Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Drittes Kapitel. §. 127. aber giebt ihm Jesus eine Antwort, welche, zusammenge-nommen mit dem Eindruck seiner ganzen Erscheinung, dem Procurator allerdings die Überzeugung von seiner Unschuld beibringen konnte. Er erwiedert nämlich, seine basileia sei nicht ek tou kosmou toutou, und führt den Beweis hiefür aus dem ruhigen, passiven Verhalten seiner Anhänger bei seiner Gefangennehmung (V. 36.). Auf die weitere Frage des Pilatus, da Jesus sich hiemit eine basileia, wenn gleich keine irdische, zugeschrieben hatte, ob er also doch für einen König sich ausgebe? erwiedert er, allerdings sei er das, doch nur insofern er zum Zeugniss der Wahrheit geboren sei; worauf von Seiten des Pilatus das bekannte: ti esin aletheia; erfolgt. Ob nun gleich an dieser lezteren Wendung das eigenthümlich johanneische Colorit im Ge- brauch des Begriffs von aletheia, wie weiter oben das Un- gefügige in der Gegenfrage Jesu, auffällt: so begreift man doch nach dieser Darstellung, wie Pilatus sofort hinaus- treten, und den Juden erklären konnte, keine Schuld an ihm zu finden. Doch könnte leicht ein andrer Punkt gegen diesen Bericht des Johannes bedenklich machen. Wenn ihm zufolge das Verhör Jesu im Innern des Prätoriums vor sich gieng, welches kein Jude betreten mochte: wer soll dann das Gespräch des Procurators mit Jesu gehört, und als Gewährsmann dem Verfasser des vierten Evangeliums zugebracht haben? Die Ansicht älterer Erklärer, dass Je- sus selbst nach der Auferstehung den Jüngern diese Ver- handlungen erzählt habe, ist als abenteuerlich aufgegeben; die neuere, dass vielleicht Pilatus selbst die Quelle der Nachrichten über das Verhör gewesen sei, ist kaum min- der unwahrscheinlich, und ehe ich mir, wie Lücke, damit hälfe, dass Jesus am Eingang des Prätoriums stehen ge- blieben sei, und somit die aussen Zunächststehenden bei einiger Aufmerksamkeit und Stille (?) die Unterredung haben hören können, würde ich mich noch lieber auf die Umgebungen des Procurators, der schwerlich mit Jesu al- 33 *
Drittes Kapitel. §. 127. aber giebt ihm Jesus eine Antwort, welche, zusammenge-nommen mit dem Eindruck seiner ganzen Erscheinung, dem Procurator allerdings die Überzeugung von seiner Unschuld beibringen konnte. Er erwiedert nämlich, seine βασιλεία sei nicht ἐκ τοῦ κόσμου τουτου, und führt den Beweis hiefür aus dem ruhigen, passiven Verhalten seiner Anhänger bei seiner Gefangennehmung (V. 36.). Auf die weitere Frage des Pilatus, da Jesus sich hiemit eine βασιλεία, wenn gleich keine irdische, zugeschrieben hatte, ob er also doch für einen König sich ausgebe? erwiedert er, allerdings sei er das, doch nur insofern er zum Zeugniſs der Wahrheit geboren sei; worauf von Seiten des Pilatus das bekannte: τί ἐςιν ἀλήϑεια; erfolgt. Ob nun gleich an dieser lezteren Wendung das eigenthümlich johanneische Colorit im Ge- brauch des Begriffs von ἀλήϑεια, wie weiter oben das Un- gefügige in der Gegenfrage Jesu, auffällt: so begreift man doch nach dieser Darstellung, wie Pilatus sofort hinaus- treten, und den Juden erklären konnte, keine Schuld an ihm zu finden. Doch könnte leicht ein andrer Punkt gegen diesen Bericht des Johannes bedenklich machen. Wenn ihm zufolge das Verhör Jesu im Innern des Prätoriums vor sich gieng, welches kein Jude betreten mochte: wer soll dann das Gespräch des Procurators mit Jesu gehört, und als Gewährsmann dem Verfasser des vierten Evangeliums zugebracht haben? Die Ansicht älterer Erklärer, daſs Je- sus selbst nach der Auferstehung den Jüngern diese Ver- handlungen erzählt habe, ist als abenteuerlich aufgegeben; die neuere, daſs vielleicht Pilatus selbst die Quelle der Nachrichten über das Verhör gewesen sei, ist kaum min- der unwahrscheinlich, und ehe ich mir, wie Lücke, damit hälfe, daſs Jesus am Eingang des Prätoriums stehen ge- blieben sei, und somit die aussen Zunächststehenden bei einiger Aufmerksamkeit und Stille (?) die Unterredung haben hören können, würde ich mich noch lieber auf die Umgebungen des Procurators, der schwerlich mit Jesu al- 33 *
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Drittes Kapitel. §. 127.
aber giebt ihm Jesus eine Antwort, welche, zusammenge-
nommen mit dem Eindruck seiner ganzen Erscheinung, dem
Procurator allerdings die Überzeugung von seiner Unschuld
beibringen konnte. Er erwiedert nämlich, seine βασιλεία
sei nicht ἐκ τοῦ κόσμου τουτου, und führt den Beweis hiefür
aus dem ruhigen, passiven Verhalten seiner Anhänger bei
seiner Gefangennehmung (V. 36.). Auf die weitere Frage
des Pilatus, da Jesus sich hiemit eine βασιλεία, wenn
gleich keine irdische, zugeschrieben hatte, ob er also doch
für einen König sich ausgebe? erwiedert er, allerdings sei
er das, doch nur insofern er zum Zeugniſs der Wahrheit
geboren sei; worauf von Seiten des Pilatus das bekannte:
τί ἐςιν ἀλήϑεια; erfolgt. Ob nun gleich an dieser lezteren
Wendung das eigenthümlich johanneische Colorit im Ge-
brauch des Begriffs von ἀλήϑεια, wie weiter oben das Un-
gefügige in der Gegenfrage Jesu, auffällt: so begreift man
doch nach dieser Darstellung, wie Pilatus sofort hinaus-
treten, und den Juden erklären konnte, keine Schuld an
ihm zu finden. Doch könnte leicht ein andrer Punkt gegen
diesen Bericht des Johannes bedenklich machen. Wenn
ihm zufolge das Verhör Jesu im Innern des Prätoriums vor
sich gieng, welches kein Jude betreten mochte: wer soll
dann das Gespräch des Procurators mit Jesu gehört, und
als Gewährsmann dem Verfasser des vierten Evangeliums
zugebracht haben? Die Ansicht älterer Erklärer, daſs Je-
sus selbst nach der Auferstehung den Jüngern diese Ver-
handlungen erzählt habe, ist als abenteuerlich aufgegeben;
die neuere, daſs vielleicht Pilatus selbst die Quelle der
Nachrichten über das Verhör gewesen sei, ist kaum min-
der unwahrscheinlich, und ehe ich mir, wie Lücke, damit
hälfe, daſs Jesus am Eingang des Prätoriums stehen ge-
blieben sei, und somit die aussen Zunächststehenden bei
einiger Aufmerksamkeit und Stille (?) die Unterredung
haben hören können, würde ich mich noch lieber auf die
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