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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Erstes Kapitel. §. 112.
gelischen so viel Verwandtschaft haben 14), dass man nicht
zweifeln kann, es sei hier aus einem Kreise von Zeitvor-
stellungen heraus über die Zeit der Ankunft des Messias
gesprochen. Aber ob der Hauptzug in dem vorliegenden
Gemälde, die Zerstörung des Tempels und Verödung der
Stadt, sich ebenso als ein Theil der allgemeinen Vorstel-
lungen zur Zeit Jesu nachweisen lässt, ist eine andere
Frage. Zwar findet sich in jüdischen Schriften die Mei-
nung, die Geburt des Messias treffe mit der Zerstörung des
Heiligthums zusammen 15): aber diese Vorstellung hat sich
offenbar erst nach dem Untergang des Tempels gebildet,
um aus dem tiefsten Punkte des Unglücks die Quelle des
Trostes entspringen zu lassen. Josephus findet im Daniel
neben dem auf Antiochus Bezüglichen auch eine Weissa-
gung auf die Vernichtung des jüdischen Staats durch die
Römer 16), und, so wenig diess die ursprüngliche Bezie-
hung von irgend einem der Danielischen Gesichte ist:

14) s. die Stellen bei Schöttgen, 2, S. 509 ff.; Bertholdt, §. 13;
Schmidt, Biblioth. 1, S. 24 ff.
15) s. bei Schöttgen, 2, S. 525 f.
16) Antiq. 10, 11, 7. Nachdem er das kleine Horn auf Antiochus
gedeutet, sezt er kurz hinzu: Ton auton de tropon Danielos
kai peri tes ton Romaion egemonias anegrapse, kai oti up au-
ton eremothesetai (to ethnos emon). Auf die Römer bezog er
ohne Zweifel die vierte, eiserne Monarchie, Dan. 2, 40, wie
ausser dem kratesei eis apan, was er ihr zuschreibt, beson-
ders daraus erhellt, dass er ihre Zerstörung durch einen
Stein für etwas noch Zukünftiges erklärt, Antiq. 10, 10, 4:
edelose de kai peri tou lithou Danielos to basilei, all emoi men
ouk edoxe touto isorein, ta parelthonta kai ta gegenemena suggra-
phein,ou ta mellonta opheilonti
. Den Stein nämlich deutet Daniel
2, 44. auf das himmlische Rönigreich, welches das eiserne
zerstören, selbst aber ewig bleiben werde, -- ein messiani-
scher Zug, auf welchen sich Josephus nicht weiter einlassen
will. Dass nach richtiger Auslegung die eisernen Schenkel
des Bildes das macedonische, die aus Thon und Eisen ge-

Erstes Kapitel. §. 112.
gelischen so viel Verwandtschaft haben 14), daſs man nicht
zweifeln kann, es sei hier aus einem Kreise von Zeitvor-
stellungen heraus über die Zeit der Ankunft des Messias
gesprochen. Aber ob der Hauptzug in dem vorliegenden
Gemälde, die Zerstörung des Tempels und Verödung der
Stadt, sich ebenso als ein Theil der allgemeinen Vorstel-
lungen zur Zeit Jesu nachweisen läſst, ist eine andere
Frage. Zwar findet sich in jüdischen Schriften die Mei-
nung, die Geburt des Messias treffe mit der Zerstörung des
Heiligthums zusammen 15): aber diese Vorstellung hat sich
offenbar erst nach dem Untergang des Tempels gebildet,
um aus dem tiefsten Punkte des Unglücks die Quelle des
Trostes entspringen zu lassen. Josephus findet im Daniel
neben dem auf Antiochus Bezüglichen auch eine Weissa-
gung auf die Vernichtung des jüdischen Staats durch die
Römer 16), und, so wenig dieſs die ursprüngliche Bezie-
hung von irgend einem der Danielischen Gesichte ist:

