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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
moralische Zweck der Strafe nämlich, den Gestraften zur
Einsicht und Anerkenntniss seines Fehlers zu bringen und
dadurch zu bessern, fällt einem Baume gegenüber völlig
weg, und selbst von Strafe als Vergeltung kann bei einem
unfreien Naturgegenstande nicht die Rede sein 3). Sich
gegen einen leblosen Gegenstand, den man eben nicht im
erwünschten Zustand findet, zu ereifern, wird mit Recht
als Mangel an Bildung ausgelegt; in solcher Entrüstung
bis zur Zerstörung des Gegenstandes fortzugehen, wird
selbst für roh und unwürdig angesehen, und Woolston hat
so Unrecht nicht, wenn er behauptet, an jedem Andern
als an Jesu würde eine solche Handlung streng getadelt
werden 4). Zwar bei wirklich objektiv und habituell feh-
lerhafter Beschaffenheit eines Naturgegenstandes kann es
wohl etwa geschehen, dass der Mensch ihn aus dem Wege
räumt, um einen bessern an seine Stelle zu setzen, wozu
übrigens immer nur der Eigenthümer die gehörige Auffor-
derung und Befugniss hat (vgl. Luc. 13, 7.). Dass aber
dieser Baum, weil er eben damals keine Früchte bot, auch
im folgenden Jahre keine getragen haben würde, verstand
sich keineswegs von selbst, und auch in der Erzählung
wird das Gegentheil angedeutet, wenn Jesus seine Verwün-
schung so ausdrückt, dass auf dem Baume nie mehr Früch-
te wachsen sollen, was also ohne diesen Fluch voraussez-
lich doch noch geschehen sein würde.

War so die üble Beschaffenheit des Baums keine ha-
bituelle, sondern nur eine vorübergehende, so war sie,
wenn wir dem Markus weiter folgen, nicht einmal eine ob-
jektive, sondern rein subjektiv nur in dem zufälligen Ver-
hältniss des Baums zu dem augenblicklichen Wunsch und

3) Augustin, de verbis Domini in ev. sec. Joann. sermo 44:
Quid arbor fecerat, fructum non afferendo? quae culpa ar-
boris infoecunditas?
4) Disc. 4.

Zweiter Abschnitt.
moralische Zweck der Strafe nämlich, den Gestraften zur
Einsicht und Anerkenntniſs seines Fehlers zu bringen und
dadurch zu bessern, fällt einem Baume gegenüber völlig
weg, und selbst von Strafe als Vergeltung kann bei einem
unfreien Naturgegenstande nicht die Rede sein 3). Sich
gegen einen leblosen Gegenstand, den man eben nicht im
erwünschten Zustand findet, zu ereifern, wird mit Recht
als Mangel an Bildung ausgelegt; in solcher Entrüstung
bis zur Zerstörung des Gegenstandes fortzugehen, wird
selbst für roh und unwürdig angesehen, und Woolston hat
so Unrecht nicht, wenn er behauptet, an jedem Andern
als an Jesu würde eine solche Handlung streng getadelt
werden 4). Zwar bei wirklich objektiv und habituell feh-
lerhafter Beschaffenheit eines Naturgegenstandes kann es
wohl etwa geschehen, daſs der Mensch ihn aus dem Wege
räumt, um einen bessern an seine Stelle zu setzen, wozu
übrigens immer nur der Eigenthümer die gehörige Auffor-
derung und Befugniſs hat (vgl. Luc. 13, 7.). Daſs aber
dieser Baum, weil er eben damals keine Früchte bot, auch
im folgenden Jahre keine getragen haben würde, verstand
sich keineswegs von selbst, und auch in der Erzählung
wird das Gegentheil angedeutet, wenn Jesus seine Verwün-
schung so ausdrückt, daſs auf dem Baume nie mehr Früch-
te wachsen sollen, was also ohne diesen Fluch voraussez-
lich doch noch geschehen sein würde.

War so die üble Beschaffenheit des Baums keine ha-
bituelle, sondern nur eine vorübergehende, so war sie,
wenn wir dem Markus weiter folgen, nicht einmal eine ob-
jektive, sondern rein subjektiv nur in dem zufälligen Ver-
hältniſs des Baums zu dem augenblicklichen Wunsch und

3) Augustin, de verbis Domini in ev. sec. Joann. sermo 44:
Quid arbor fecerat, fructum non afferendo? quae culpa ar-
boris infoecunditas?
4) Disc. 4.
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[240/0259] Zweiter Abschnitt. moralische Zweck der Strafe nämlich, den Gestraften zur Einsicht und Anerkenntniſs seines Fehlers zu bringen und dadurch zu bessern, fällt einem Baume gegenüber völlig weg, und selbst von Strafe als Vergeltung kann bei einem unfreien Naturgegenstande nicht die Rede sein 3). Sich gegen einen leblosen Gegenstand, den man eben nicht im erwünschten Zustand findet, zu ereifern, wird mit Recht als Mangel an Bildung ausgelegt; in solcher Entrüstung bis zur Zerstörung des Gegenstandes fortzugehen, wird selbst für roh und unwürdig angesehen, und Woolston hat so Unrecht nicht, wenn er behauptet, an jedem Andern als an Jesu würde eine solche Handlung streng getadelt werden 4). Zwar bei wirklich objektiv und habituell feh- lerhafter Beschaffenheit eines Naturgegenstandes kann es wohl etwa geschehen, daſs der Mensch ihn aus dem Wege räumt, um einen bessern an seine Stelle zu setzen, wozu übrigens immer nur der Eigenthümer die gehörige Auffor- derung und Befugniſs hat (vgl. Luc. 13, 7.). Daſs aber dieser Baum, weil er eben damals keine Früchte bot, auch im folgenden Jahre keine getragen haben würde, verstand sich keineswegs von selbst, und auch in der Erzählung wird das Gegentheil angedeutet, wenn Jesus seine Verwün- schung so ausdrückt, daſs auf dem Baume nie mehr Früch- te wachsen sollen, was also ohne diesen Fluch voraussez- lich doch noch geschehen sein würde. War so die üble Beschaffenheit des Baums keine ha- bituelle, sondern nur eine vorübergehende, so war sie, wenn wir dem Markus weiter folgen, nicht einmal eine ob- jektive, sondern rein subjektiv nur in dem zufälligen Ver- hältniſs des Baums zu dem augenblicklichen Wunsch und 3) Augustin, de verbis Domini in ev. sec. Joann. sermo 44: Quid arbor fecerat, fructum non afferendo? quae culpa ar- boris infoecunditas? 4) Disc. 4.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/259>, abgerufen am 22.11.2024.