Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Viertes Kapitel. §. 135. Ansicht es über sich nehmen, auch diese, ihr scheinbarfeindlichen Züge so zu deuten, dass sie ihr nicht mehr widersprechen. Hier nun scheinen schon die Ausdrücke, durch welche die Erscheinungen Jesu eingeführt zu wer- den pflegen, namentlich ophthe, wodurch auch die Erschei- nung im feurigen Busch, 2 Mos. 3, 2. LXX; optanomenos, wie die Erscheinung des Engels Tob. 12, 19.; ephane, wie die Engelerscheinungen Matth. 1. und 2. bezeichnet sind, auf etwas Übermenschliches hinzuweisen. Bestimmter aber steht dem natürlichen Gehen und Kommen, welches bei einigen Scenen vorausgesezt werden kann, in andern ein plözli- ches Erscheinen und Verschwinden; der Annahme eines gewöhnlichen menschlichen Körpers das öftere Nichter- kanntwerden, ja die ausdrückliche Erwähnung einer etera morphe, entgegen: hauptsächlich aber scheint der Betast- barkeit des Leibes Jesu die Eigenschaft zu widerstreben, welche ihm Johannes, dem ersten Eindruck seiner Worte zufolge, leiht, durch verschlossene Thüren einzugehen. Allein, dass Maria Magdalena Jesum Anfangs für den kepouros hielt, davon glauben selbst solche Ausleger, wel- che sich sonst vor dem Wunderbaren keineswegs scheuen, den Grund darin suchen zu dürfen, dass Jesus von dem Gärtner, der wohl in der Nähe der Gruft seine Wohnung gehabt haben möge, sich einen Anzug habe geben lassen; wozu sowohl hier als bei dem Gang nach Emmaus die Entstellung des Angesichts Jesu durch die Qualen der Kreuzigung beigetragen haben möge, und eben nur dieses beides soll auch durch die etera morphe bei Markus aus- gedrückt werden 4). Denselben Emmauntischen Jüngern habe sich Jesus sofort in der freudigen Bestürzung, wel- che das plözliche Wiedererkennen des Todtgeglaubten ver- 4) Tholuck z. d. St., vgl. Paulus, exeg. Handb. 3, b, S. 866.
881. Eine ähnliche natürliche Erklärung hat neuestens Lü- cke von Hug angenommen. Viertes Kapitel. §. 135. Ansicht es über sich nehmen, auch diese, ihr scheinbarfeindlichen Züge so zu deuten, daſs sie ihr nicht mehr widersprechen. Hier nun scheinen schon die Ausdrücke, durch welche die Erscheinungen Jesu eingeführt zu wer- den pflegen, namentlich ὤφϑη, wodurch auch die Erschei- nung im feurigen Busch, 2 Mos. 3, 2. LXX; ὀπτανόμενος, wie die Erscheinung des Engels Tob. 12, 19.; ἐφάνη, wie die Engelerscheinungen Matth. 1. und 2. bezeichnet sind, auf etwas Übermenschliches hinzuweisen. Bestimmter aber steht dem natürlichen Gehen und Kommen, welches bei einigen Scenen vorausgesezt werden kann, in andern ein plözli- ches Erscheinen und Verschwinden; der Annahme eines gewöhnlichen menschlichen Körpers das öftere Nichter- kanntwerden, ja die ausdrückliche Erwähnung einer ἑτέρα μορφὴ, entgegen: hauptsächlich aber scheint der Betast- barkeit des Leibes Jesu die Eigenschaft zu widerstreben, welche ihm Johannes, dem ersten Eindruck seiner Worte zufolge, leiht, durch verschlossene Thüren einzugehen. Allein, daſs Maria Magdalena Jesum Anfangs für den κηπουρὸς hielt, davon glauben selbst solche Ausleger, wel- che sich sonst vor dem Wunderbaren keineswegs scheuen, den Grund darin suchen zu dürfen, daſs Jesus von dem Gärtner, der wohl in der Nähe der Gruft seine Wohnung gehabt haben möge, sich einen Anzug habe geben lassen; wozu sowohl hier als bei dem Gang nach Emmaus die Entstellung des Angesichts Jesu durch die Qualen der Kreuzigung beigetragen haben möge, und eben nur dieses beides soll auch durch die ἑτέρα μορφὴ bei Markus aus- gedrückt werden 4). Denselben Emmauntischen Jüngern habe sich Jesus sofort in der freudigen Bestürzung, wel- che das plözliche Wiedererkennen des Todtgeglaubten ver- 4) Tholuck z. d. St., vgl. Paulus, exeg. Handb. 3, b, S. 866.
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Viertes Kapitel. §. 135.
Ansicht es über sich nehmen, auch diese, ihr scheinbar
feindlichen Züge so zu deuten, daſs sie ihr nicht mehr
widersprechen. Hier nun scheinen schon die Ausdrücke,
durch welche die Erscheinungen Jesu eingeführt zu wer-
den pflegen, namentlich ὤφϑη, wodurch auch die Erschei-
nung im feurigen Busch, 2 Mos. 3, 2. LXX; ὀπτανόμενος,
wie die Erscheinung des Engels Tob. 12, 19.; ἐφάνη, wie
die Engelerscheinungen Matth. 1. und 2. bezeichnet sind, auf
etwas Übermenschliches hinzuweisen. Bestimmter aber steht
dem natürlichen Gehen und Kommen, welches bei einigen
Scenen vorausgesezt werden kann, in andern ein plözli-
ches Erscheinen und Verschwinden; der Annahme eines
gewöhnlichen menschlichen Körpers das öftere Nichter-
kanntwerden, ja die ausdrückliche Erwähnung einer ἑτέρα
μορφὴ, entgegen: hauptsächlich aber scheint der Betast-
barkeit des Leibes Jesu die Eigenschaft zu widerstreben,
welche ihm Johannes, dem ersten Eindruck seiner Worte
zufolge, leiht, durch verschlossene Thüren einzugehen.
Allein, daſs Maria Magdalena Jesum Anfangs für den
κηπουρὸς hielt, davon glauben selbst solche Ausleger, wel-
che sich sonst vor dem Wunderbaren keineswegs scheuen,
den Grund darin suchen zu dürfen, daſs Jesus von dem
Gärtner, der wohl in der Nähe der Gruft seine Wohnung
gehabt haben möge, sich einen Anzug habe geben lassen;
wozu sowohl hier als bei dem Gang nach Emmaus die
Entstellung des Angesichts Jesu durch die Qualen der
Kreuzigung beigetragen haben möge, und eben nur dieses
beides soll auch durch die ἑτέρα μορφὴ bei Markus aus-
gedrückt werden 4). Denselben Emmauntischen Jüngern
habe sich Jesus sofort in der freudigen Bestürzung, wel-
che das plözliche Wiedererkennen des Todtgeglaubten ver-
4) Tholuck z. d. St., vgl. Paulus, exeg. Handb. 3, b, S. 866.
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