Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Dritter Abschnitt. Auskunft ergriffen. Der Schein, als ob die Evangelistendas lezte Mahl Jesu auf verschiedene Tage verlegten, soll darin seine Wahrheit haben, dass wirklich damals entwe- der die Juden oder Jesus das Paschamahl auf einen andern Tag verlegt hatten. Die Juden, sagen die einen, um der Unbequemlichkeit auszuweichen, welche darin lag, dass in jenem Jahre der erste Paschatag auf den Freitag fiel, also zwei Tage hintereinander als Sabbate hätten gefeiert wer- den müssen, haben das Paschamahl auf den Freitag Abend verlegt, wesswegen sie am Tag der Kreuzigung sich noch vor Verunreinigung in Acht zu nehmen hatten; Jesus aber, streng am Gesetze haltend, habe es zur gehörigen Zeit, am Donnerstag Abend, gefeiert, so dass sowohl die Synopti- ker recht haben, wenn sie das lezte Mahl Jesu als ein wirkliches Paschaessen beschreiben, als auch Johannes, wenn er die Juden erst Tags darauf dem Osterlamm ent- gegensehen lasse 7). Indess hätte in diesem Fall Markus mit seiner Angabe, dass an dem Tag, ote to paskha ethuon (V. 12.), auch Jesus es habe zurichten lassen, doch nicht recht; was aber die Hauptsache ist, so gieng es zwar in gewissen Fällen an, das Pascha einen Monat später, dann aber auch am 15ten desselben, zu feiern, von einer Verle- gung auf einen späteren Tag desselben Monats hingegen findet sich nirgends eine Spur. -- Lieber wandte man sich daher auf die andre Seite, und nahm an, Jesus habe das Pascha auf einen früheren Tag verlegt. Aus rein persön- lichem Bedürfniss, meinten Einige, in der Voraussicht, dass er um die eigentliche Zeit des Paschamahls schon im Grabe ruhen werde, oder doch seines Lebens bis dahin nicht mehr sicher sei, habe er in ähnlicher Weise, wie von jeher diejenigen Juden, welche an der Festreise ge- hindert waren, und wie die jetzigen Juden alle, ohne ein geopfertes Lamm, mit blossen Surrogaten desselben, ein 7) Calvin zu Matth. 26, 17.
Dritter Abschnitt. Auskunft ergriffen. Der Schein, als ob die Evangelistendas lezte Mahl Jesu auf verschiedene Tage verlegten, soll darin seine Wahrheit haben, daſs wirklich damals entwe- der die Juden oder Jesus das Paschamahl auf einen andern Tag verlegt hatten. Die Juden, sagen die einen, um der Unbequemlichkeit auszuweichen, welche darin lag, daſs in jenem Jahre der erste Paschatag auf den Freitag fiel, also zwei Tage hintereinander als Sabbate hätten gefeiert wer- den müssen, haben das Paschamahl auf den Freitag Abend verlegt, weſswegen sie am Tag der Kreuzigung sich noch vor Verunreinigung in Acht zu nehmen hatten; Jesus aber, streng am Gesetze haltend, habe es zur gehörigen Zeit, am Donnerstag Abend, gefeiert, so daſs sowohl die Synopti- ker recht haben, wenn sie das lezte Mahl Jesu als ein wirkliches Paschaessen beschreiben, als auch Johannes, wenn er die Juden erst Tags darauf dem Osterlamm ent- gegensehen lasse 7). Indeſs hätte in diesem Fall Markus mit seiner Angabe, daſs an dem Tag, ὅτε τὸ πάσχα ἔϑυον (V. 12.), auch Jesus es habe zurichten lassen, doch nicht recht; was aber die Hauptsache ist, so gieng es zwar in gewissen Fällen an, das Pascha einen Monat später, dann aber auch am 15ten desselben, zu feiern, von einer Verle- gung auf einen späteren Tag desselben Monats hingegen findet sich nirgends eine Spur. — Lieber wandte man sich daher auf die andre Seite, und nahm an, Jesus habe das Pascha auf einen früheren Tag verlegt. Aus rein persön- lichem Bedürfniſs, meinten Einige, in der Voraussicht, daſs er um die eigentliche Zeit des Paschamahls schon im Grabe ruhen werde, oder doch seines Lebens bis dahin nicht mehr sicher sei, habe er in ähnlicher Weise, wie von jeher diejenigen Juden, welche an der Festreise ge- hindert waren, und wie die jetzigen Juden alle, ohne ein geopfertes Lamm, mit bloſsen Surrogaten desselben, ein 7) Calvin zu Matth. 26, 17.
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Dritter Abschnitt.
Auskunft ergriffen. Der Schein, als ob die Evangelisten
das lezte Mahl Jesu auf verschiedene Tage verlegten, soll
darin seine Wahrheit haben, daſs wirklich damals entwe-
der die Juden oder Jesus das Paschamahl auf einen andern
Tag verlegt hatten. Die Juden, sagen die einen, um der
Unbequemlichkeit auszuweichen, welche darin lag, daſs in
jenem Jahre der erste Paschatag auf den Freitag fiel, also
zwei Tage hintereinander als Sabbate hätten gefeiert wer-
den müssen, haben das Paschamahl auf den Freitag Abend
verlegt, weſswegen sie am Tag der Kreuzigung sich noch
vor Verunreinigung in Acht zu nehmen hatten; Jesus aber,
streng am Gesetze haltend, habe es zur gehörigen Zeit, am
Donnerstag Abend, gefeiert, so daſs sowohl die Synopti-
ker recht haben, wenn sie das lezte Mahl Jesu als ein
wirkliches Paschaessen beschreiben, als auch Johannes,
wenn er die Juden erst Tags darauf dem Osterlamm ent-
gegensehen lasse 7). Indeſs hätte in diesem Fall Markus
mit seiner Angabe, daſs an dem Tag, ὅτε τὸ πάσχα ἔϑυον
(V. 12.), auch Jesus es habe zurichten lassen, doch nicht
recht; was aber die Hauptsache ist, so gieng es zwar in
gewissen Fällen an, das Pascha einen Monat später, dann
aber auch am 15ten desselben, zu feiern, von einer Verle-
gung auf einen späteren Tag desselben Monats hingegen
findet sich nirgends eine Spur. — Lieber wandte man sich
daher auf die andre Seite, und nahm an, Jesus habe das
Pascha auf einen früheren Tag verlegt. Aus rein persön-
lichem Bedürfniſs, meinten Einige, in der Voraussicht,
daſs er um die eigentliche Zeit des Paschamahls schon im
Grabe ruhen werde, oder doch seines Lebens bis dahin
nicht mehr sicher sei, habe er in ähnlicher Weise, wie
von jeher diejenigen Juden, welche an der Festreise ge-
hindert waren, und wie die jetzigen Juden alle, ohne ein
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