Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. lung eine andre Farbe giebt, die nämlich, dass Jesus aufwunderbare Weise von dem Tode des Lazarus Kenntniss gehabt habe. Dass sofort Jesus, als er entschlossen war, nach Bethanien zu reisen, zu den Jüngern sagte, er wolle den eingeschlummerten Lazarus aufwecken (kekoimetai -- exupniso -- V. 11.), wird auf diesem Standpunkt so er- klärt, Jesus müsse aus den Nachrichten des Boten, der den Tod des Lazarus meldete, irgendwie abgenommen ha- ben, dass derselbe nur in einem soporösen Zustand sich befinde. Allein hier so wenig als oben können wir Jesu die unkluge Vermessenheit zutrauen, ehe er noch den an- geblich Verstorbenen gesehen hatte, die bestimmte Versi- cherung, dass er noch lebe, zu geben 19). Auch das hat auf diesem Standpunkt seine Schwierigkeit, dass Jesus zu seinen Jüngern (V. 15.) sagt, er freue sich um ihretwillen, vor und bei des Lazarus Tode nicht zugegen gewesen zu sein, ina piseusete. Die Paulus'sche Erklärung dieser Worte, als ob Jesus gefürchtet hätte, der in seiner Gegen- wart erfolgte Tod hätte sie im Glauben an ihn wankend machen können, hat nicht allein das von Gabler Bemerk- te gegen sich, dass piseuo nicht geradezu nur das Nega- tive: den Glauben nicht verlieren, bedeuten kann, was vielmehr durch eine Phrasis, wie: ina me ekleipe e pisis umon (s. Luc. 22, 32.) ausgedrückt sein müsste 20), son- dern es ist auch nirgendsher eine solche Vorstellung der Jünger von Jesu als dem Messias nachzuweisen, mit wel- cher das Sterben eines Menschen, oder näher eines Freun- des, in seiner Gegenwart unverträglich gewesen wäre. Von Jesu Ankunft in Bethanien an wird die evange- 19) vgl. C. Ch. Flatt, etwas zur Vertheidigung des Wunders der Wiederbelebung des Lazarus, in Süskind's Magazin, 14tes Stück, S. 93 ff. 20) Gabler's Journal für auserlesene theol. Literatur, 3, 2, S. 261,
Anm. Zweiter Abschnitt. lung eine andre Farbe giebt, die nämlich, daſs Jesus aufwunderbare Weise von dem Tode des Lazarus Kenntniſs gehabt habe. Daſs sofort Jesus, als er entschlossen war, nach Bethanien zu reisen, zu den Jüngern sagte, er wolle den eingeschlummerten Lazarus aufwecken (κεκοίμηται — ἐξυπνίσω — V. 11.), wird auf diesem Standpunkt so er- klärt, Jesus müsse aus den Nachrichten des Boten, der den Tod des Lazarus meldete, irgendwie abgenommen ha- ben, daſs derselbe nur in einem soporösen Zustand sich befinde. Allein hier so wenig als oben können wir Jesu die unkluge Vermessenheit zutrauen, ehe er noch den an- geblich Verstorbenen gesehen hatte, die bestimmte Versi- cherung, daſs er noch lebe, zu geben 19). Auch das hat auf diesem Standpunkt seine Schwierigkeit, daſs Jesus zu seinen Jüngern (V. 15.) sagt, er freue sich um ihretwillen, vor und bei des Lazarus Tode nicht zugegen gewesen zu sein, ἵνα πιςεύσητε. Die Paulus'sche Erklärung dieser Worte, als ob Jesus gefürchtet hätte, der in seiner Gegen- wart erfolgte Tod hätte sie im Glauben an ihn wankend machen können, hat nicht allein das von Gabler Bemerk- te gegen sich, daſs πιςεύω nicht geradezu nur das Nega- tive: den Glauben nicht verlieren, bedeuten kann, was vielmehr durch eine Phrasis, wie: ἵνα μὴ ἐκλείπῃ ἡ πίςις ὑμῶν (s. Luc. 22, 32.) ausgedrückt sein müſste 20), son- dern es ist auch nirgendsher eine solche Vorstellung der Jünger von Jesu als dem Messias nachzuweisen, mit wel- cher das Sterben eines Menschen, oder näher eines Freun- des, in seiner Gegenwart unverträglich gewesen wäre. Von Jesu Ankunft in Bethanien an wird die evange- 19) vgl. C. Ch. Flatt, etwas zur Vertheidigung des Wunders der Wiederbelebung des Lazarus, in Süskind's Magazin, 14tes Stück, S. 93 ff. 20) Gabler's Journal für auserlesene theol. Literatur, 3, 2, S. 261,
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Zweiter Abschnitt.
lung eine andre Farbe giebt, die nämlich, daſs Jesus auf
wunderbare Weise von dem Tode des Lazarus Kenntniſs
gehabt habe. Daſs sofort Jesus, als er entschlossen war,
nach Bethanien zu reisen, zu den Jüngern sagte, er wolle
den eingeschlummerten Lazarus aufwecken (κεκοίμηται —
ἐξυπνίσω — V. 11.), wird auf diesem Standpunkt so er-
klärt, Jesus müsse aus den Nachrichten des Boten, der
den Tod des Lazarus meldete, irgendwie abgenommen ha-
ben, daſs derselbe nur in einem soporösen Zustand sich
befinde. Allein hier so wenig als oben können wir Jesu
die unkluge Vermessenheit zutrauen, ehe er noch den an-
geblich Verstorbenen gesehen hatte, die bestimmte Versi-
cherung, daſs er noch lebe, zu geben 19). Auch das hat
auf diesem Standpunkt seine Schwierigkeit, daſs Jesus zu
seinen Jüngern (V. 15.) sagt, er freue sich um ihretwillen,
vor und bei des Lazarus Tode nicht zugegen gewesen zu
sein, ἵνα πιςεύσητε. Die Paulus'sche Erklärung dieser
Worte, als ob Jesus gefürchtet hätte, der in seiner Gegen-
wart erfolgte Tod hätte sie im Glauben an ihn wankend
machen können, hat nicht allein das von Gabler Bemerk-
te gegen sich, daſs πιςεύω nicht geradezu nur das Nega-
tive: den Glauben nicht verlieren, bedeuten kann, was
vielmehr durch eine Phrasis, wie: ἵνα μὴ ἐκλείπῃ ἡ πίςις
ὑμῶν (s. Luc. 22, 32.) ausgedrückt sein müſste 20), son-
dern es ist auch nirgendsher eine solche Vorstellung der
Jünger von Jesu als dem Messias nachzuweisen, mit wel-
cher das Sterben eines Menschen, oder näher eines Freun-
des, in seiner Gegenwart unverträglich gewesen wäre.
Von Jesu Ankunft in Bethanien an wird die evange-
lische Erzählung der natürlichen Erklärung etwas günsti-
19) vgl. C. Ch. Flatt, etwas zur Vertheidigung des Wunders der
Wiederbelebung des Lazarus, in Süskind's Magazin, 14tes
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20) Gabler's Journal für auserlesene theol. Literatur, 3, 2, S. 261,
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