hung, der Verräther habe für den Lohn seiner Schandthat ein Grundstück sich erworben, sei aber jählings herabge- stürzt, und mitten entzweigeborsten, so dass alle Einge- weide herausgetreten seien; das Grundstück aber habe man, weil die Sache in ganz Jerusalem bekannt gewor- den, akeldama, d. h. Blutland, geheissen. Wozu dann der Referent den Petrus bemerken lässt, dass dadurch zwei Psalmstellen in Erfüllung gegangen seien.
Zwischen diesen beiden Berichten findet eine doppelte Abweichung statt: die eine über die Todesart des Judas, die andere darüber, wann und von wem das Grundstück erworben worden sei. Was das Erstere betrifft, so ist es nach Matthäus Judas selbst, welcher aus Reue und Ver- zweiflung Hand an sich legt: wogegen in der A. G. von keiner Reue des Verräthers die Rede ist, und sein Tod nicht als Selbstmord, sondern als zufälliger, oder näher vom Himmel zur Strafe verhängter Unglücksfall erscheint; ferner ist es bei Matthäus der Strick, durch welchen er sich den Tod giebt: nach der Darstellung des Petrus ist es ein Sturz, der durch ein grässliches Bersten des Lei- bes seinem Leben ein Ende macht. Wie thätig von jeher die Harmonisten gewesen sind, diese Abweichungen auszu- gleichen, mag man bei Suicer1) und Kuinöl nachlesen: hier sollen nur kurz die Hauptversuche aufgeführt wer- den. Da die bezeichnete Abweichung ihren Hauptsiz in den Worten apegxato bei Matthäus, und prenes genomenos bei Lukas hat: so lag es am nächsten, zuzusehen, ob nicht der eine dieser Ausdrücke auf die Seite des andern zu ziehen wäre. Diess hat man mit apegxato auf verschie- dene Weise versucht, indem dieses Wort bald nur die Beängstigungen des bösen Gewissens 2), bald eine Krank-
1) Thesaurus, s. v. apagkho.
2)Grotius.
32 *
Drittes Kapitel. §. 126.
hung, der Verräther habe für den Lohn seiner Schandthat ein Grundstück sich erworben, sei aber jählings herabge- stürzt, und mitten entzweigeborsten, so daſs alle Einge- weide herausgetreten seien; das Grundstück aber habe man, weil die Sache in ganz Jerusalem bekannt gewor- den, ἀκελδαμὰ, d. h. Blutland, geheiſsen. Wozu dann der Referent den Petrus bemerken läſst, daſs dadurch zwei Psalmstellen in Erfüllung gegangen seien.
Zwischen diesen beiden Berichten findet eine doppelte Abweichung statt: die eine über die Todesart des Judas, die andere darüber, wann und von wem das Grundstück erworben worden sei. Was das Erstere betrifft, so ist es nach Matthäus Judas selbst, welcher aus Reue und Ver- zweiflung Hand an sich legt: wogegen in der A. G. von keiner Reue des Verräthers die Rede ist, und sein Tod nicht als Selbstmord, sondern als zufälliger, oder näher vom Himmel zur Strafe verhängter Unglücksfall erscheint; ferner ist es bei Matthäus der Strick, durch welchen er sich den Tod giebt: nach der Darstellung des Petrus ist es ein Sturz, der durch ein gräſsliches Bersten des Lei- bes seinem Leben ein Ende macht. Wie thätig von jeher die Harmonisten gewesen sind, diese Abweichungen auszu- gleichen, mag man bei Suicer1) und Kuinöl nachlesen: hier sollen nur kurz die Hauptversuche aufgeführt wer- den. Da die bezeichnete Abweichung ihren Hauptsiz in den Worten ἀπήγξατο bei Matthäus, und πρηνὴς γενόμενος bei Lukas hat: so lag es am nächsten, zuzusehen, ob nicht der eine dieser Ausdrücke auf die Seite des andern zu ziehen wäre. Dieſs hat man mit ἀπήγξατο auf verschie- dene Weise versucht, indem dieses Wort bald nur die Beängstigungen des bösen Gewissens 2), bald eine Krank-
1) Thesaurus, s. v. ἀπάγχω.
2)Grotius.
32 *
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Drittes Kapitel. §. 126.
hung, der Verräther habe für den Lohn seiner Schandthat
ein Grundstück sich erworben, sei aber jählings herabge-
stürzt, und mitten entzweigeborsten, so daſs alle Einge-
weide herausgetreten seien; das Grundstück aber habe
man, weil die Sache in ganz Jerusalem bekannt gewor-
den, ἀκελδαμὰ, d. h. Blutland, geheiſsen. Wozu dann der
Referent den Petrus bemerken läſst, daſs dadurch zwei
Psalmstellen in Erfüllung gegangen seien.
Zwischen diesen beiden Berichten findet eine doppelte
Abweichung statt: die eine über die Todesart des Judas,
die andere darüber, wann und von wem das Grundstück
erworben worden sei. Was das Erstere betrifft, so ist es
nach Matthäus Judas selbst, welcher aus Reue und Ver-
zweiflung Hand an sich legt: wogegen in der A. G. von
keiner Reue des Verräthers die Rede ist, und sein Tod
nicht als Selbstmord, sondern als zufälliger, oder näher
vom Himmel zur Strafe verhängter Unglücksfall erscheint;
ferner ist es bei Matthäus der Strick, durch welchen er
sich den Tod giebt: nach der Darstellung des Petrus ist
es ein Sturz, der durch ein gräſsliches Bersten des Lei-
bes seinem Leben ein Ende macht. Wie thätig von jeher
die Harmonisten gewesen sind, diese Abweichungen auszu-
gleichen, mag man bei Suicer 1) und Kuinöl nachlesen:
hier sollen nur kurz die Hauptversuche aufgeführt wer-
den. Da die bezeichnete Abweichung ihren Hauptsiz in
den Worten ἀπήγξατο bei Matthäus, und πρηνὴς γενόμενος
bei Lukas hat: so lag es am nächsten, zuzusehen, ob nicht
der eine dieser Ausdrücke auf die Seite des andern zu
ziehen wäre. Dieſs hat man mit ἀπήγξατο auf verschie-
dene Weise versucht, indem dieses Wort bald nur die
Beängstigungen des bösen Gewissens 2), bald eine Krank-
1) Thesaurus, s. v. ἀπάγχω.
2) Grotius.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/518>, abgerufen am 22.11.2024.
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