bilien nicht aufgerüttelt, noch immer festhält) vorwirft, nicht so sehr, um uns von der bestimmten Erklärung zu- rückzuhalten, dass wir die Erweckungsgeschichte des La- zarus für die wie innerlich unwahrscheinlichste, so äusser- lich am wenigsten beglaubigte halten, und auch diesen Ab- schnitt in Verbindung mit den bisher beleuchteten als Kenn- zeichen der Unächtheit des vierten Evangeliums betrachten.
Sind auf diese Weise alle drei evangelische Todtener- weckungsgeschichten durch negative Gründe mehr oder minder zweifelhaft gemacht, so fehlt jezt nur noch der po- sitive Nachweis, dass leicht auch ohne historischen Grund die Sage, Jesus habe Todte erweckt, sich bilden konnte. Vom Messias wurde bei seiner Ankunft nach rabbini- schen 54) wie nach N. T.lichen Stellen (z. B. Joh. 5, 28 f. 6, 40. 44. 1. Kor. 15. 1. Thess. 4, 16.) die Auferweckung der Todten erwartet. Nun war aber die parousia des Mes- sias Jesus in der Ansicht der ersten Gemeinde durch sei- nen Tod in zwei Stücke gebrochen: in seine erste vorbe- reitende Anwesenheit, welche mit seiner menschlichen Ge- burt begann und mit der Auferstehung und Himmelfahrt schloss, und in die zweite, noch zu erwartende Ankunft in den Wolken des Himmels, um den aion mellon wirk- lich zu eröffnen. Da es der ersten Parusie Jesu an der von einem Messias erwarteten Herrlichkeit gefehlt hatte, so wurden die grossartigen Bethätigungen messianischer Macht, wie namentlich die allgemeine Todtenerweckung, in die zweite, noch bevorstehende Parusie verlegt. Doch musste, zum Unterpfand für das zu Erwartende, auch schon durch die erste Anwesenheit die Herrlichkeit der zweiten in einzelnen Proben hindurchgeschimmert, Jesus seinen Beruf, einst alle Todte zu erwecken, schon bei sei- ner ersten Ankunft durch Erweckung einiger Todten be- urkundet haben, er musste, um seine Messianität gefragt,
54)Bertholdt, Christol. Jud. §. 35.
Neuntes Kapitel. §. 96.
bilien nicht aufgerüttelt, noch immer festhält) vorwirft, nicht so sehr, um uns von der bestimmten Erklärung zu- rückzuhalten, daſs wir die Erweckungsgeschichte des La- zarus für die wie innerlich unwahrscheinlichste, so äusser- lich am wenigsten beglaubigte halten, und auch diesen Ab- schnitt in Verbindung mit den bisher beleuchteten als Kenn- zeichen der Unächtheit des vierten Evangeliums betrachten.
Sind auf diese Weise alle drei evangelische Todtener- weckungsgeschichten durch negative Gründe mehr oder minder zweifelhaft gemacht, so fehlt jezt nur noch der po- sitive Nachweis, daſs leicht auch ohne historischen Grund die Sage, Jesus habe Todte erweckt, sich bilden konnte. Vom Messias wurde bei seiner Ankunft nach rabbini- schen 54) wie nach N. T.lichen Stellen (z. B. Joh. 5, 28 f. 6, 40. 44. 1. Kor. 15. 1. Thess. 4, 16.) die Auferweckung der Todten erwartet. Nun war aber die παρουσία des Mes- sias Jesus in der Ansicht der ersten Gemeinde durch sei- nen Tod in zwei Stücke gebrochen: in seine erste vorbe- reitende Anwesenheit, welche mit seiner menschlichen Ge- burt begann und mit der Auferstehung und Himmelfahrt schloſs, und in die zweite, noch zu erwartende Ankunft in den Wolken des Himmels, um den αἰὼν μέλλων wirk- lich zu eröffnen. Da es der ersten Parusie Jesu an der von einem Messias erwarteten Herrlichkeit gefehlt hatte, so wurden die groſsartigen Bethätigungen messianischer Macht, wie namentlich die allgemeine Todtenerweckung, in die zweite, noch bevorstehende Parusie verlegt. Doch muſste, zum Unterpfand für das zu Erwartende, auch schon durch die erste Anwesenheit die Herrlichkeit der zweiten in einzelnen Proben hindurchgeschimmert, Jesus seinen Beruf, einst alle Todte zu erwecken, schon bei sei- ner ersten Ankunft durch Erweckung einiger Todten be- urkundet haben, er muſste, um seine Messianität gefragt,
54)Bertholdt, Christol. Jud. §. 35.
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Neuntes Kapitel. §. 96.
bilien nicht aufgerüttelt, noch immer festhält) vorwirft,
nicht so sehr, um uns von der bestimmten Erklärung zu-
rückzuhalten, daſs wir die Erweckungsgeschichte des La-
zarus für die wie innerlich unwahrscheinlichste, so äusser-
lich am wenigsten beglaubigte halten, und auch diesen Ab-
schnitt in Verbindung mit den bisher beleuchteten als Kenn-
zeichen der Unächtheit des vierten Evangeliums betrachten.
Sind auf diese Weise alle drei evangelische Todtener-
weckungsgeschichten durch negative Gründe mehr oder
minder zweifelhaft gemacht, so fehlt jezt nur noch der po-
sitive Nachweis, daſs leicht auch ohne historischen Grund
die Sage, Jesus habe Todte erweckt, sich bilden konnte.
Vom Messias wurde bei seiner Ankunft nach rabbini-
schen 54) wie nach N. T.lichen Stellen (z. B. Joh. 5, 28 f.
6, 40. 44. 1. Kor. 15. 1. Thess. 4, 16.) die Auferweckung
der Todten erwartet. Nun war aber die παρουσία des Mes-
sias Jesus in der Ansicht der ersten Gemeinde durch sei-
nen Tod in zwei Stücke gebrochen: in seine erste vorbe-
reitende Anwesenheit, welche mit seiner menschlichen Ge-
burt begann und mit der Auferstehung und Himmelfahrt
schloſs, und in die zweite, noch zu erwartende Ankunft
in den Wolken des Himmels, um den αἰὼν μέλλων wirk-
lich zu eröffnen. Da es der ersten Parusie Jesu an der
von einem Messias erwarteten Herrlichkeit gefehlt hatte,
so wurden die groſsartigen Bethätigungen messianischer
Macht, wie namentlich die allgemeine Todtenerweckung,
in die zweite, noch bevorstehende Parusie verlegt. Doch
muſste, zum Unterpfand für das zu Erwartende, auch
schon durch die erste Anwesenheit die Herrlichkeit der
zweiten in einzelnen Proben hindurchgeschimmert, Jesus
seinen Beruf, einst alle Todte zu erwecken, schon bei sei-
ner ersten Ankunft durch Erweckung einiger Todten be-
urkundet haben, er muſste, um seine Messianität gefragt,
54) Bertholdt, Christol. Jud. §. 35.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/190>, abgerufen am 21.11.2024.
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