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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 96.
voll von ganz eigenthümlichen Schwierigkeiten, indem das
ganze Benehmen Jesu und zum Theil auch der übrigen
Personen nicht wohl zu begreifen ist. Wie Jesus die
Nachricht von der Krankheit des Lazarus und die darin
enthaltene Bitte der Schwestern, nach Bethanien zu kom-
men, erhält, bleibt er noch zwei Tage an Ort und Stelle,
und sezt sich erst, nachdem er seines Todes gewiss gewor-
den, nach Judäa in Bewegung. Warum diess? Dass es
nicht geschah, weil er etwa die Krankheit für ungefährlich
gehalten hätte, ist oben gezeigt, da er vielmehr den Tod
des Lazarus voraussah. Dass es ebensowenig Gleichgültig-
keit gegen diesen war, wird vom Evangelisten (V. 5.) aus-
drücklich bemerkt. Was also sonst? Lücke vermuthet,
Jesus sei vielleicht eben in einer besonders gesegneten Wirk-
samkeit in Peräa begriffen gewesen, welche er um des La-
zarus willen nicht sogleich habe abbrechen wollen, indem
er für Pflicht gehalten habe, seinem höheren Beruf als
Lehrer den geringeren als heilender Wunderthäter und
helfender Freund nachzusetzen 33). Allein neben dem, dass
er hier ganz wohl das Eine thun und das Andre nicht las-
sen konnte, nämlich entweder einige Jünger zur Fortse-
zung seiner Wirksamkeit in jener Gegend zurücklassen,
oder den Lazarus, sei es durch einen Jünger, oder durch
die Macht seines Willens in die Ferne heilen, schweigt ja
unser Referent völlig über eine solche Veranlassung des
längeren Verweilens Jesu, es darf sich also diese Ansicht
von demselben nur dann erst, und zwar als blosse Ver-
muthung, hören lassen, wenn vom Evangelisten kein an-
derer Grund von Jesu Verweilen angedeutet ist. Dieser
liegt aber, worauf auch Olshausen aufmerksam macht,
ganz offen in der Erklärung Jesu V. 15., desswegen sei
es ihm lieb, dass er bei Lazarus Tode nicht gegenwärtig
gewesen sei, weil für den Zweck, den Glauben der Jün-

33) Comm. 2, S. 376.

Neuntes Kapitel. §. 96.
voll von ganz eigenthümlichen Schwierigkeiten, indem das
ganze Benehmen Jesu und zum Theil auch der übrigen
Personen nicht wohl zu begreifen ist. Wie Jesus die
Nachricht von der Krankheit des Lazarus und die darin
enthaltene Bitte der Schwestern, nach Bethanien zu kom-
men, erhält, bleibt er noch zwei Tage an Ort und Stelle,
und sezt sich erst, nachdem er seines Todes gewiſs gewor-
den, nach Judäa in Bewegung. Warum dieſs? Daſs es
nicht geschah, weil er etwa die Krankheit für ungefährlich
gehalten hätte, ist oben gezeigt, da er vielmehr den Tod
des Lazarus voraussah. Daſs es ebensowenig Gleichgültig-
keit gegen diesen war, wird vom Evangelisten (V. 5.) aus-
drücklich bemerkt. Was also sonst? Lücke vermuthet,
Jesus sei vielleicht eben in einer besonders gesegneten Wirk-
samkeit in Peräa begriffen gewesen, welche er um des La-
zarus willen nicht sogleich habe abbrechen wollen, indem
er für Pflicht gehalten habe, seinem höheren Beruf als
Lehrer den geringeren als heilender Wunderthäter und
helfender Freund nachzusetzen 33). Allein neben dem, daſs
er hier ganz wohl das Eine thun und das Andre nicht las-
sen konnte, nämlich entweder einige Jünger zur Fortse-
zung seiner Wirksamkeit in jener Gegend zurücklassen,
oder den Lazarus, sei es durch einen Jünger, oder durch
die Macht seines Willens in die Ferne heilen, schweigt ja
unser Referent völlig über eine solche Veranlassung des
längeren Verweilens Jesu, es darf sich also diese Ansicht
von demselben nur dann erst, und zwar als bloſse Ver-
muthung, hören lassen, wenn vom Evangelisten kein an-
derer Grund von Jesu Verweilen angedeutet ist. Dieser
liegt aber, worauf auch Olshausen aufmerksam macht,
ganz offen in der Erklärung Jesu V. 15., deſswegen sei
es ihm lieb, daſs er bei Lazarus Tode nicht gegenwärtig
gewesen sei, weil für den Zweck, den Glauben der Jün-

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[157/0176] Neuntes Kapitel. §. 96. voll von ganz eigenthümlichen Schwierigkeiten, indem das ganze Benehmen Jesu und zum Theil auch der übrigen Personen nicht wohl zu begreifen ist. Wie Jesus die Nachricht von der Krankheit des Lazarus und die darin enthaltene Bitte der Schwestern, nach Bethanien zu kom- men, erhält, bleibt er noch zwei Tage an Ort und Stelle, und sezt sich erst, nachdem er seines Todes gewiſs gewor- den, nach Judäa in Bewegung. Warum dieſs? Daſs es nicht geschah, weil er etwa die Krankheit für ungefährlich gehalten hätte, ist oben gezeigt, da er vielmehr den Tod des Lazarus voraussah. Daſs es ebensowenig Gleichgültig- keit gegen diesen war, wird vom Evangelisten (V. 5.) aus- drücklich bemerkt. Was also sonst? Lücke vermuthet, Jesus sei vielleicht eben in einer besonders gesegneten Wirk- samkeit in Peräa begriffen gewesen, welche er um des La- zarus willen nicht sogleich habe abbrechen wollen, indem er für Pflicht gehalten habe, seinem höheren Beruf als Lehrer den geringeren als heilender Wunderthäter und helfender Freund nachzusetzen 33). Allein neben dem, daſs er hier ganz wohl das Eine thun und das Andre nicht las- sen konnte, nämlich entweder einige Jünger zur Fortse- zung seiner Wirksamkeit in jener Gegend zurücklassen, oder den Lazarus, sei es durch einen Jünger, oder durch die Macht seines Willens in die Ferne heilen, schweigt ja unser Referent völlig über eine solche Veranlassung des längeren Verweilens Jesu, es darf sich also diese Ansicht von demselben nur dann erst, und zwar als bloſse Ver- muthung, hören lassen, wenn vom Evangelisten kein an- derer Grund von Jesu Verweilen angedeutet ist. Dieser liegt aber, worauf auch Olshausen aufmerksam macht, ganz offen in der Erklärung Jesu V. 15., deſswegen sei es ihm lieb, daſs er bei Lazarus Tode nicht gegenwärtig gewesen sei, weil für den Zweck, den Glauben der Jün- 33) Comm. 2, S. 376.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/176>, abgerufen am 24.11.2024.