die Rede ist, doch wohl kein Wandeln am Ufer sein kann, und wenn dieses nicht, dann auch nicht das wesentlich ebenso bezeichnete Wandeln Jesu 10).
Aber, wenn Petrus bei seinem peripatein epi ta udata zu sinken anfieng, könnte da nicht bei ihm sowohl als bei Jesus an ein Schwimmen auf dem See oder an ein Waten durch seine Untiefen zu denken sein? Beide Ansichten sind wirklich aufgestellt worden 11). Allein das Waten müsste durch peripatein dia t. th. ausgedrückt, um das Schwimmen zu bezeichnen aber doch irgend einmal in den parallelen Stellen der uneigentliche Ausdruck mit dem ei- gentlichen vertauscht sein; abgesehen davon, dass 25--30 Stadien im Sturm zu schwimmen, oder bis gegen die Mitte des gewiss nicht so weit hinein seichten Sees zu waten, beides gleich unmöglich sein musste, ferner ein Schwim- mender nicht leicht für ein Gespenst gehalten werden konn- te, und endlich die Bitte des Petrus um besondere Erlaub- niss, es Jesu nachzuthun, und dass er wegen Mangels an Glauben es nicht vermochte, auf etwas Übernatürliches hinweist 12).
Das Räsonnement, worauf auch hier die natürliche Ausle- gungsweise beruht, hat bei dieser Gelegenheit Paulus in einer Weise ausgesprochen, an welcher der zum Grunde liegende Irrthum besonders glücklich in die Augen fällt. Die Frage, sagt er, bleibe in solchen Fällen immer die, ob die Möglichkeit eines nicht ganz genauen Ausdrucks von Seiten der Schriftsteller, oder eine Abweichung vom Na- turlauf das Wahrscheinlichere sei? Man sieht, wie falsch das Dilemma gestellt ist, da es vielmehr nur heissen sollte,
10) Gegen die höchst gewaltsame Auskunft, welche hier Paulus traf, s. Storr, Opusc. acad. 3, p. 288.
11) Jene von Bolten, Bericht des Matthäus z. d. St., diese in Henre's neuem Magazin, 6, 2, S. 327 ff.
12) vgl. Paulus und Fritzsche z. d. St.
Neuntes Kapitel. §. 97.
die Rede ist, doch wohl kein Wandeln am Ufer sein kann, und wenn dieses nicht, dann auch nicht das wesentlich ebenso bezeichnete Wandeln Jesu 10).
Aber, wenn Petrus bei seinem περιπατεῖν ἐπὶ τὰ ὕδατα zu sinken anfieng, könnte da nicht bei ihm sowohl als bei Jesus an ein Schwimmen auf dem See oder an ein Waten durch seine Untiefen zu denken sein? Beide Ansichten sind wirklich aufgestellt worden 11). Allein das Waten müſste durch περιπατεῖν διὰ τ. ϑ. ausgedrückt, um das Schwimmen zu bezeichnen aber doch irgend einmal in den parallelen Stellen der uneigentliche Ausdruck mit dem ei- gentlichen vertauscht sein; abgesehen davon, daſs 25—30 Stadien im Sturm zu schwimmen, oder bis gegen die Mitte des gewiſs nicht so weit hinein seichten Sees zu waten, beides gleich unmöglich sein muſste, ferner ein Schwim- mender nicht leicht für ein Gespenst gehalten werden konn- te, und endlich die Bitte des Petrus um besondere Erlaub- niſs, es Jesu nachzuthun, und daſs er wegen Mangels an Glauben es nicht vermochte, auf etwas Übernatürliches hinweist 12).
Das Räsonnement, worauf auch hier die natürliche Ausle- gungsweise beruht, hat bei dieser Gelegenheit Paulus in einer Weise ausgesprochen, an welcher der zum Grunde liegende Irrthum besonders glücklich in die Augen fällt. Die Frage, sagt er, bleibe in solchen Fällen immer die, ob die Möglichkeit eines nicht ganz genauen Ausdrucks von Seiten der Schriftsteller, oder eine Abweichung vom Na- turlauf das Wahrscheinlichere sei? Man sieht, wie falsch das Dilemma gestellt ist, da es vielmehr nur heiſsen sollte,
10) Gegen die höchst gewaltsame Auskunft, welche hier Paulus traf, s. Storr, Opusc. acad. 3, p. 288.
11) Jene von Bolten, Bericht des Matthäus z. d. St., diese in Henre's neuem Magazin, 6, 2, S. 327 ff.
