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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
wenn man nur einmal, sei es aus welchem Grunde immer,
zur Zeit Jesu einen Theil jener Weissagungen auf etwas
noch Bevorstehendes bezog, so scheint nichts mehr im Wege
zu stehen, dass nicht auch Jesus diese Ansicht seiner Zeit
sollte getheilt haben können. Wie nun die Juden zur Zeit
Jesu den weit frühere Zeitverhältnisse betreffenden Weis-
sagungen Daniels eine Beziehung auf noch bevorstehende
Ereignisse geben konnten, erklärt sich aus dem gleichen
Grunde, wie das, dass die Christen jetziger Zeit der vol-
len Verwirklichung von Matth. 24. 25. noch entgegensehen.
Da nämlich nach dem Untergang der aus Thon und Eisen
gemischten Reiche, und des Hornes, das die Gottesläste-
rungen ausstossen und gegen die Heiligen streiten sollte,
alsbald das Kommen des Menschensohns in den Wolken
und der Eintritt des ewigen Reichs der Heiligen geweis-
sagt, diese Erfolge aber nach der Überwindung des Antio-
chus keineswegs sofort eingetreten waren: so war man ver-
anlasst, mit diesem himmlischen Reiche auch die ihm un-
mittelbar vorangestellten Drangsale durch das gemischte
Reich und das Horn, worunter namentlich die Entweihung
des Heiligthums genannt war, erst noch einmal von der
Zukunft zu erwarten. Schwerer zu erklären ist, wie die
vorausgesagte Entweihung des Tempels und Verwüstung
der Stadt zur Erwartung einer völligen Zerstörung werden
konnte. Zwar liess sich das hebräische m@shomem bei Daniel
und eremosis der LXX. in dieser Bedeutung fassen: aber
es fragt sich, welches Interesse die Juden zu Jesu Zeit
haben konnten, gerade das Schrecklichste aus dem Pro-
pheten herauszulesen? Bei der abgöttischen Anhänglichkeit
und Ehrfurcht des Juden für seinen Tempel ist es nicht
begreiflich, wie er, ohne durch einen Text gezwungen zu

mischten Füsse aber die aus dem macedonischen entstande-
nen Reiche, also namentlich das syrische, bezeichnen, darüber
vgl. de Wette, Einl. in das A. T. §. 254.

Dritter Abschnitt.
wenn man nur einmal, sei es aus welchem Grunde immer,
zur Zeit Jesu einen Theil jener Weissagungen auf etwas
noch Bevorstehendes bezog, so scheint nichts mehr im Wege
zu stehen, daſs nicht auch Jesus diese Ansicht seiner Zeit
sollte getheilt haben können. Wie nun die Juden zur Zeit
Jesu den weit frühere Zeitverhältnisse betreffenden Weis-
sagungen Daniels eine Beziehung auf noch bevorstehende
Ereignisse geben konnten, erklärt sich aus dem gleichen
Grunde, wie das, daſs die Christen jetziger Zeit der vol-
len Verwirklichung von Matth. 24. 25. noch entgegensehen.
Da nämlich nach dem Untergang der aus Thon und Eisen
gemischten Reiche, und des Hornes, das die Gottesläste-
rungen ausstoſsen und gegen die Heiligen streiten sollte,
alsbald das Kommen des Menschensohns in den Wolken
und der Eintritt des ewigen Reichs der Heiligen geweis-
sagt, diese Erfolge aber nach der Überwindung des Antio-
chus keineswegs sofort eingetreten waren: so war man ver-
anlaſst, mit diesem himmlischen Reiche auch die ihm un-
mittelbar vorangestellten Drangsale durch das gemischte
Reich und das Horn, worunter namentlich die Entweihung
des Heiligthums genannt war, erst noch einmal von der
Zukunft zu erwarten. Schwerer zu erklären ist, wie die
vorausgesagte Entweihung des Tempels und Verwüstung
der Stadt zur Erwartung einer völligen Zerstörung werden
konnte. Zwar lieſs sich das hebräische מְשֹׁמֵם bei Daniel
und ἐρήμωσις der LXX. in dieser Bedeutung fassen: aber
es fragt sich, welches Interesse die Juden zu Jesu Zeit
haben konnten, gerade das Schrecklichste aus dem Pro-
pheten herauszulesen? Bei der abgöttischen Anhänglichkeit
und Ehrfurcht des Juden für seinen Tempel ist es nicht
begreiflich, wie er, ohne durch einen Text gezwungen zu

mischten Füsse aber die aus dem macedonischen entstande-
nen Reiche, also namentlich das syrische, bezeichnen, darüber
vgl. de Wette, Einl. in das A. T. §. 254.
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[364/0383] Dritter Abschnitt. wenn man nur einmal, sei es aus welchem Grunde immer, zur Zeit Jesu einen Theil jener Weissagungen auf etwas noch Bevorstehendes bezog, so scheint nichts mehr im Wege zu stehen, daſs nicht auch Jesus diese Ansicht seiner Zeit sollte getheilt haben können. Wie nun die Juden zur Zeit Jesu den weit frühere Zeitverhältnisse betreffenden Weis- sagungen Daniels eine Beziehung auf noch bevorstehende Ereignisse geben konnten, erklärt sich aus dem gleichen Grunde, wie das, daſs die Christen jetziger Zeit der vol- len Verwirklichung von Matth. 24. 25. noch entgegensehen. Da nämlich nach dem Untergang der aus Thon und Eisen gemischten Reiche, und des Hornes, das die Gottesläste- rungen ausstoſsen und gegen die Heiligen streiten sollte, alsbald das Kommen des Menschensohns in den Wolken und der Eintritt des ewigen Reichs der Heiligen geweis- sagt, diese Erfolge aber nach der Überwindung des Antio- chus keineswegs sofort eingetreten waren: so war man ver- anlaſst, mit diesem himmlischen Reiche auch die ihm un- mittelbar vorangestellten Drangsale durch das gemischte Reich und das Horn, worunter namentlich die Entweihung des Heiligthums genannt war, erst noch einmal von der Zukunft zu erwarten. Schwerer zu erklären ist, wie die vorausgesagte Entweihung des Tempels und Verwüstung der Stadt zur Erwartung einer völligen Zerstörung werden konnte. Zwar lieſs sich das hebräische מְשֹׁמֵם bei Daniel und ἐρήμωσις der LXX. in dieser Bedeutung fassen: aber es fragt sich, welches Interesse die Juden zu Jesu Zeit haben konnten, gerade das Schrecklichste aus dem Pro- pheten herauszulesen? Bei der abgöttischen Anhänglichkeit und Ehrfurcht des Juden für seinen Tempel ist es nicht begreiflich, wie er, ohne durch einen Text gezwungen zu 16) 16) mischten Füsse aber die aus dem macedonischen entstande- nen Reiche, also namentlich das syrische, bezeichnen, darüber vgl. de Wette, Einl. in das A. T. §. 254.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/383>, abgerufen am 22.11.2024.