Niemand mehr im Ernst behaupten wollen. Doch, diess auch zugegeben, so sagt ja schon 13, 38. Jesus dem Petrus seine Verleugnung mit der Zeitbestimmung: oume alektor phonese, voraus, wie er nur bei der lezten Mahlzeit sprechen konnte, und nicht, wie hier vorausgesezt wird, bei einer früheren 2).
Dieser Ausweg also muss verlassen, und zugestan- den werden, dass sämmtliche Evangelisten von der gleichen Mahlzeit, der lezten, welche Jesus mit seinen Jüngern hielt, reden wollen. Und hiebei schien die Billigkeit, die man jedem Autor schuldig ist, und besonders den biblischen schuldig zu sein glaubte, den Versuch zu erfordern, ob nicht, ungeachtet sie Einen und denselben Vorgang in meh- reren Beziehungen äusserst abweichend darstellen, dennoch beide Theile recht haben könnten. Es müsste sich also, was die Zeit betrifft, zeigen lassen, entweder, dass auch die drei ersten Evangelisten wie der vierte nicht ein Pa- schamahl, oder, dass auch dieser wie jene ein solches ge- ben wolle. Ein altes Fragment 3) hat die Aufgabe auf dem ersteren Wege zu lösen versucht, indem es leugnet, dass Matthäus das lezte Mahl Jesu auf den Abend des 14ten Nisan, als die eigentliche Zeit für das Paschamahl, und sein Leiden auf den 15ten Nisan, als den ersten Tag des Paschafestes, setze; allein es ist nicht abzusehen, wie die ausdrücklichen Hinweisungen auf das Pascha in den Synoptikern beseitigt werden sollen. Weit allgemeiner ist daher in neuern Zeiten der Versuch gemacht werden, den Johannes auf die Seite der übrigen herüberzuziehen 4). Sein pro tes eortes tou paskha (13, 1.) glaubte man durch die Beobachtung beseitigen zu können, wie ja an diese
2) Eine ungenügende Auskunft giebt Lightfoot, p. 482 f.
3) Fragm. ex Claudii Apollinaris libro de Paschate, in Chron. Paschal. ed. du Fresne. Paris 1688. p. 6 f. praef.
4) s. namentlich Tholuck und Olshausen, z. d. Absch.
Zweites Kapitel. §. 117.
Niemand mehr im Ernst behaupten wollen. Doch, dieſs auch zugegeben, so sagt ja schon 13, 38. Jesus dem Petrus seine Verleugnung mit der Zeitbestimmung: ουμὴ ἀλέκτωρ φωνήσῃ, voraus, wie er nur bei der lezten Mahlzeit sprechen konnte, und nicht, wie hier vorausgesezt wird, bei einer früheren 2).
Dieser Ausweg also muſs verlassen, und zugestan- den werden, daſs sämmtliche Evangelisten von der gleichen Mahlzeit, der lezten, welche Jesus mit seinen Jüngern hielt, reden wollen. Und hiebei schien die Billigkeit, die man jedem Autor schuldig ist, und besonders den biblischen schuldig zu sein glaubte, den Versuch zu erfordern, ob nicht, ungeachtet sie Einen und denselben Vorgang in meh- reren Beziehungen äusserst abweichend darstellen, dennoch beide Theile recht haben könnten. Es müſste sich also, was die Zeit betrifft, zeigen lassen, entweder, daſs auch die drei ersten Evangelisten wie der vierte nicht ein Pa- schamahl, oder, daſs auch dieser wie jene ein solches ge- ben wolle. Ein altes Fragment 3) hat die Aufgabe auf dem ersteren Wege zu lösen versucht, indem es leugnet, daſs Matthäus das lezte Mahl Jesu auf den Abend des 14ten Nisan, als die eigentliche Zeit für das Paschamahl, und sein Leiden auf den 15ten Nisan, als den ersten Tag des Paschafestes, setze; allein es ist nicht abzusehen, wie die ausdrücklichen Hinweisungen auf das Pascha in den Synoptikern beseitigt werden sollen. Weit allgemeiner ist daher in neuern Zeiten der Versuch gemacht werden, den Johannes auf die Seite der übrigen herüberzuziehen 4). Sein πρὸ τῆς ἑορτῆς τοῦ πάσχα (13, 1.) glaubte man durch die Beobachtung beseitigen zu können, wie ja an diese
2) Eine ungenügende Auskunft giebt Lightfoot, p. 482 f.
3) Fragm. ex Claudii Apollinaris libro de Paschate, in Chron. Paschal. ed. du Fresne. Paris 1688. p. 6 f. praef.
4) s. namentlich Tholuck und Olshausen, z. d. Absch.
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Zweites Kapitel. §. 117.
Niemand mehr im Ernst behaupten wollen. Doch, dieſs
auch zugegeben, so sagt ja schon 13, 38. Jesus dem Petrus
seine Verleugnung mit der Zeitbestimmung: ουμὴ ἀλέκτωρ
φωνήσῃ, voraus, wie er nur bei der lezten Mahlzeit sprechen
konnte, und nicht, wie hier vorausgesezt wird, bei einer
früheren 2).
Dieser Ausweg also muſs verlassen, und zugestan-
den werden, daſs sämmtliche Evangelisten von der gleichen
Mahlzeit, der lezten, welche Jesus mit seinen Jüngern hielt,
reden wollen. Und hiebei schien die Billigkeit, die man
jedem Autor schuldig ist, und besonders den biblischen
schuldig zu sein glaubte, den Versuch zu erfordern, ob
nicht, ungeachtet sie Einen und denselben Vorgang in meh-
reren Beziehungen äusserst abweichend darstellen, dennoch
beide Theile recht haben könnten. Es müſste sich also,
was die Zeit betrifft, zeigen lassen, entweder, daſs auch
die drei ersten Evangelisten wie der vierte nicht ein Pa-
schamahl, oder, daſs auch dieser wie jene ein solches ge-
ben wolle. Ein altes Fragment 3) hat die Aufgabe auf
dem ersteren Wege zu lösen versucht, indem es leugnet,
daſs Matthäus das lezte Mahl Jesu auf den Abend des
14ten Nisan, als die eigentliche Zeit für das Paschamahl,
und sein Leiden auf den 15ten Nisan, als den ersten Tag
des Paschafestes, setze; allein es ist nicht abzusehen, wie
die ausdrücklichen Hinweisungen auf das Pascha in den
Synoptikern beseitigt werden sollen. Weit allgemeiner ist
daher in neuern Zeiten der Versuch gemacht werden, den
Johannes auf die Seite der übrigen herüberzuziehen 4).
Sein πρὸ τῆς ἑορτῆς τοῦ πάσχα (13, 1.) glaubte man durch
die Beobachtung beseitigen zu können, wie ja an diese
2) Eine ungenügende Auskunft giebt Lightfoot, p. 482 f.
3) Fragm. ex Claudii Apollinaris libro de Paschate, in Chron.
Paschal. ed. du Fresne. Paris 1688. p. 6 f. praef.
4) s. namentlich Tholuck und Olshausen, z. d. Absch.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/424>, abgerufen am 24.11.2024.
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