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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
lerdings von Gewicht. Zwar die erste könnte man durch
den Widerstreit der jüdischen Bestimmungen über jenen
Punkt vielleicht entkräften 14); der lezten und stärksten
die Thatsache entgegenhalten, dass Verhören und Richten
an Sabbaten und Festen bei den Juden nicht nur erlaubt,
sondern für solche Tage wegen des Volksandrangs selbst
ein grösseres Gerichtslokal vorhanden gewesen sei, wie
denn auch nach dem N. T. selbst die Juden an der emera
megale des Laubhüttenfests Diener ausschickten, um Je-
sum zu greifen (Joh. 7, 44 f.), und am Feste der Tem-
pelweihe ihn steinigen wollten (Joh. 10, 31.), Herodes aber
während der emerai ton azumon den Petrus gefangen se-
zen lässt, und vielleicht in eben diesen Tagen Jakobus den
älteren hatte hinrichten lassen (A. G. 12, 2 f.) 15). Dass
Jesu Hinrichtung am Paschafest habe vorgenommen werden
dürfen, dafür beruft man sich theils darauf, dass die Exe-
cution durch römische Soldaten geschehen, übrigens auch
nach jüdischer Sitte üblich gewesen sei, die Hinrichtung
bedeutender Verbrecher auf eine Festzeit zu versparen, um
durch dieselbe auf eine desto grössere Menge Eindruck zu
machen 16). Allein nur so viel ist erweislich, dass während
der Festzeit, also bei'm Pascha an den fünf mittleren, we-
niger feierlichen Tagen, Verbrecher verurtheilt und hinge-
richtet werden konnten, nicht aber, dass diess auch am
ersten und lezten Paschatag, welche Sabbatsrang hatten,

14) Pesachin f. 65, 2, bei Lightfoot, p. 654: Paschate primo te-
netur quispiam ad pernoctationem. Gloss.: Paschatizans tene-
tur ad pernoctandum in Hierosolyma nocte prima. Dagegen
Tosaphoth ad tr. Pesachin 8: In Paschate Aegyptiaco dici-
tur: nemo exeat -- usque ad mane. Sed sic non fuit in se-
quentibus generationibus, -- quibus comedebatur id uno loco
et pernoctabant in alio.
Vgl. Schneckenburger, Beiträge, S. 9.
15) Tholuck, S. 244 f.
16) Tract. Sanhedr. f. 89, 1. bei Schöttgen, 1, p. 224, vgl. Pau[-]
lus
, a. a. O. S. 492. und Tholuck, a. a. O.

Dritter Abschnitt.
lerdings von Gewicht. Zwar die erste könnte man durch
den Widerstreit der jüdischen Bestimmungen über jenen
Punkt vielleicht entkräften 14); der lezten und stärksten
die Thatsache entgegenhalten, daſs Verhören und Richten
an Sabbaten und Festen bei den Juden nicht nur erlaubt,
sondern für solche Tage wegen des Volksandrangs selbst
ein gröſseres Gerichtslokal vorhanden gewesen sei, wie
denn auch nach dem N. T. selbst die Juden an der ἡμέρα
μεγάλη des Laubhüttenfests Diener ausschickten, um Je-
sum zu greifen (Joh. 7, 44 f.), und am Feste der Tem-
pelweihe ihn steinigen wollten (Joh. 10, 31.), Herodes aber
während der ἡμέραι τῶν ἀζύμων den Petrus gefangen se-
zen läſst, und vielleicht in eben diesen Tagen Jakobus den
älteren hatte hinrichten lassen (A. G. 12, 2 f.) 15). Daſs
Jesu Hinrichtung am Paschafest habe vorgenommen werden
dürfen, dafür beruft man sich theils darauf, daſs die Exe-
cution durch römische Soldaten geschehen, übrigens auch
nach jüdischer Sitte üblich gewesen sei, die Hinrichtung
bedeutender Verbrecher auf eine Festzeit zu versparen, um
durch dieselbe auf eine desto gröſsere Menge Eindruck zu
machen 16). Allein nur so viel ist erweislich, daſs während
der Festzeit, also bei'm Pascha an den fünf mittleren, we-
niger feierlichen Tagen, Verbrecher verurtheilt und hinge-
richtet werden konnten, nicht aber, daſs dieſs auch am
ersten und lezten Paschatag, welche Sabbatsrang hatten,

