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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
in den nächsten Verhältnissen gestanden, ganz entgegen-
geseztem Loos überantworten werde (V. 40. 41.). Darum
sei Wachsamkeit noth (V. 42.), wie immer, wenn von ei-
nem entscheidenden Erfolge der Zeitpunkt seines Eintref-
fens unbekannt sei, was sofort durch das Bild vom Haus-
herrn und Dieb (V. 43. 44.), vom Knechte, dem der ver-
reisende Herr die Aufsicht über das Hauswesen anver-
traut (V. 45--51.), ferner von den klugen und thörichten
Jungfrauen (25, 1--13.), endlich von den Talenten (V. 14
--30.), veranschaulicht wird. Hierauf folgt eine Beschrei-
bung des feierlichen Gerichts, welches der Messias über
alle Völker halten, und in welchem er nach der Rücksicht,
ob einer die Pflichten der Menschenliebe beobachtet oder
hintangesezt habe, Seligkeit oder Verdammniss zuerkennen
werde (V. 31--46.). 1).

In diesen Reden kündigt also Jesus bald (eutheos, 24,
29.) nach derjenigen Drangsal, in welcher wir (nament-
lich nach der Darstellung des Lukasevangeliums) die Bela-
gerung von Jerusalem und die Zerstörung des Tempels er-
kennen müssen, und so, dass es die Generation seiner Zeit-
genossen (e genea aute V. 34.) noch erleben werde, seine
sichtbare Wiederkunft in den Wolken und das Ende der
gegenwärtigen Zeitperiode an. Da nun bald vor 1800 Jah-
ren die Zerstörung des jüdischen Tempels erfolgt, und eben-
solange her die Zeitgenossenschaft Jesu ausgestorben, seine
sichtbare Wiederkunft aber und das von ihm mit dersel-
ben in Verbindung gesezte Weltende noch immer nicht ein-
getreten ist: so scheint insofern die Vorherverkündigung
Jesu eine irrige gewesen zu sein. Schon in der ältesten
christlichen Zeit, da die Wiederkunft Christi sich länger
verzog, als man sich gedacht hatte, standen, nach 2. Petr.
3, 3 f., Spötter mit der Frage auf: pou esin e epaggelia

1) Vgl. über den Inhalt und Zusammenhang dieser Reden
Fritzsche, in Matth. p. 695 ff.

Dritter Abschnitt.
in den nächsten Verhältnissen gestanden, ganz entgegen-
geseztem Loos überantworten werde (V. 40. 41.). Darum
sei Wachsamkeit noth (V. 42.), wie immer, wenn von ei-
nem entscheidenden Erfolge der Zeitpunkt seines Eintref-
fens unbekannt sei, was sofort durch das Bild vom Haus-
herrn und Dieb (V. 43. 44.), vom Knechte, dem der ver-
reisende Herr die Aufsicht über das Hauswesen anver-
traut (V. 45—51.), ferner von den klugen und thörichten
Jungfrauen (25, 1—13.), endlich von den Talenten (V. 14
—30.), veranschaulicht wird. Hierauf folgt eine Beschrei-
bung des feierlichen Gerichts, welches der Messias über
alle Völker halten, und in welchem er nach der Rücksicht,
ob einer die Pflichten der Menschenliebe beobachtet oder
hintangesezt habe, Seligkeit oder Verdammniſs zuerkennen
werde (V. 31—46.). 1).

In diesen Reden kündigt also Jesus bald (εὐϑέως, 24,
29.) nach derjenigen Drangsal, in welcher wir (nament-
lich nach der Darstellung des Lukasevangeliums) die Bela-
gerung von Jerusalem und die Zerstörung des Tempels er-
kennen müssen, und so, daſs es die Generation seiner Zeit-
genossen (ἡ γενεὰ αὕτη V. 34.) noch erleben werde, seine
sichtbare Wiederkunft in den Wolken und das Ende der
gegenwärtigen Zeitperiode an. Da nun bald vor 1800 Jah-
ren die Zerstörung des jüdischen Tempels erfolgt, und eben-
solange her die Zeitgenossenschaft Jesu ausgestorben, seine
sichtbare Wiederkunft aber und das von ihm mit dersel-
ben in Verbindung gesezte Weltende noch immer nicht ein-
getreten ist: so scheint insofern die Vorherverkündigung
Jesu eine irrige gewesen zu sein. Schon in der ältesten
christlichen Zeit, da die Wiederkunft Christi sich länger
verzog, als man sich gedacht hatte, standen, nach 2. Petr.
3, 3 f., Spötter mit der Frage auf: ποῦ ἐςιν ἡ ἐπαγγελία

1) Vgl. über den Inhalt und Zusammenhang dieser Reden
Fritzsche, in Matth. p. 695 ff.
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[344/0363] Dritter Abschnitt. in den nächsten Verhältnissen gestanden, ganz entgegen- geseztem Loos überantworten werde (V. 40. 41.). Darum sei Wachsamkeit noth (V. 42.), wie immer, wenn von ei- nem entscheidenden Erfolge der Zeitpunkt seines Eintref- fens unbekannt sei, was sofort durch das Bild vom Haus- herrn und Dieb (V. 43. 44.), vom Knechte, dem der ver- reisende Herr die Aufsicht über das Hauswesen anver- traut (V. 45—51.), ferner von den klugen und thörichten Jungfrauen (25, 1—13.), endlich von den Talenten (V. 14 —30.), veranschaulicht wird. Hierauf folgt eine Beschrei- bung des feierlichen Gerichts, welches der Messias über alle Völker halten, und in welchem er nach der Rücksicht, ob einer die Pflichten der Menschenliebe beobachtet oder hintangesezt habe, Seligkeit oder Verdammniſs zuerkennen werde (V. 31—46.). 1). In diesen Reden kündigt also Jesus bald (εὐϑέως, 24, 29.) nach derjenigen Drangsal, in welcher wir (nament- lich nach der Darstellung des Lukasevangeliums) die Bela- gerung von Jerusalem und die Zerstörung des Tempels er- kennen müssen, und so, daſs es die Generation seiner Zeit- genossen (ἡ γενεὰ αὕτη V. 34.) noch erleben werde, seine sichtbare Wiederkunft in den Wolken und das Ende der gegenwärtigen Zeitperiode an. Da nun bald vor 1800 Jah- ren die Zerstörung des jüdischen Tempels erfolgt, und eben- solange her die Zeitgenossenschaft Jesu ausgestorben, seine sichtbare Wiederkunft aber und das von ihm mit dersel- ben in Verbindung gesezte Weltende noch immer nicht ein- getreten ist: so scheint insofern die Vorherverkündigung Jesu eine irrige gewesen zu sein. Schon in der ältesten christlichen Zeit, da die Wiederkunft Christi sich länger verzog, als man sich gedacht hatte, standen, nach 2. Petr. 3, 3 f., Spötter mit der Frage auf: ποῦ ἐςιν ἡ ἐπαγγελία 1) Vgl. über den Inhalt und Zusammenhang dieser Reden Fritzsche, in Matth. p. 695 ff.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/363>, abgerufen am 22.11.2024.