lein war, berufen. Leicht könnten wir indess hier ein Ge- spräch haben, das nur der eignen Combination des Evan- gelisten seinen Ursprung verdankt, und in diesem Falle dürfte man sich dann nicht so viele Mühe in Bezug auf den eigentlichen Sinn der Frage des Pilatus: was ist Wahr- heit? geben, da diess nur die beliebte dialogische Figur des vierten Evangeliums wäre, bei tiefen Eröffnungen von Seiten Jesu die Zuhörer Fragen entweder des Missverstands oder des gar nicht Verstehens machen zu lassen; wie 12, 34. die Juden fragen: tis esin outos o uios tou anthropou so hier Pilatus: ti esin aletheia 7);
Vor der Diversion mit Barabbas, welche nun bei den übrigen folgt, hat Lukas ein eigenthümliches Zwischen- spiel. Auf die Erklärung des Pilatus nämlich, an dem Beklagten keine Schuld zu finden, bleiben hier die Hohen- priester sammt ihrem Anhang unter der Menge dabei, Jesus rege das Volk auf durch seine Wirksamkeit als Lehrer von Galiläa bis Jerusalem; Pilatus fasst Galiläa in's Ohr, fragt, ob der Beklagte ein Galiläer sei? und wie diess bestätigt wird, ergreift er es als eine willkommene Gelegenheit, sich des unwillkommenen Handels zu entle- digen, schickt also dem Tetrarchen von Galiläa, dem zur Festzeit in Jerusalem anwesenden Herodes Antipas, Jesum zu, mit der Nebenabsicht vielleicht, was wenigstens der Erfolg war, den kleinen Fürsten durch solchen Respect vor seinem Forum sich zu verbinden. Herodes, heisst es, sei darüber erfreut gswesen, weil er nach dem Vielen, was er schon von Jesu gehört hatte, längst wünschte, ihn zu sehen, in der Hoffnung, er würde vielleicht ein Wunder zum Besten geben. Der Tetrarch habe nun verschiedene Fragen an ihn gerichtet, auch die Synedristen harte Kla- gen gegen ihn erhoben, Jesus aber keine Antwort gege- ben; worauf dann Herodes mit seinen Soldaten sich zum
7) Vgl. Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 252.
Dritter Abschnitt.
lein war, berufen. Leicht könnten wir indeſs hier ein Ge- spräch haben, das nur der eignen Combination des Evan- gelisten seinen Ursprung verdankt, und in diesem Falle dürfte man sich dann nicht so viele Mühe in Bezug auf den eigentlichen Sinn der Frage des Pilatus: was ist Wahr- heit? geben, da dieſs nur die beliebte dialogische Figur des vierten Evangeliums wäre, bei tiefen Eröffnungen von Seiten Jesu die Zuhörer Fragen entweder des Miſsverstands oder des gar nicht Verstehens machen zu lassen; wie 12, 34. die Juden fragen: τίς ἐςιν οὖτος ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου so hier Pilatus: τί ἐςιν ἀλήϑεια 7);
Vor der Diversion mit Barabbas, welche nun bei den übrigen folgt, hat Lukas ein eigenthümliches Zwischen- spiel. Auf die Erklärung des Pilatus nämlich, an dem Beklagten keine Schuld zu finden, bleiben hier die Hohen- priester sammt ihrem Anhang unter der Menge dabei, Jesus rege das Volk auf durch seine Wirksamkeit als Lehrer von Galiläa bis Jerusalem; Pilatus faſst Galiläa in's Ohr, fragt, ob der Beklagte ein Galiläer sei? und wie dieſs bestätigt wird, ergreift er es als eine willkommene Gelegenheit, sich des unwillkommenen Handels zu entle- digen, schickt also dem Tetrarchen von Galiläa, dem zur Festzeit in Jerusalem anwesenden Herodes Antipas, Jesum zu, mit der Nebenabsicht vielleicht, was wenigstens der Erfolg war, den kleinen Fürsten durch solchen Respect vor seinem Forum sich zu verbinden. Herodes, heiſst es, sei darüber erfreut gswesen, weil er nach dem Vielen, was er schon von Jesu gehört hatte, längst wünschte, ihn zu sehen, in der Hoffnung, er würde vielleicht ein Wunder zum Besten geben. Der Tetrarch habe nun verschiedene Fragen an ihn gerichtet, auch die Synedristen harte Kla- gen gegen ihn erhoben, Jesus aber keine Antwort gege- ben; worauf dann Herodes mit seinen Soldaten sich zum
7) Vgl. Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 252.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0535"n="516"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Dritter Abschnitt</hi>.</fw><lb/>
lein war, berufen. Leicht könnten wir indeſs hier ein Ge-<lb/>
spräch haben, das nur der eignen Combination des Evan-<lb/>
