werden während des Hingehens die Rede ist. Auch hier also haben wir eine wunderbare Aussazheilung, welche eben denselben Schwierigkeiten unterliegt, aber auch eben- so in ihrer Entstehung erklärbar scheint, wie die vorige Anekdote.
Doch es kommt bei dieser Erzählung noch etwas Ei- genthümliches in Betracht, das sie von der vorigen unter- scheidet. Es ist hier keine simple Heilung, ja die Hei- lung ist nicht einmal eigentlich die Hauptsache, diese liegt vielmehr in dem verschiedenen Betragen der Geheilten, und die Frage Jesu: oukhi oi deka ekatharisthesan k. t. l. (V. 17 f.) bildet die Spitze des Ganzen, welches hiemit ganz moralisch schliesst und zum Behuf der Belehrung erzählt zu sein scheint 5). Namentlich dass der als Muster der Dankbarkeit Erscheinende gerade ein Samariter ist, muss bei demjenigen Evangelisten auffallen, welchem auch die Lehrrede vom barmherzigen Samariter eigenthümlich ist. Wie nämlich in dieser zwei Juden, ein Priester und ein Levit, sich unbarmherzig beweisen, ein Samariter da- gegen musterhaft barmherzig: so steht hier neun undank- baren Juden ein Samariter als der einzig Dankbare ge- genüber. Wie daher, sofern doch die plötzliche Heilung dieser Kranken nicht historisch sein kann, wenn wir auch hier, wie dort, eine von Jesu vorgetragene Parabel vor uns hätten, welche die Dankbarkeit, wie jene die Barm- herzigkeit, am Beispiel eines Samariters darstellen sollte, nur aber geschichtlich verstanden worden wäre? Diess wäre dann so, wie man schon behauptet hat, dass es mit der Versuchungsgeschichte sich verhalte. Doch eben in Bezug auf diese haben wir gesehen, dass und warum Je- sus nie sich selbst unmittelbar in einer Gleichnissrede auf- treten lassen konnte, und diess müsste er hier gethan ha- ben, wenn er von zehn Aussätzigen erzählt hätte, die er
5)Schleiermacher, über den Lukas, S. 215.
Neuntes Kapitel. §. 90.
werden während des Hingehens die Rede ist. Auch hier also haben wir eine wunderbare Aussazheilung, welche eben denselben Schwierigkeiten unterliegt, aber auch eben- so in ihrer Entstehung erklärbar scheint, wie die vorige Anekdote.
Doch es kommt bei dieser Erzählung noch etwas Ei- genthümliches in Betracht, das sie von der vorigen unter- scheidet. Es ist hier keine simple Heilung, ja die Hei- lung ist nicht einmal eigentlich die Hauptsache, diese liegt vielmehr in dem verschiedenen Betragen der Geheilten, und die Frage Jesu: οὐχὶ οἱ δέκα ἐκαϑαρίσϑησαν κ. τ. λ. (V. 17 f.) bildet die Spitze des Ganzen, welches hiemit ganz moralisch schlieſst und zum Behuf der Belehrung erzählt zu sein scheint 5). Namentlich daſs der als Muster der Dankbarkeit Erscheinende gerade ein Samariter ist, muſs bei demjenigen Evangelisten auffallen, welchem auch die Lehrrede vom barmherzigen Samariter eigenthümlich ist. Wie nämlich in dieser zwei Juden, ein Priester und ein Levit, sich unbarmherzig beweisen, ein Samariter da- gegen musterhaft barmherzig: so steht hier neun undank- baren Juden ein Samariter als der einzig Dankbare ge- genüber. Wie daher, sofern doch die plötzliche Heilung dieser Kranken nicht historisch sein kann, wenn wir auch hier, wie dort, eine von Jesu vorgetragene Parabel vor uns hätten, welche die Dankbarkeit, wie jene die Barm- herzigkeit, am Beispiel eines Samariters darstellen sollte, nur aber geschichtlich verstanden worden wäre? Dieſs wäre dann so, wie man schon behauptet hat, daſs es mit der Versuchungsgeschichte sich verhalte. Doch eben in Bezug auf diese haben wir gesehen, daſs und warum Je- sus nie sich selbst unmittelbar in einer Gleichniſsrede auf- treten lassen konnte, und dieſs müſste er hier gethan ha- ben, wenn er von zehn Aussätzigen erzählt hätte, die er
5)Schleiermacher, über den Lukas, S. 215.
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Neuntes Kapitel. §. 90.
werden während des Hingehens die Rede ist. Auch hier
also haben wir eine wunderbare Aussazheilung, welche
eben denselben Schwierigkeiten unterliegt, aber auch eben-
so in ihrer Entstehung erklärbar scheint, wie die vorige
Anekdote.
Doch es kommt bei dieser Erzählung noch etwas Ei-
genthümliches in Betracht, das sie von der vorigen unter-
scheidet. Es ist hier keine simple Heilung, ja die Hei-
lung ist nicht einmal eigentlich die Hauptsache, diese liegt
vielmehr in dem verschiedenen Betragen der Geheilten,
und die Frage Jesu: οὐχὶ οἱ δέκα ἐκαϑαρίσϑησαν κ. τ. λ.
(V. 17 f.) bildet die Spitze des Ganzen, welches hiemit
ganz moralisch schlieſst und zum Behuf der Belehrung
erzählt zu sein scheint 5). Namentlich daſs der als Muster
der Dankbarkeit Erscheinende gerade ein Samariter ist,
muſs bei demjenigen Evangelisten auffallen, welchem auch
die Lehrrede vom barmherzigen Samariter eigenthümlich
ist. Wie nämlich in dieser zwei Juden, ein Priester und
ein Levit, sich unbarmherzig beweisen, ein Samariter da-
gegen musterhaft barmherzig: so steht hier neun undank-
baren Juden ein Samariter als der einzig Dankbare ge-
genüber. Wie daher, sofern doch die plötzliche Heilung
dieser Kranken nicht historisch sein kann, wenn wir auch
hier, wie dort, eine von Jesu vorgetragene Parabel vor
uns hätten, welche die Dankbarkeit, wie jene die Barm-
herzigkeit, am Beispiel eines Samariters darstellen sollte,
nur aber geschichtlich verstanden worden wäre? Dieſs
wäre dann so, wie man schon behauptet hat, daſs es mit
der Versuchungsgeschichte sich verhalte. Doch eben in
Bezug auf diese haben wir gesehen, daſs und warum Je-
sus nie sich selbst unmittelbar in einer Gleichniſsrede auf-
treten lassen konnte, und dieſs müſste er hier gethan ha-
ben, wenn er von zehn Aussätzigen erzählt hätte, die er
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/78>, abgerufen am 24.11.2024.
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