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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Dritter Abschnitt.
ein leichtes Ritzen, ja einen Stoss, der nicht einmal Blut
giebt; wir wissen also nicht, wie tief die Wunde gieng:
wiewohl, wenn Jesus nach der Auferstehung den Thomas
in die Nägelmahle zwar den Finger, in, oder auch nur an
die Seitenwunde aber die Hand legen lässt (Joh. 20, 27.),
der Stich eine bedeutende Wunde gemacht zu haben scheint.
Doch dabei kommt es vor Allem noch auf die Stelle der
Verwundung an. Diese bestimmt Johannes als die pleura,
wo freilich, wenn der Stich an der linken Seite zwischen
den Ribben bis in das Herz drang, der Tod unausbleiblich
erfolgen musste: allein jener Ausdruck kann ebensowohl
die rechte Seite als die linke, und an beiden jeden Ort von
der Schulter bis zur Hüfte bedeuten. Die meisten dieser
Punkte würden sich freilich von selbst bestimmen, wenn
die Absicht des Kriegers mit dem Lanzenstich gewesen
wäre, Jesum, sofern er noch nicht gestorben wäre, zu töd-
ten; denn in diesem Falle würde er ohne Zweifel am tödt-
lichsten Plaz und so tief wie möglich gestochen haben.
Allein diese Absicht ist zweifelhaft, und der Zusammen-
hang der Stelle scheint eher dafür zu sprechen, dass der
Soldat durch den Stich vorerst nur erforschen wollte, ob
der Tod wirklich schon eingetreten sei, was er aus dem
Hervorfliessen von Blut und Wasser aus der Wunde sicher
abnehmen zu können glaubte.

Aber freilich über diese Folge des Speerstichs ist
man am allerwenigsten einig. Die Kirchenväter haben, in
Betracht, dass aus Leichen kein Blut mehr fliesse, in dem
aus Jesu Leichnam hervorgequollenen aima kai udor ein
Wunder, ein Zeichen seiner höhern Natur, gefunden 4).

4) Orig. c. Cels. 2, 36: ton men oun allon nekron somaton to
aima pegnutai, kai udor katharon ouk apoRRei tou de kata ton
Iesoun nekrou somatos, to paradoxon, kai peri to nekron soma
en aima kai udor apo ton pleuron prokhuthen. Vgl. Euthymius
z. d. St.: ek nekrou gar anthropou, kan muriakis nuxe tis, ouk

Dritter Abschnitt.
ein leichtes Ritzen, ja einen Stoſs, der nicht einmal Blut
giebt; wir wissen also nicht, wie tief die Wunde gieng:
wiewohl, wenn Jesus nach der Auferstehung den Thomas
in die Nägelmahle zwar den Finger, in, oder auch nur an
die Seitenwunde aber die Hand legen läſst (Joh. 20, 27.),
der Stich eine bedeutende Wunde gemacht zu haben scheint.
Doch dabei kommt es vor Allem noch auf die Stelle der
Verwundung an. Diese bestimmt Johannes als die πλευρὰ,
wo freilich, wenn der Stich an der linken Seite zwischen
den Ribben bis in das Herz drang, der Tod unausbleiblich
erfolgen muſste: allein jener Ausdruck kann ebensowohl
die rechte Seite als die linke, und an beiden jeden Ort von
der Schulter bis zur Hüfte bedeuten. Die meisten dieser
Punkte würden sich freilich von selbst bestimmen, wenn
die Absicht des Kriegers mit dem Lanzenstich gewesen
wäre, Jesum, sofern er noch nicht gestorben wäre, zu töd-
ten; denn in diesem Falle würde er ohne Zweifel am tödt-
lichsten Plaz und so tief wie möglich gestochen haben.
Allein diese Absicht ist zweifelhaft, und der Zusammen-
hang der Stelle scheint eher dafür zu sprechen, daſs der
Soldat durch den Stich vorerst nur erforschen wollte, ob
der Tod wirklich schon eingetreten sei, was er aus dem
Hervorflieſsen von Blut und Wasser aus der Wunde sicher
abnehmen zu können glaubte.

