Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Dritter Abschnitt. punkt nicht dieselbe Kraft, die sie auf dem jezt gewöhnli-chen der vergleichenden Evangelienkritik hat, nämlich das Fehlen jeder ausführlichen Schilderung der künftigen Par- usie Jesu im johanneischen Evangelium 21). Zwar die Grundbestandtheile der Lehre von der Wiederkunft Chri- sti sind auch im vierten Evangelium nicht zu verkennen 22). Jesus schreibt sich in demselben das einstige Gericht und die Auferweckung der Todten zu (Joh. 5, 21--30.), wel- che leztere als Moment der Zukunft Christi in den eben erwogenen synoptischen Reden nicht hervortritt, aber sonst im N. T. nicht selten in jenem Zusammenhang vorkommt (z. B. 1 Kor. 15, 23. 1 Thess. 4, 16.). Wenn Jesus im vierten Evangelium bisweilen leugnet, zum Gericht in die Welt gekommen zu sein (3, 17. 8, 15. 12, 47.), so gilt diess theils nur von seiner ersten Anwesenheit, theils wird es durch entgegengesezte Äusserungen, wo er vielmehr be- hauptet, zum Gerichtigekommen zu sein, (9, 39 vgl. 8, 16.), auf den Sinn eingeschränkt, dass nur ein liebloses, par- tikularistisches Richten seine Sache nicht sei. Wenn fer- ner der johanneische Jesus von dem Glaubenden sagt: ou krinetai (3, 18. 5, 24.), so ist diess in demselben Sinn zu verstehen, wie wenn es von dem Ungläubigen heisst: ede kekritai (3, 18.), dass nämlich die Anweisung des verdien- ten Looses für jeden nicht erst dem künftigen Gericht am Ende der Dinge aufbehalten sei, sondern mit seiner in- nern Beschaffenheit schon jezt jeder das ihm gebührende Schicksal in sich trage, und wie Jesus in demselben Evan- gelium ein andermal durch die Versicherung, denjenigen, welcher sein Wort gehört habe, ohne zu glauben, richte nicht er, sondern o logos, on elalesa, krinei auton en te 21) s. Hase, L. J. §. 130. 22) Die hiehergehörigen Stellen finden sich zusammengestellt und
erläutert bei Schott, Commentarius etc. p. 364 ff., vgl. Lücke, z. dens. Dritter Abschnitt. punkt nicht dieselbe Kraft, die sie auf dem jezt gewöhnli-chen der vergleichenden Evangelienkritik hat, nämlich das Fehlen jeder ausführlichen Schilderung der künftigen Par- usie Jesu im johanneischen Evangelium 21). Zwar die Grundbestandtheile der Lehre von der Wiederkunft Chri- sti sind auch im vierten Evangelium nicht zu verkennen 22). Jesus schreibt sich in demselben das einstige Gericht und die Auferweckung der Todten zu (Joh. 5, 21—30.), wel- che leztere als Moment der Zukunft Christi in den eben erwogenen synoptischen Reden nicht hervortritt, aber sonst im N. T. nicht selten in jenem Zusammenhang vorkommt (z. B. 1 Kor. 15, 23. 1 Thess. 4, 16.). Wenn Jesus im vierten Evangelium bisweilen leugnet, zum Gericht in die Welt gekommen zu sein (3, 17. 8, 15. 12, 47.), so gilt dieſs theils nur von seiner ersten Anwesenheit, theils wird es durch entgegengesezte Äusserungen, wo er vielmehr be- hauptet, zum Gerichtigekommen zu sein, (9, 39 vgl. 8, 16.), auf den Sinn eingeschränkt, daſs nur ein liebloses, par- tikularistisches Richten seine Sache nicht sei. Wenn fer- ner der johanneische Jesus von dem Glaubenden sagt: ου κρίνεται (3, 18. 5, 24.), so ist dieſs in demselben Sinn zu verstehen, wie wenn es von dem Ungläubigen heiſst: ἤδη κέκριται (3, 18.), daſs nämlich die Anweisung des verdien- ten Looses für jeden nicht erst dem künftigen Gericht am Ende der Dinge aufbehalten sei, sondern mit seiner in- nern Beschaffenheit schon jezt jeder das ihm gebührende Schicksal in sich trage, und wie Jesus in demselben Evan- gelium ein andermal durch die Versicherung, denjenigen, welcher sein Wort gehört habe, ohne zu glauben, richte nicht er, sondern ὁ λόγος, ὃν ἐλάλησα, κρινεῖ αὐτὸν ἐν τῇ 21) s. Hase, L. J. §. 130. 22) Die hiehergehörigen Stellen finden sich zusammengestellt und
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Dritter Abschnitt.
punkt nicht dieselbe Kraft, die sie auf dem jezt gewöhnli-
chen der vergleichenden Evangelienkritik hat, nämlich das
Fehlen jeder ausführlichen Schilderung der künftigen Par-
usie Jesu im johanneischen Evangelium 21). Zwar die
Grundbestandtheile der Lehre von der Wiederkunft Chri-
sti sind auch im vierten Evangelium nicht zu verkennen 22).
Jesus schreibt sich in demselben das einstige Gericht und
die Auferweckung der Todten zu (Joh. 5, 21—30.), wel-
che leztere als Moment der Zukunft Christi in den eben
erwogenen synoptischen Reden nicht hervortritt, aber sonst
im N. T. nicht selten in jenem Zusammenhang vorkommt
(z. B. 1 Kor. 15, 23. 1 Thess. 4, 16.). Wenn Jesus im
vierten Evangelium bisweilen leugnet, zum Gericht in die
Welt gekommen zu sein (3, 17. 8, 15. 12, 47.), so gilt
dieſs theils nur von seiner ersten Anwesenheit, theils wird
es durch entgegengesezte Äusserungen, wo er vielmehr be-
hauptet, zum Gerichtigekommen zu sein, (9, 39 vgl. 8, 16.),
auf den Sinn eingeschränkt, daſs nur ein liebloses, par-
tikularistisches Richten seine Sache nicht sei. Wenn fer-
ner der johanneische Jesus von dem Glaubenden sagt: ου
κρίνεται (3, 18. 5, 24.), so ist dieſs in demselben Sinn zu
verstehen, wie wenn es von dem Ungläubigen heiſst: ἤδη
κέκριται (3, 18.), daſs nämlich die Anweisung des verdien-
ten Looses für jeden nicht erst dem künftigen Gericht am
Ende der Dinge aufbehalten sei, sondern mit seiner in-
nern Beschaffenheit schon jezt jeder das ihm gebührende
Schicksal in sich trage, und wie Jesus in demselben Evan-
gelium ein andermal durch die Versicherung, denjenigen,
welcher sein Wort gehört habe, ohne zu glauben, richte
nicht er, sondern ὁ λόγος, ὃν ἐλάλησα, κρινεῖ αὐτὸν ἐν τῇ
21) s. Hase, L. J. §. 130.
22) Die hiehergehörigen Stellen finden sich zusammengestellt und
erläutert bei Schott, Commentarius etc. p. 364 ff., vgl. Lücke,
z. dens.
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