standen werden konnte (wie Matth. a. d. a. St. Jesum ganz unumwunden sich erklären lässt). So hingegen, wie wir hier den Ausspruch Jesu haben, konnte er, als ihn Jesus that, unmöglich in diesem Sinne begriffen werden. Denn wer im Tempel von der Zerstörung dieses Tempels spricht, dessen Rede wird Jedermann auf eben das Tem- gebäude, in welchem er sich befindet, beziehen. Es müss- te demnach Jesus, als er das ton naon touton sprach, auf seinen Leib gedeutet haben, was auch die Freunde dieser Erklärung meistens voraussetzen 2). Allein für's Erste sagt der Evangelist von einem solchen Gestus nichts, un- erachtet es in seinem Interesse lag, zur Unterstützung sei- ner Deutung denselben hervorzuheben. Für's Andere hat Gabler mit Recht darauf aufmerksam gemacht, wie matt und schaal es gewesen wäre, einer Rede, welche nach Al- lem, was in ihr Wort, also Logisches war, sich auf das Tempelgebäude bezog, durch einen blossen Zusaz von Mi- mischem eine ganz andere Beziehung zu geben. Hat sich aber Jesus dieser Hülfe bedient, so konnte sein Fingerzeig nicht unbemerkt bleiben; es mussten die Juden eher dar- über mit ihm rechten, wie er zu dem Übermuth komme, seinen Leib naos zu nennen, oder wenn auch diess nicht, so konnten doch in Folge jener Aktion die Jünger nicht bis nach der Auferstehung Jesu über den Sinn seiner Re- de im Dunkeln bleiben 3).
Durch diese Schwierigkeiten fand sich die neuere Exegese gedrungen, die johanneische Auslegung der Wor- te Jesu als eine ex eventu gemachte Missdeutung zu ver- lassen, und zu versuchen, unabhängig von der Erklärung
2) s. Tholuck, a. a. O.
3)Henke, Joannes apostolus nonnullorum Jesu apophthegmatum in evang. suo et ipse interpres. In Porr's und Ruperti's Syl- loge Comm. theol. 1, S. 9; Gabler, Recension des Henke'- schen Programms im neuesten theol. Journal, 2, 1, S. 88; Lücke, z. d. St.
Dritter Abschnitt.
standen werden konnte (wie Matth. a. d. a. St. Jesum ganz unumwunden sich erklären läſst). So hingegen, wie wir hier den Ausspruch Jesu haben, konnte er, als ihn Jesus that, unmöglich in diesem Sinne begriffen werden. Denn wer im Tempel von der Zerstörung dieses Tempels spricht, dessen Rede wird Jedermann auf eben das Tem- gebäude, in welchem er sich befindet, beziehen. Es müſs- te demnach Jesus, als er das τὸν ναὸν τοῦτον sprach, auf seinen Leib gedeutet haben, was auch die Freunde dieser Erklärung meistens voraussetzen 2). Allein für's Erste sagt der Evangelist von einem solchen Gestus nichts, un- erachtet es in seinem Interesse lag, zur Unterstützung sei- ner Deutung denselben hervorzuheben. Für's Andere hat Gabler mit Recht darauf aufmerksam gemacht, wie matt und schaal es gewesen wäre, einer Rede, welche nach Al- lem, was in ihr Wort, also Logisches war, sich auf das Tempelgebäude bezog, durch einen bloſsen Zusaz von Mi- mischem eine ganz andere Beziehung zu geben. Hat sich aber Jesus dieser Hülfe bedient, so konnte sein Fingerzeig nicht unbemerkt bleiben; es muſsten die Juden eher dar- über mit ihm rechten, wie er zu dem Übermuth komme, seinen Leib ναὸς zu nennen, oder wenn auch dieſs nicht, so konnten doch in Folge jener Aktion die Jünger nicht bis nach der Auferstehung Jesu über den Sinn seiner Re- de im Dunkeln bleiben 3).
Durch diese Schwierigkeiten fand sich die neuere Exegese gedrungen, die johanneische Auslegung der Wor- te Jesu als eine ex eventu gemachte Miſsdeutung zu ver- lassen, und zu versuchen, unabhängig von der Erklärung
2) s. Tholuck, a. a. O.
3)Henke, Joannes apostolus nonnullorum Jesu apophthegmatum in evang. suo et ipse interpres. In Porr's und Ruperti's Syl- loge Comm. theol. 1, S. 9; Gabler, Recension des Henke'- schen Programms im neuesten theol. Journal, 2, 1, S. 88; Lücke, z. d. St.
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Dritter Abschnitt.
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Jesus that, unmöglich in diesem Sinne begriffen werden.
Denn wer im Tempel von der Zerstörung dieses Tempels
spricht, dessen Rede wird Jedermann auf eben das Tem-
gebäude, in welchem er sich befindet, beziehen. Es müſs-
te demnach Jesus, als er das τὸν ναὸν τοῦτον sprach, auf
seinen Leib gedeutet haben, was auch die Freunde dieser
Erklärung meistens voraussetzen 2). Allein für's Erste
sagt der Evangelist von einem solchen Gestus nichts, un-
erachtet es in seinem Interesse lag, zur Unterstützung sei-
ner Deutung denselben hervorzuheben. Für's Andere hat
Gabler mit Recht darauf aufmerksam gemacht, wie matt
und schaal es gewesen wäre, einer Rede, welche nach Al-
lem, was in ihr Wort, also Logisches war, sich auf das
Tempelgebäude bezog, durch einen bloſsen Zusaz von Mi-
mischem eine ganz andere Beziehung zu geben. Hat sich
aber Jesus dieser Hülfe bedient, so konnte sein Fingerzeig
nicht unbemerkt bleiben; es muſsten die Juden eher dar-
über mit ihm rechten, wie er zu dem Übermuth komme,
seinen Leib ναὸς zu nennen, oder wenn auch dieſs nicht,
so konnten doch in Folge jener Aktion die Jünger nicht
bis nach der Auferstehung Jesu über den Sinn seiner Re-
de im Dunkeln bleiben 3).
Durch diese Schwierigkeiten fand sich die neuere
Exegese gedrungen, die johanneische Auslegung der Wor-
te Jesu als eine ex eventu gemachte Miſsdeutung zu ver-
lassen, und zu versuchen, unabhängig von der Erklärung
2) s. Tholuck, a. a. O.
3) Henke, Joannes apostolus nonnullorum Jesu apophthegmatum
in evang. suo et ipse interpres. In Porr's und Ruperti's Syl-
loge Comm. theol. 1, S. 9; Gabler, Recension des Henke'-
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/349>, abgerufen am 18.06.2024.
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