14) s. die Stellen bei Schöttgen, 2, S. 509 ff.; Bertholdt, §. 13;
Schmidt, Biblioth. 1, S. 24 ff.
15) s. bei Schöttgen, 2, S. 525 f.
16) Antiq. 10, 11, 7. Nachdem er das kleine Horn auf Antiochus
gedeutet, sezt er kurz hinzu: Τὸν αὐτὸν δὲ τρόπον Δανιῆλος
καὶ περὶ τῆς τῶν Ῥωμαίων ἡγεμονίας ἀνέγραψε, καὶ ὅτι ὑπ̕ αὐ-
τῶν ἐρημωϑήσεται (τὸ ἔϑνος ἡμῶν). Auf die Römer bezog er
ohne Zweifel die vierte, eiserne Monarchie, Dan. 2, 40, wie
ausser dem κρατήσει εἰς ἅπαν, was er ihr zuschreibt, beson-
ders daraus erhellt, dass er ihre Zerstörung durch einen
Stein für etwas noch Zukünftiges erklärt, Antiq. 10, 10, 4:
ἐδήλωσε δὲ καὶ περὶ τοῦ λίϑου Δανιῆλος τῷ βασιλεῖ, ἀλλ̕ ἐμοὶ μὲν
ουκ ἔδοξε τουτο ἱςορεῖν, τὰ παρελϑόντα καὶ τὰ γεγενημένα συγγρά-
φειν,ου τὰ μέλλοντα ὀφείλοντι
. Den Stein nämlich deutet Daniel
2, 44. auf das himmlische Rönigreich, welches das eiserne
zerstören, selbst aber ewig bleiben werde, — ein messiani-
scher Zug, auf welchen sich Josephus nicht weiter einlassen
will. Dass nach richtiger Auslegung die eisernen Schenkel
des Bildes das macedonische, die aus Thon und Eisen ge-
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[363/0382] Erstes Kapitel. §. 112. gelischen so viel Verwandtschaft haben 14), daſs man nicht zweifeln kann, es sei hier aus einem Kreise von Zeitvor- stellungen heraus über die Zeit der Ankunft des Messias gesprochen. Aber ob der Hauptzug in dem vorliegenden Gemälde, die Zerstörung des Tempels und Verödung der Stadt, sich ebenso als ein Theil der allgemeinen Vorstel- lungen zur Zeit Jesu nachweisen läſst, ist eine andere Frage. Zwar findet sich in jüdischen Schriften die Mei- nung, die Geburt des Messias treffe mit der Zerstörung des Heiligthums zusammen 15): aber diese Vorstellung hat sich offenbar erst nach dem Untergang des Tempels gebildet, um aus dem tiefsten Punkte des Unglücks die Quelle des Trostes entspringen zu lassen. Josephus findet im Daniel neben dem auf Antiochus Bezüglichen auch eine Weissa- gung auf die Vernichtung des jüdischen Staats durch die Römer 16), und, so wenig dieſs die ursprüngliche Bezie- hung von irgend einem der Danielischen Gesichte ist: 14) s. die Stellen bei Schöttgen, 2, S. 509 ff.; Bertholdt, §. 13; Schmidt, Biblioth. 1, S. 24 ff. 15) s. bei Schöttgen, 2, S. 525 f. 16) Antiq. 10, 11, 7. Nachdem er das kleine Horn auf Antiochus gedeutet, sezt er kurz hinzu: Τὸν αὐτὸν δὲ τρόπον Δανιῆλος καὶ περὶ τῆς τῶν Ῥωμαίων ἡγεμονίας ἀνέγραψε, καὶ ὅτι ὑπ̕ αὐ- τῶν ἐρημωϑήσεται (τὸ ἔϑνος ἡμῶν). Auf die Römer bezog er ohne Zweifel die vierte, eiserne Monarchie, Dan. 2, 40, wie ausser dem κρατήσει εἰς ἅπαν, was er ihr zuschreibt, beson- ders daraus erhellt, dass er ihre Zerstörung durch einen Stein für etwas noch Zukünftiges erklärt, Antiq. 10, 10, 4: ἐδήλωσε δὲ καὶ περὶ τοῦ λίϑου Δανιῆλος τῷ βασιλεῖ, ἀλλ̕ ἐμοὶ μὲν ουκ ἔδοξε τουτο ἱςορεῖν, τὰ παρελϑόντα καὶ τὰ γεγενημένα συγγρά- φειν,ου τὰ μέλλοντα ὀφείλοντι. Den Stein nämlich deutet Daniel 2, 44. auf das himmlische Rönigreich, welches das eiserne zerstören, selbst aber ewig bleiben werde, — ein messiani- scher Zug, auf welchen sich Josephus nicht weiter einlassen will. Dass nach richtiger Auslegung die eisernen Schenkel des Bildes das macedonische, die aus Thon und Eisen ge-

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/382>, abgerufen am 22.11.2024.