Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Viertes Kapitel. §. 136. entscheidenden geistigen Krisis entladen musste, von wel-cher es uns bei einem Orientalen nur gar nicht wundern darf, dass sie die Gestalt einer Christophanie annahm. Haben wir hiemit an dem Apostel Paulus ein Beispiel, dass starke Eindrücke von der jungen Christengemeinde ein feu- riges Gemüth, das ihr längere Zeit entgegengestrebt hatte, bis zur Christophanie und völligen Sinnesänderung steigern konnten: so wird wohl auch der gewaltige Eindruck der grossartigen Persönlichkeit Jesu im Stande gewesen sein, seine unmittelbaren Schüler im Kampfe mit den Zweifeln an seiner Messianität, welche sein Tod in ihnen erregt hatte, zu ähnlichen Gesichten zu begeistern. Wer zur Er- klärung der paulinischen Christophanie noch ein äusseres Naturphänomen, wie Bliz und Donnerschlag, zu Hülfe neh- men zu müssen und zu dürfen glaubt, der mag auch die Erklärung der Erscheinungen, welche früher die unmittel- baren Schüler Jesu von dem Auferstandenen zu haben glaubten, durch Voraussetzung ähnlicher Ereignisse sich zu erleichtern suchen 22). Nur, wie die Eichhorn'sche Er- klärung des Vorgangs mit Paulus daran scheiterte, dass sie alle und jede Züge der N. T.lichen Erzählung, wie die Blindheit des Paulus und deren Heilung, die Vision des Ananias u. s. f., als historische festhielt, und diese begreif- lich nur sehr gezwungen in natürliche Erfolge umdeuten konnte: so würde freilich derjenige die psychologische Er- klärung der Erscheinungen des auferstandenen Jesus selbst sich unmöglich machen, welcher alle evangelischen Erzäh- lungen von denselben, namentlich von den Proben, welche Thomas durch Betastung angestellt, und der Auferstandene selbst durch Genuss von Nahrung abgelegt haben soll, als historische anerkennen wollte, worauf aber diese Erzählun- gen ihrer aufgezeigten Widersprüche wegen nicht den min- 22) So die Abhandlung in Schmidt's Bibliothek, und Kaiser, a. a. O. Das Leben Jesu II. Band. 42
Viertes Kapitel. §. 136. entscheidenden geistigen Krisis entladen muſste, von wel-cher es uns bei einem Orientalen nur gar nicht wundern darf, daſs sie die Gestalt einer Christophanie annahm. Haben wir hiemit an dem Apostel Paulus ein Beispiel, daſs starke Eindrücke von der jungen Christengemeinde ein feu- riges Gemüth, das ihr längere Zeit entgegengestrebt hatte, bis zur Christophanie und völligen Sinnesänderung steigern konnten: so wird wohl auch der gewaltige Eindruck der groſsartigen Persönlichkeit Jesu im Stande gewesen sein, seine unmittelbaren Schüler im Kampfe mit den Zweifeln an seiner Messianität, welche sein Tod in ihnen erregt hatte, zu ähnlichen Gesichten zu begeistern. Wer zur Er- klärung der paulinischen Christophanie noch ein äusseres Naturphänomen, wie Bliz und Donnerschlag, zu Hülfe neh- men zu müssen und zu dürfen glaubt, der mag auch die Erklärung der Erscheinungen, welche früher die unmittel- baren Schüler Jesu von dem Auferstandenen zu haben glaubten, durch Voraussetzung ähnlicher Ereignisse sich zu erleichtern suchen 22). Nur, wie die Eichhorn'sche Er- klärung des Vorgangs mit Paulus daran scheiterte, daſs sie alle und jede Züge der N. T.lichen Erzählung, wie die Blindheit des Paulus und deren Heilung, die Vision des Ananias u. s. f., als historische festhielt, und diese begreif- lich nur sehr gezwungen in natürliche Erfolge umdeuten konnte: so würde freilich derjenige die psychologische Er- klärung der Erscheinungen des auferstandenen Jesus selbst sich unmöglich machen, welcher alle evangelischen Erzäh- lungen von denselben, namentlich von den Proben, welche Thomas durch Betastung angestellt, und der Auferstandene selbst durch Genuſs von Nahrung abgelegt haben soll, als historische anerkennen wollte, worauf aber diese Erzählun- gen ihrer aufgezeigten Widersprüche wegen nicht den min- 22) So die Abhandlung in Schmidt's Bibliothek, und Kaiser, a. a. O. Das Leben Jesu II. Band. 42
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Viertes Kapitel. §. 136.
entscheidenden geistigen Krisis entladen muſste, von wel-
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darf, daſs sie die Gestalt einer Christophanie annahm.
Haben wir hiemit an dem Apostel Paulus ein Beispiel, daſs
starke Eindrücke von der jungen Christengemeinde ein feu-
riges Gemüth, das ihr längere Zeit entgegengestrebt hatte,
bis zur Christophanie und völligen Sinnesänderung steigern
konnten: so wird wohl auch der gewaltige Eindruck der
groſsartigen Persönlichkeit Jesu im Stande gewesen sein,
seine unmittelbaren Schüler im Kampfe mit den Zweifeln
an seiner Messianität, welche sein Tod in ihnen erregt
hatte, zu ähnlichen Gesichten zu begeistern. Wer zur Er-
klärung der paulinischen Christophanie noch ein äusseres
Naturphänomen, wie Bliz und Donnerschlag, zu Hülfe neh-
men zu müssen und zu dürfen glaubt, der mag auch die
Erklärung der Erscheinungen, welche früher die unmittel-
baren Schüler Jesu von dem Auferstandenen zu haben
glaubten, durch Voraussetzung ähnlicher Ereignisse sich
zu erleichtern suchen 22). Nur, wie die Eichhorn'sche Er-
klärung des Vorgangs mit Paulus daran scheiterte, daſs
sie alle und jede Züge der N. T.lichen Erzählung, wie die
Blindheit des Paulus und deren Heilung, die Vision des
Ananias u. s. f., als historische festhielt, und diese begreif-
lich nur sehr gezwungen in natürliche Erfolge umdeuten
konnte: so würde freilich derjenige die psychologische Er-
klärung der Erscheinungen des auferstandenen Jesus selbst
sich unmöglich machen, welcher alle evangelischen Erzäh-
lungen von denselben, namentlich von den Proben, welche
Thomas durch Betastung angestellt, und der Auferstandene
selbst durch Genuſs von Nahrung abgelegt haben soll, als
historische anerkennen wollte, worauf aber diese Erzählun-
gen ihrer aufgezeigten Widersprüche wegen nicht den min-
22) So die Abhandlung in Schmidt's Bibliothek, und Kaiser,
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