12) vgl. Paulus und Fritzsche z. d. St.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0202"n="183"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Neuntes Kapitel</hi>. §. 97.</fw><lb/>
die Rede ist, doch wohl kein Wandeln am Ufer sein kann,<lb/>
und wenn dieses nicht, dann auch nicht das wesentlich<lb/>
ebenso bezeichnete Wandeln Jesu <noteplace="foot"n="10)">Gegen die höchst gewaltsame Auskunft, welche hier <hirendition="#k">Paulus</hi><lb/>
traf, s. <hirendition="#k">Storr</hi>, Opusc. acad. 3, p. 288.</note>.</p><lb/><p>Aber, wenn Petrus bei seinem <foreignxml:lang="ell">περιπατεῖνἐπὶτὰὕδατα</foreign><lb/>
zu sinken anfieng, könnte da nicht bei ihm sowohl als bei<lb/>
Jesus an ein Schwimmen auf dem See oder an ein Waten<lb/>
durch seine Untiefen zu denken sein? Beide Ansichten<lb/>
sind wirklich aufgestellt worden <noteplace="foot"n="11)">Jene von <hirendition="#k">Bolten</hi>, Bericht des Matthäus z. d. St., diese in<lb/><hirendition="#k">Henre</hi>'s neuem Magazin, 6, 2, S. 327 ff.</note>. Allein das Waten<lb/>
müſste durch <foreignxml:lang="ell">περιπατεῖν<hirendition="#g">διὰ</hi>τ. ϑ.</foreign> ausgedrückt, um das<lb/>
Schwimmen zu bezeichnen aber doch irgend einmal in den<lb/>
parallelen Stellen der uneigentliche Ausdruck mit dem ei-<lb/>
gentlichen vertauscht sein; abgesehen davon, daſs 25—30<lb/>
Stadien im Sturm zu schwimmen, oder bis gegen die Mitte<lb/>
des gewiſs nicht so weit hinein seichten Sees zu waten,<lb/>
beides gleich unmöglich sein muſste, ferner ein Schwim-<lb/>
mender nicht leicht für ein Gespenst gehalten werden konn-<lb/>
te, und endlich die Bitte des Petrus um besondere Erlaub-<lb/>
niſs, es Jesu nachzuthun, und daſs er wegen Mangels an<lb/>
Glauben es nicht vermochte, auf etwas Übernatürliches<lb/>
hinweist <noteplace="foot"n="12)">vgl. <hirendition="#k">Paulus</hi> und <hirendition="#k">Fritzsche</hi> z. d. St.</note>.</p><lb/><p>Das Räsonnement, worauf auch hier die natürliche Ausle-<lb/>
gungsweise beruht, hat bei dieser Gelegenheit <hirendition="#k">Paulus</hi> in<lb/>
einer Weise ausgesprochen, an welcher der zum Grunde<lb/>
liegende Irrthum besonders glücklich in die Augen fällt.<lb/>
Die Frage, sagt er, bleibe in solchen Fällen immer die,<lb/>
ob die Möglichkeit eines nicht ganz genauen Ausdrucks von<lb/>
Seiten der Schriftsteller, oder eine Abweichung vom Na-<lb/>
turlauf das Wahrscheinlichere sei? Man sieht, wie falsch<lb/>
das Dilemma gestellt ist, da es vielmehr nur heiſsen sollte,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[183/0202]
Neuntes Kapitel. §. 97.
die Rede ist, doch wohl kein Wandeln am Ufer sein kann,
und wenn dieses nicht, dann auch nicht das wesentlich
ebenso bezeichnete Wandeln Jesu 10).
Aber, wenn Petrus bei seinem περιπατεῖν ἐπὶ τὰ ὕδατα
zu sinken anfieng, könnte da nicht bei ihm sowohl als bei
Jesus an ein Schwimmen auf dem See oder an ein Waten
durch seine Untiefen zu denken sein? Beide Ansichten
sind wirklich aufgestellt worden 11). Allein das Waten
müſste durch περιπατεῖν διὰ τ. ϑ. ausgedrückt, um das
Schwimmen zu bezeichnen aber doch irgend einmal in den
parallelen Stellen der uneigentliche Ausdruck mit dem ei-
gentlichen vertauscht sein; abgesehen davon, daſs 25—30
Stadien im Sturm zu schwimmen, oder bis gegen die Mitte
des gewiſs nicht so weit hinein seichten Sees zu waten,
beides gleich unmöglich sein muſste, ferner ein Schwim-
mender nicht leicht für ein Gespenst gehalten werden konn-
te, und endlich die Bitte des Petrus um besondere Erlaub-
niſs, es Jesu nachzuthun, und daſs er wegen Mangels an
Glauben es nicht vermochte, auf etwas Übernatürliches
hinweist 12).
Das Räsonnement, worauf auch hier die natürliche Ausle-
gungsweise beruht, hat bei dieser Gelegenheit Paulus in
einer Weise ausgesprochen, an welcher der zum Grunde
liegende Irrthum besonders glücklich in die Augen fällt.
Die Frage, sagt er, bleibe in solchen Fällen immer die,
ob die Möglichkeit eines nicht ganz genauen Ausdrucks von
Seiten der Schriftsteller, oder eine Abweichung vom Na-
turlauf das Wahrscheinlichere sei? Man sieht, wie falsch
das Dilemma gestellt ist, da es vielmehr nur heiſsen sollte,
10) Gegen die höchst gewaltsame Auskunft, welche hier Paulus
traf, s. Storr, Opusc. acad. 3, p. 288.
11) Jene von Bolten, Bericht des Matthäus z. d. St., diese in
Henre's neuem Magazin, 6, 2, S. 327 ff.
12) vgl. Paulus und Fritzsche z. d. St.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/202>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.