Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Schlussabhandlung. §. 143. ganzen Werkes abhieng, möglich, und Umstände, welchedieselbe wirklich machten. Glaubt hiemit, auf seine na- türliche Begabung und seine äusseren Schicksale gesehen, die rationalistische Vorstellung von Christo hinter der or- thodoxen nicht wesentlich zurückzubleiben, indem er auch ihr der erhabenste Mensch ist, der je auf Erden lebte, ein Heros, in dessen Schicksalen sich die Vorsehung im höchsten Grade verherrlichte: so glaubt sie, wenn auf die innere Entwicklung und freie Thätigkeit Jesu gesehen wird, die kirchliche Lehre wesentlich zu überbieten. Wäh- rend der kirchliche Christus ein unfreies Automat sei, des- sen Menschheit als todtes Organ des Göttlichen sich ver- halte, sittlich vollkommen handle, weil sie nicht sündigen könne, und ebendesswegen weder sittliches Verdienst haben, noch Gegenstand der Achtung und Verehrung sein könne: habe nach rationalistischer Ansicht die Gottheit in Jesum nur die natürlichen Bedingungen dessen, was er werden soll- te, gelegt, dass er es aber wirklich wurde, sei das Re- sultat seiner freien Selbstthätigkeit gewesen. Seine be- wunderungswürdige Weisheit habe er sich durch zweckmä- ssige Anwendung seiner Verstandeskräfte und gewissenhaf- te Benützung der ihm zu Gebot stehenden Hülfsmittel, sei- ne sittliche Grösse durch eifrige Ausbildung seiner morali- schen Anlagen, Bezähmung seiner sinnlichen Neigungen und Leidenschaften, und zarte Folgsamkeit gegen die Stimme sei- nes Gewissens, erworben, und eben nur hierauf beruhe das Erhabene seiner Persönlichkeit, das Ermunternde sei- nes Vorbildes. Die Thätigkeit Jesu anlangend, hat er sich um die Schluſsabhandlung. §. 143. ganzen Werkes abhieng, möglich, und Umstände, welchedieselbe wirklich machten. Glaubt hiemit, auf seine na- türliche Begabung und seine äusseren Schicksale gesehen, die rationalistische Vorstellung von Christo hinter der or- thodoxen nicht wesentlich zurückzubleiben, indem er auch ihr der erhabenste Mensch ist, der je auf Erden lebte, ein Heros, in dessen Schicksalen sich die Vorsehung im höchsten Grade verherrlichte: so glaubt sie, wenn auf die innere Entwicklung und freie Thätigkeit Jesu gesehen wird, die kirchliche Lehre wesentlich zu überbieten. Wäh- rend der kirchliche Christus ein unfreies Automat sei, des- sen Menschheit als todtes Organ des Göttlichen sich ver- halte, sittlich vollkommen handle, weil sie nicht sündigen könne, und ebendeſswegen weder sittliches Verdienst haben, noch Gegenstand der Achtung und Verehrung sein könne: habe nach rationalistischer Ansicht die Gottheit in Jesum nur die natürlichen Bedingungen dessen, was er werden soll- te, gelegt, daſs er es aber wirklich wurde, sei das Re- sultat seiner freien Selbstthätigkeit gewesen. Seine be- wunderungswürdige Weisheit habe er sich durch zweckmä- ſsige Anwendung seiner Verstandeskräfte und gewissenhaf- te Benützung der ihm zu Gebot stehenden Hülfsmittel, sei- ne sittliche Gröſse durch eifrige Ausbildung seiner morali- schen Anlagen, Bezähmung seiner sinnlichen Neigungen und Leidenschaften, und zarte Folgsamkeit gegen die Stimme sei- nes Gewissens, erworben, und eben nur hierauf beruhe das Erhabene seiner Persönlichkeit, das Ermunternde sei- nes Vorbildes. 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Schluſsabhandlung. §. 143.
ganzen Werkes abhieng, möglich, und Umstände, welche
dieselbe wirklich machten. Glaubt hiemit, auf seine na-
türliche Begabung und seine äusseren Schicksale gesehen,
die rationalistische Vorstellung von Christo hinter der or-
thodoxen nicht wesentlich zurückzubleiben, indem er auch
ihr der erhabenste Mensch ist, der je auf Erden lebte,
ein Heros, in dessen Schicksalen sich die Vorsehung im
höchsten Grade verherrlichte: so glaubt sie, wenn auf die
innere Entwicklung und freie Thätigkeit Jesu gesehen
wird, die kirchliche Lehre wesentlich zu überbieten. Wäh-
rend der kirchliche Christus ein unfreies Automat sei, des-
sen Menschheit als todtes Organ des Göttlichen sich ver-
halte, sittlich vollkommen handle, weil sie nicht sündigen
könne, und ebendeſswegen weder sittliches Verdienst haben,
noch Gegenstand der Achtung und Verehrung sein könne:
habe nach rationalistischer Ansicht die Gottheit in Jesum
nur die natürlichen Bedingungen dessen, was er werden soll-
te, gelegt, daſs er es aber wirklich wurde, sei das Re-
sultat seiner freien Selbstthätigkeit gewesen. Seine be-
wunderungswürdige Weisheit habe er sich durch zweckmä-
ſsige Anwendung seiner Verstandeskräfte und gewissenhaf-
te Benützung der ihm zu Gebot stehenden Hülfsmittel, sei-
ne sittliche Gröſse durch eifrige Ausbildung seiner morali-
schen Anlagen, Bezähmung seiner sinnlichen Neigungen und
Leidenschaften, und zarte Folgsamkeit gegen die Stimme sei-
nes Gewissens, erworben, und eben nur hierauf beruhe
das Erhabene seiner Persönlichkeit, das Ermunternde sei-
nes Vorbildes.
Die Thätigkeit Jesu anlangend, hat er sich um die
Menschheit vor Allem dadurch verdient gemacht, daſs er
ihr eine Religionslehre mittheilte, welcher um ihrer Rein-
heit und Trefflichkeit willen mit Recht eine gewisse gött-
liche Kraft und Würde zugeschrieben wird, und daſs er
diese durch das glänzende Beispiel seines eigenen Wandels
auf die wirksamste Weise erläuterte und bekräftigte. Die-
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