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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Schlussabhandlung. §. 147.
aussetzen, bei jenen aber das Gegentheil? Das wäre dem
besseren Bewusstsein unserer Zeit in's Angesicht wider-
sprochen, welches Schleiermacher richtig und abschliessend
so ausgedrückt hat: aus dem Interesse der Frömmigkeit
könne nie mehr das Bedürfniss entstehen, eine Thatsache
so aufzufassen, dass durch ihre Abhängigkeit von Gott ihr
Bedingtsein durch den Naturzusammenhang aufgehoben
würde, da wir über die Meinung hinausseien, als ob die
göttliche Allmacht sich grösser zeigte in der Unterbrechung
des Naturzusammenhangs, als in dem geordneten Verlauf
desselben 6). Ebenso, wenn wir das Menschwerden, Ster-
ben und Wiederauferstehen, das: duplex negatio affirmat,
als den ewigen Kreislauf, den endlos sich wiederholenden
Pulsschlag des göttlichen Lebens wissen: was kann an
einem einzelnen Faktum, welches diesen Process dazu
bloss sinnlich darstellt, noch besonders gelegen sein? Zur
Idee im Faktum, zur Gattung im Individuum, will unsre
Zeit in der Christologie geführt sein: eine Dogmatik, wel-
che im Locus von Christo bei ihm als Individuum stehen
bleibt, ist keine Dogmatik, sondern eine Predigt.

Aber eben die Predigt, wie diese sich dann zur Dog-
matik verhalten solle, und wie überhaupt noch eine christ-
liche Predigt möglich sei, wenn die Dogmatik jene Ge-
stalt angenommen, ist die bedenkliche Frage, die sich uns
hier schliesslich noch entgegenstellt. Schleiermacher hat
gesagt, wenn er sich die immer mehr herannahende Kri-
sis in der Theologie denke, und stelle sich vor, er müss-
te dann zwischen einem von beiden wählen, entweder die
christliche Urgeschichte wie jede gemeine Geschichte der
Kritik preisszugeben, oder seinen Glauben von der Specu-
lation zu Lehen zu nehmen: so würde er für sich allein
zwar das Leztere wählen; betrachte er sich aber in der
Gemeinde, und vorzüglich als Lehrer derselben: so werde

6) Glaubenslehre, 1, §. 47.

Schluſsabhandlung. §. 147.
aussetzen, bei jenen aber das Gegentheil? Das wäre dem
besseren Bewuſstsein unserer Zeit in's Angesicht wider-
sprochen, welches Schleiermacher richtig und abschlieſsend
so ausgedrückt hat: aus dem Interesse der Frömmigkeit
könne nie mehr das Bedürfniſs entstehen, eine Thatsache
so aufzufassen, daſs durch ihre Abhängigkeit von Gott ihr
Bedingtsein durch den Naturzusammenhang aufgehoben
würde, da wir über die Meinung hinausseien, als ob die
göttliche Allmacht sich gröſser zeigte in der Unterbrechung
des Naturzusammenhangs, als in dem geordneten Verlauf
desselben 6). Ebenso, wenn wir das Menschwerden, Ster-
ben und Wiederauferstehen, das: duplex negatio affirmat,
als den ewigen Kreislauf, den endlos sich wiederholenden
Pulsschlag des göttlichen Lebens wissen: was kann an
einem einzelnen Faktum, welches diesen Proceſs dazu
bloſs sinnlich darstellt, noch besonders gelegen sein? Zur
Idee im Faktum, zur Gattung im Individuum, will unsre
Zeit in der Christologie geführt sein: eine Dogmatik, wel-
che im Locus von Christo bei ihm als Individuum stehen
bleibt, ist keine Dogmatik, sondern eine Predigt.

Aber eben die Predigt, wie diese sich dann zur Dog-
matik verhalten solle, und wie überhaupt noch eine christ-
liche Predigt möglich sei, wenn die Dogmatik jene Ge-
stalt angenommen, ist die bedenkliche Frage, die sich uns
hier schlieſslich noch entgegenstellt. Schleiermacher hat
gesagt, wenn er sich die immer mehr herannahende Kri-
sis in der Theologie denke, und stelle sich vor, er müſs-
te dann zwischen einem von beiden wählen, entweder die
christliche Urgeschichte wie jede gemeine Geschichte der
Kritik preiſszugeben, oder seinen Glauben von der Specu-
lation zu Lehen zu nehmen: so würde er für sich allein
zwar das Leztere wählen; betrachte er sich aber in der
Gemeinde, und vorzüglich als Lehrer derselben: so werde

6) Glaubenslehre, 1, §. 47.
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[738/0757] Schluſsabhandlung. §. 147. aussetzen, bei jenen aber das Gegentheil? Das wäre dem besseren Bewuſstsein unserer Zeit in's Angesicht wider- sprochen, welches Schleiermacher richtig und abschlieſsend so ausgedrückt hat: aus dem Interesse der Frömmigkeit könne nie mehr das Bedürfniſs entstehen, eine Thatsache so aufzufassen, daſs durch ihre Abhängigkeit von Gott ihr Bedingtsein durch den Naturzusammenhang aufgehoben würde, da wir über die Meinung hinausseien, als ob die göttliche Allmacht sich gröſser zeigte in der Unterbrechung des Naturzusammenhangs, als in dem geordneten Verlauf desselben 6). Ebenso, wenn wir das Menschwerden, Ster- ben und Wiederauferstehen, das: duplex negatio affirmat, als den ewigen Kreislauf, den endlos sich wiederholenden Pulsschlag des göttlichen Lebens wissen: was kann an einem einzelnen Faktum, welches diesen Proceſs dazu bloſs sinnlich darstellt, noch besonders gelegen sein? Zur Idee im Faktum, zur Gattung im Individuum, will unsre Zeit in der Christologie geführt sein: eine Dogmatik, wel- che im Locus von Christo bei ihm als Individuum stehen bleibt, ist keine Dogmatik, sondern eine Predigt. Aber eben die Predigt, wie diese sich dann zur Dog- matik verhalten solle, und wie überhaupt noch eine christ- liche Predigt möglich sei, wenn die Dogmatik jene Ge- stalt angenommen, ist die bedenkliche Frage, die sich uns hier schlieſslich noch entgegenstellt. Schleiermacher hat gesagt, wenn er sich die immer mehr herannahende Kri- sis in der Theologie denke, und stelle sich vor, er müſs- te dann zwischen einem von beiden wählen, entweder die christliche Urgeschichte wie jede gemeine Geschichte der Kritik preiſszugeben, oder seinen Glauben von der Specu- lation zu Lehen zu nehmen: so würde er für sich allein zwar das Leztere wählen; betrachte er sich aber in der Gemeinde, und vorzüglich als Lehrer derselben: so werde 6) Glaubenslehre, 1, §. 47.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 738. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/757>, abgerufen am 23.11.2024.