Aber freilich über diese Folge des Speerstichs ist
man am allerwenigsten einig. Die Kirchenväter haben, in
Betracht, daſs aus Leichen kein Blut mehr flieſse, in dem
aus Jesu Leichnam hervorgequollenen αἷμα καὶ ὕδωρ ein
Wunder, ein Zeichen seiner höhern Natur, gefunden 4).

4) Orig. c. Cels. 2, 36: τῶν μὲν οὺν ἄλλων νεκρῶν σωμάτων τὸ
αἷμα πήγνυται, καὶ ὕδωρ καϑαρὸν οὐκ ἀποῤῥεῖ̕ τοῦ δε κατὰ τὸν
Ἰησοῦν νεκροῦ σώματος, τὸ παράδοξον, καὶ περὶ τὸ νεκρὸν σῶμα
ῆν αἷμα καὶ ὕδωρ ἀπὸ τῶν πλευρῶν προχυϑέν. Vgl. Euthymius
z. d. St.: ἐκ νεκροῦ γὰρ ἀνϑρώπου, κᾄν μυριάκις νύξῃ τις, οὐκ
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[568/0587] Dritter Abschnitt. ein leichtes Ritzen, ja einen Stoſs, der nicht einmal Blut giebt; wir wissen also nicht, wie tief die Wunde gieng: wiewohl, wenn Jesus nach der Auferstehung den Thomas in die Nägelmahle zwar den Finger, in, oder auch nur an die Seitenwunde aber die Hand legen läſst (Joh. 20, 27.), der Stich eine bedeutende Wunde gemacht zu haben scheint. Doch dabei kommt es vor Allem noch auf die Stelle der Verwundung an. Diese bestimmt Johannes als die πλευρὰ, wo freilich, wenn der Stich an der linken Seite zwischen den Ribben bis in das Herz drang, der Tod unausbleiblich erfolgen muſste: allein jener Ausdruck kann ebensowohl die rechte Seite als die linke, und an beiden jeden Ort von der Schulter bis zur Hüfte bedeuten. Die meisten dieser Punkte würden sich freilich von selbst bestimmen, wenn die Absicht des Kriegers mit dem Lanzenstich gewesen wäre, Jesum, sofern er noch nicht gestorben wäre, zu töd- ten; denn in diesem Falle würde er ohne Zweifel am tödt- lichsten Plaz und so tief wie möglich gestochen haben. Allein diese Absicht ist zweifelhaft, und der Zusammen- hang der Stelle scheint eher dafür zu sprechen, daſs der Soldat durch den Stich vorerst nur erforschen wollte, ob der Tod wirklich schon eingetreten sei, was er aus dem Hervorflieſsen von Blut und Wasser aus der Wunde sicher abnehmen zu können glaubte. Aber freilich über diese Folge des Speerstichs ist man am allerwenigsten einig. Die Kirchenväter haben, in Betracht, daſs aus Leichen kein Blut mehr flieſse, in dem aus Jesu Leichnam hervorgequollenen αἷμα καὶ ὕδωρ ein Wunder, ein Zeichen seiner höhern Natur, gefunden 4). 4) Orig. c. Cels. 2, 36: τῶν μὲν οὺν ἄλλων νεκρῶν σωμάτων τὸ αἷμα πήγνυται, καὶ ὕδωρ καϑαρὸν οὐκ ἀποῤῥεῖ̕ τοῦ δε κατὰ τὸν Ἰησοῦν νεκροῦ σώματος, τὸ παράδοξον, καὶ περὶ τὸ νεκρὸν σῶμα ῆν αἷμα καὶ ὕδωρ ἀπὸ τῶν πλευρῶν προχυϑέν. Vgl. Euthymius z. d. St.: ἐκ νεκροῦ γὰρ ἀνϑρώπου, κᾄν μυριάκις νύξῃ τις, οὐκ

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/587>, abgerufen am 22.11.2024.