Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. ger zu stärken, die Wiederbelebung des Gestorbenen wirk-samer sein werde, als die Heilung des nur erst Kranken hätte sein können. Absichtlich also hatte Jesus den La- zarus erst sterben lassen, um durch seine wunderbare Er- weckung sich um so mehr Glauben zu verschaffen. Das- selbe im Ganzen fassen Tholuck und Olshausen nur zu mo- ralisch, wenn sie von einer pädagogischen Absicht Jesu reden, den Seelenzustand der Bethanischen Familie und seiner Jünger zu vollenden 34), da es doch nach Ausdrü- cken, wie ina doxasthe o uios t. th. (V.4.), vielmehr mes- sianisch um Verbreitung und Befestigung des Glaubens an Jesum als Gottessohn, zunächst freilich in jenem engsten Kreise, zu thun war. Hier ruft zwar Lücke: nimmer- mehr! so willkührlich und eigensinnig hat der Helfer in der Noth, der edelste Menschenfreund, nie gehandelt 35), und auch de Wette macht darauf aufmerksam, dass Jesus sonst niemals seine Wunder absichtlich herbeigeführt oder vergrössert habe 36). Allein wenn beide hieraus schliessen, es müsse also Jesum irgend etwas Äusseres, ein anderwei- tiges Berufsgeschäft, abgehalten haben: so ist diess im Obigen schon als dem Bericht zuwiderlaufend erwiesen, so dass, wenn jene Männer mit Recht darauf beharren, der wirkliche Jesus habe so nicht handeln können, das aber nur mit Unrecht leugnen, dass der Verfasser des vierten Evangeliums seinen Jesus so handeln lasse, nichts Ande- res übrig bleibt, als aus dieser Incongruenz des johannei- schen Christus und des denkbar wirklichen mit den Pro- babilien 37) auf den unhistorischen Charakter der johan- neischen Erzählung zu schliessen. Auch das angebliche Benehmen der Jünger V. 12. f. 34) Tholuck, S. 202. Olshausen, 2, S. 260. 35) a. a. O. 36) Andachtsbuch, 1, S. 292 f. 37) S. 59 f. 79.
Zweiter Abschnitt. ger zu stärken, die Wiederbelebung des Gestorbenen wirk-samer sein werde, als die Heilung des nur erst Kranken hätte sein können. Absichtlich also hatte Jesus den La- zarus erst sterben lassen, um durch seine wunderbare Er- weckung sich um so mehr Glauben zu verschaffen. Das- selbe im Ganzen fassen Tholuck und Olshausen nur zu mo- ralisch, wenn sie von einer pädagogischen Absicht Jesu reden, den Seelenzustand der Bethanischen Familie und seiner Jünger zu vollenden 34), da es doch nach Ausdrü- cken, wie ἵνα δοξασϑῇ ὁ υἱὸς τ. ϑ. (V.4.), vielmehr mes- sianisch um Verbreitung und Befestigung des Glaubens an Jesum als Gottessohn, zunächst freilich in jenem engsten Kreise, zu thun war. Hier ruft zwar Lücke: nimmer- mehr! so willkührlich und eigensinnig hat der Helfer in der Noth, der edelste Menschenfreund, nie gehandelt 35), und auch de Wette macht darauf aufmerksam, daſs Jesus sonst niemals seine Wunder absichtlich herbeigeführt oder vergröſsert habe 36). Allein wenn beide hieraus schlieſsen, es müsse also Jesum irgend etwas Äusseres, ein anderwei- tiges Berufsgeschäft, abgehalten haben: so ist dieſs im Obigen schon als dem Bericht zuwiderlaufend erwiesen, so daſs, wenn jene Männer mit Recht darauf beharren, der wirkliche Jesus habe so nicht handeln können, das aber nur mit Unrecht leugnen, daſs der Verfasser des vierten Evangeliums seinen Jesus so handeln lasse, nichts Ande- res übrig bleibt, als aus dieser Incongruenz des johannei- schen Christus und des denkbar wirklichen mit den Pro- babilien 37) auf den unhistorischen Charakter der johan- neischen Erzählung zu schlieſsen. Auch das angebliche Benehmen der Jünger V. 12. f. 34) Tholuck, S. 202. Olshausen, 2, S. 260. 35) a. a. O. 36) Andachtsbuch, 1, S. 292 f. 37) S. 59 f. 79.
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Zweiter Abschnitt.
ger zu stärken, die Wiederbelebung des Gestorbenen wirk-
samer sein werde, als die Heilung des nur erst Kranken
hätte sein können. Absichtlich also hatte Jesus den La-
zarus erst sterben lassen, um durch seine wunderbare Er-
weckung sich um so mehr Glauben zu verschaffen. Das-
selbe im Ganzen fassen Tholuck und Olshausen nur zu mo-
ralisch, wenn sie von einer pädagogischen Absicht Jesu
reden, den Seelenzustand der Bethanischen Familie und
seiner Jünger zu vollenden 34), da es doch nach Ausdrü-
cken, wie ἵνα δοξασϑῇ ὁ υἱὸς τ. ϑ. (V.4.), vielmehr mes-
sianisch um Verbreitung und Befestigung des Glaubens an
Jesum als Gottessohn, zunächst freilich in jenem engsten
Kreise, zu thun war. Hier ruft zwar Lücke: nimmer-
mehr! so willkührlich und eigensinnig hat der Helfer in
der Noth, der edelste Menschenfreund, nie gehandelt 35),
und auch de Wette macht darauf aufmerksam, daſs Jesus
sonst niemals seine Wunder absichtlich herbeigeführt oder
vergröſsert habe 36). Allein wenn beide hieraus schlieſsen,
es müsse also Jesum irgend etwas Äusseres, ein anderwei-
tiges Berufsgeschäft, abgehalten haben: so ist dieſs im
Obigen schon als dem Bericht zuwiderlaufend erwiesen, so
daſs, wenn jene Männer mit Recht darauf beharren, der
wirkliche Jesus habe so nicht handeln können, das aber
nur mit Unrecht leugnen, daſs der Verfasser des vierten
Evangeliums seinen Jesus so handeln lasse, nichts Ande-
res übrig bleibt, als aus dieser Incongruenz des johannei-
schen Christus und des denkbar wirklichen mit den Pro-
babilien 37) auf den unhistorischen Charakter der johan-
neischen Erzählung zu schlieſsen.
Auch das angebliche Benehmen der Jünger V. 12. f.
muſs befremden. Wenn ihnen Jesus doch, sofern jeden-
34) Tholuck, S. 202. Olshausen, 2, S. 260.
35) a. a. O.
36) Andachtsbuch, 1, S. 292 f.
37) S. 59 f. 79.
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