14) Pesachin f. 65, 2, bei Lightfoot, p. 654: Paschate primo te-
netur quispiam ad pernoctationem. Gloss.: Paschatizans tene-
tur ad pernoctandum in Hierosolyma nocte prima. Dagegen
Tosaphoth ad tr. Pesachin 8: In Paschate Aegyptiaco dici-
tur: nemo exeat — usque ad mane. Sed sic non fuit in se-
quentibus generationibus, — quibus comedebatur id uno loco
et pernoctabant in alio.
Vgl. Schneckenburger, Beiträge, S. 9.
15) Tholuck, S. 244 f.
16) Tract. Sanhedr. f. 89, 1. bei Schöttgen, 1, p. 224, vgl. Pau[-]
lus
, a. a. O. S. 492. und Tholuck, a. a. O.
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[412/0431] Dritter Abschnitt. lerdings von Gewicht. Zwar die erste könnte man durch den Widerstreit der jüdischen Bestimmungen über jenen Punkt vielleicht entkräften 14); der lezten und stärksten die Thatsache entgegenhalten, daſs Verhören und Richten an Sabbaten und Festen bei den Juden nicht nur erlaubt, sondern für solche Tage wegen des Volksandrangs selbst ein gröſseres Gerichtslokal vorhanden gewesen sei, wie denn auch nach dem N. T. selbst die Juden an der ἡμέρα μεγάλη des Laubhüttenfests Diener ausschickten, um Je- sum zu greifen (Joh. 7, 44 f.), und am Feste der Tem- pelweihe ihn steinigen wollten (Joh. 10, 31.), Herodes aber während der ἡμέραι τῶν ἀζύμων den Petrus gefangen se- zen läſst, und vielleicht in eben diesen Tagen Jakobus den älteren hatte hinrichten lassen (A. G. 12, 2 f.) 15). Daſs Jesu Hinrichtung am Paschafest habe vorgenommen werden dürfen, dafür beruft man sich theils darauf, daſs die Exe- cution durch römische Soldaten geschehen, übrigens auch nach jüdischer Sitte üblich gewesen sei, die Hinrichtung bedeutender Verbrecher auf eine Festzeit zu versparen, um durch dieselbe auf eine desto gröſsere Menge Eindruck zu machen 16). Allein nur so viel ist erweislich, daſs während der Festzeit, also bei'm Pascha an den fünf mittleren, we- niger feierlichen Tagen, Verbrecher verurtheilt und hinge- richtet werden konnten, nicht aber, daſs dieſs auch am ersten und lezten Paschatag, welche Sabbatsrang hatten, 14) Pesachin f. 65, 2, bei Lightfoot, p. 654: Paschate primo te- netur quispiam ad pernoctationem. Gloss.: Paschatizans tene- tur ad pernoctandum in Hierosolyma nocte prima. Dagegen Tosaphoth ad tr. Pesachin 8: In Paschate Aegyptiaco dici- tur: nemo exeat — usque ad mane. Sed sic non fuit in se- quentibus generationibus, — quibus comedebatur id uno loco et pernoctabant in alio. Vgl. Schneckenburger, Beiträge, S. 9. 15) Tholuck, S. 244 f. 16) Tract. Sanhedr. f. 89, 1. bei Schöttgen, 1, p. 224, vgl. Pau- lus, a. a. O. S. 492. und Tholuck, a. a. O.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/431>, abgerufen am 24.11.2024.