gelisten seinen Ursprung verdankt, und in diesem Falle<lb/>
dürfte man sich dann nicht so viele Mühe in Bezug auf<lb/>
den eigentlichen Sinn der Frage des Pilatus: was ist Wahr-<lb/>
heit? geben, da dieſs nur die beliebte dialogische Figur<lb/>
des vierten Evangeliums wäre, bei tiefen Eröffnungen von<lb/>
Seiten Jesu die Zuhörer Fragen entweder des Miſsverstands<lb/>
oder des gar nicht Verstehens machen zu lassen; wie 12, 34.<lb/>
die Juden fragen: <foreignxml:lang="ell">τίςἐςινοὖτοςὁυἱὸςτοῦἀνϑρώπου</foreign> so<lb/>
hier Pilatus: <foreignxml:lang="ell">τίἐςινἀλήϑεια</foreign><noteplace="foot"n="7)">Vgl. <hirendition="#k">Kaiser</hi>, bibl. Theol. 1, S. 252.</note>;</p><lb/><p>Vor der Diversion mit Barabbas, welche nun bei den<lb/>
übrigen folgt, hat Lukas ein eigenthümliches Zwischen-<lb/>
spiel. Auf die Erklärung des Pilatus nämlich, an dem<lb/>
Beklagten keine Schuld zu finden, bleiben hier die Hohen-<lb/>
priester sammt ihrem Anhang unter der Menge dabei,<lb/>
Jesus rege das Volk auf durch seine Wirksamkeit als<lb/>
Lehrer von Galiläa bis Jerusalem; Pilatus faſst Galiläa<lb/>
in's Ohr, fragt, ob der Beklagte ein Galiläer sei? und wie<lb/>
dieſs bestätigt wird, ergreift er es als eine willkommene<lb/>
Gelegenheit, sich des unwillkommenen Handels zu entle-<lb/>
digen, schickt also dem Tetrarchen von Galiläa, dem zur<lb/>
Festzeit in Jerusalem anwesenden Herodes Antipas, Jesum<lb/>
zu, mit der Nebenabsicht vielleicht, was wenigstens der<lb/>
Erfolg war, den kleinen Fürsten durch solchen Respect<lb/>
vor seinem Forum sich zu verbinden. Herodes, heiſst es,<lb/>
sei darüber erfreut gswesen, weil er nach dem Vielen, was<lb/>
er schon von Jesu gehört hatte, längst wünschte, ihn zu<lb/>
sehen, in der Hoffnung, er würde vielleicht ein Wunder<lb/>
zum Besten geben. Der Tetrarch habe nun verschiedene<lb/>
Fragen an ihn gerichtet, auch die Synedristen harte Kla-<lb/>
gen gegen ihn erhoben, Jesus aber keine Antwort gege-<lb/>
ben; worauf dann Herodes mit seinen Soldaten sich zum<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[516/0535]
Dritter Abschnitt.
lein war, berufen. Leicht könnten wir indeſs hier ein Ge-
spräch haben, das nur der eignen Combination des Evan-
gelisten seinen Ursprung verdankt, und in diesem Falle
dürfte man sich dann nicht so viele Mühe in Bezug auf
den eigentlichen Sinn der Frage des Pilatus: was ist Wahr-
heit? geben, da dieſs nur die beliebte dialogische Figur
des vierten Evangeliums wäre, bei tiefen Eröffnungen von
Seiten Jesu die Zuhörer Fragen entweder des Miſsverstands
oder des gar nicht Verstehens machen zu lassen; wie 12, 34.
die Juden fragen: τίς ἐςιν οὖτος ὁ υἱὸς τοῦ ἀνϑρώπου so
hier Pilatus: τί ἐςιν ἀλήϑεια 7);
Vor der Diversion mit Barabbas, welche nun bei den
übrigen folgt, hat Lukas ein eigenthümliches Zwischen-
spiel. Auf die Erklärung des Pilatus nämlich, an dem
Beklagten keine Schuld zu finden, bleiben hier die Hohen-
priester sammt ihrem Anhang unter der Menge dabei,
Jesus rege das Volk auf durch seine Wirksamkeit als
Lehrer von Galiläa bis Jerusalem; Pilatus faſst Galiläa
in's Ohr, fragt, ob der Beklagte ein Galiläer sei? und wie
dieſs bestätigt wird, ergreift er es als eine willkommene
Gelegenheit, sich des unwillkommenen Handels zu entle-
digen, schickt also dem Tetrarchen von Galiläa, dem zur
Festzeit in Jerusalem anwesenden Herodes Antipas, Jesum
zu, mit der Nebenabsicht vielleicht, was wenigstens der
Erfolg war, den kleinen Fürsten durch solchen Respect
vor seinem Forum sich zu verbinden. Herodes, heiſst es,
sei darüber erfreut gswesen, weil er nach dem Vielen, was
er schon von Jesu gehört hatte, längst wünschte, ihn zu
sehen, in der Hoffnung, er würde vielleicht ein Wunder
zum Besten geben. Der Tetrarch habe nun verschiedene
Fragen an ihn gerichtet, auch die Synedristen harte Kla-
gen gegen ihn erhoben, Jesus aber keine Antwort gege-
ben; worauf dann Herodes mit seinen Soldaten sich zum
7) Vgl. Kaiser, bibl. Theol. 1, S. 252.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/535>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.