeutung der Ausdrücke: τυφλὸς und βλέπων, ἡμέρα
und νὺξ, wie sie zwar auch den Synoptikern nicht fremd
ist, noch specifischer jedoch in den johanneischen Bilder-
kreis gehört.
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