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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Neuntes Kapitel. §. 91.
ner Ortsangabe willen mit Matthäus zusammengestellt ist,
so geschieht hiebei seiner Zahlangabe Gewalt, welche für
sich vielmehr eine Zusammenstellung mit Lukas erheischen
würde: so dass, wenn man keine seiner Angaben beein-
trächtigen will, was man bei dieser Verfahrungsart nicht
darf, er von beiden gleicherweise getrennt werden muss.
So hätten wir drei verschiedene Blindenheilungen bei Je-
richo: 1) die Heilung Eines Blinden bei'm Einzug, 2) die
eines weiteren bei'm Auszug, und 3) die Heilung zweier
Blinden bei'm Auszug, also zusammen vier Blinde. Den
zweiten und dritten Fall nun auseinanderzuhalten, ist frei-
lich schwierig. Denn wenn doch Jesus zu zwei verschie-
denen Thoren zu gleicher Zeit nicht ausgezogen sein kann,
so will sich ebensowenig das vorstellen lassen, dass er,
bloss auf der Durchreise begriffen, nach dem ersten Aus-
zug wieder in die Stadt zurückgekehrt, und später noch
einmal ausgezogen wäre. Überhaupt aber, drei so ganz
ähnliche Vorfälle hier zusammentreffen zu lassen, will
kaum angehen. Schon die Häufung von Blindenheilungen
muss befremden. Besonders aber wird das Benehmen der
Begleiter Jesu unbegreiflich, welche, hatten sie einmal bei'm
Einzug gesehen, dass das epitiman to tuphlo, ina siopese
nicht in Jesu Sinne sei, indem er ihn ja zu sich rief, diess
doch nicht bei dem Auszug, und zwar zweimal, wieder-
holt haben werden. Storr'n freilich stört diese Wiederho-
lung nicht in der Annahme von wenigstens zwei Vorfäl-
len dieser Art, denn Niemand wisse ja, ob diejenigen,
welche hinter Jericho Stille geboten, nicht ganz andre ge-
wesen seien, als die vor der Stadt das Gleiche gethan
hatten; wenn aber auch, so wäre eine solche Wiederho-
lung eines von Jesu faktisch missbilligten Benehmens zwar
unschicklich gewesen, aber darum nicht unmöglich, da
auch die Jünger, welche der ersten Speisung angewohnt
hatten, doch vor der zweiten wieder gefragt haben, wo
Brot für so Viele herzunehmen sei? -- allein das heisst aus

Neuntes Kapitel. §. 91.
ner Ortsangabe willen mit Matthäus zusammengestellt ist,
so geschieht hiebei seiner Zahlangabe Gewalt, welche für
sich vielmehr eine Zusammenstellung mit Lukas erheischen
würde: so daſs, wenn man keine seiner Angaben beein-
trächtigen will, was man bei dieser Verfahrungsart nicht
darf, er von beiden gleicherweise getrennt werden muſs.
So hätten wir drei verschiedene Blindenheilungen bei Je-
richo: 1) die Heilung Eines Blinden bei'm Einzug, 2) die
eines weiteren bei'm Auszug, und 3) die Heilung zweier
Blinden bei'm Auszug, also zusammen vier Blinde. Den
zweiten und dritten Fall nun auseinanderzuhalten, ist frei-
lich schwierig. Denn wenn doch Jesus zu zwei verschie-
denen Thoren zu gleicher Zeit nicht ausgezogen sein kann,
so will sich ebensowenig das vorstellen lassen, daſs er,
bloſs auf der Durchreise begriffen, nach dem ersten Aus-
zug wieder in die Stadt zurückgekehrt, und später noch
einmal ausgezogen wäre. Überhaupt aber, drei so ganz
ähnliche Vorfälle hier zusammentreffen zu lassen, will
kaum angehen. Schon die Häufung von Blindenheilungen
muſs befremden. Besonders aber wird das Benehmen der
Begleiter Jesu unbegreiflich, welche, hatten sie einmal bei'm
Einzug gesehen, daſs das ἐπιτιμᾷν τῷ τυφλῷ, ἵνα σιωπήσῃ
nicht in Jesu Sinne sei, indem er ihn ja zu sich rief, dieſs
doch nicht bei dem Auszug, und zwar zweimal, wieder-
holt haben werden. Storr'n freilich stört diese Wiederho-
lung nicht in der Annahme von wenigstens zwei Vorfäl-
len dieser Art, denn Niemand wisse ja, ob diejenigen,
welche hinter Jericho Stille geboten, nicht ganz andre ge-
wesen seien, als die vor der Stadt das Gleiche gethan
hatten; wenn aber auch, so wäre eine solche Wiederho-
lung eines von Jesu faktisch miſsbilligten Benehmens zwar
unschicklich gewesen, aber darum nicht unmöglich, da
auch die Jünger, welche der ersten Speisung angewohnt
hatten, doch vor der zweiten wieder gefragt haben, wo
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[63/0082] Neuntes Kapitel. §. 91. ner Ortsangabe willen mit Matthäus zusammengestellt ist, so geschieht hiebei seiner Zahlangabe Gewalt, welche für sich vielmehr eine Zusammenstellung mit Lukas erheischen würde: so daſs, wenn man keine seiner Angaben beein- trächtigen will, was man bei dieser Verfahrungsart nicht darf, er von beiden gleicherweise getrennt werden muſs. So hätten wir drei verschiedene Blindenheilungen bei Je- richo: 1) die Heilung Eines Blinden bei'm Einzug, 2) die eines weiteren bei'm Auszug, und 3) die Heilung zweier Blinden bei'm Auszug, also zusammen vier Blinde. Den zweiten und dritten Fall nun auseinanderzuhalten, ist frei- lich schwierig. Denn wenn doch Jesus zu zwei verschie- denen Thoren zu gleicher Zeit nicht ausgezogen sein kann, so will sich ebensowenig das vorstellen lassen, daſs er, bloſs auf der Durchreise begriffen, nach dem ersten Aus- zug wieder in die Stadt zurückgekehrt, und später noch einmal ausgezogen wäre. Überhaupt aber, drei so ganz ähnliche Vorfälle hier zusammentreffen zu lassen, will kaum angehen. Schon die Häufung von Blindenheilungen muſs befremden. Besonders aber wird das Benehmen der Begleiter Jesu unbegreiflich, welche, hatten sie einmal bei'm Einzug gesehen, daſs das ἐπιτιμᾷν τῷ τυφλῷ, ἵνα σιωπήσῃ nicht in Jesu Sinne sei, indem er ihn ja zu sich rief, dieſs doch nicht bei dem Auszug, und zwar zweimal, wieder- holt haben werden. Storr'n freilich stört diese Wiederho- lung nicht in der Annahme von wenigstens zwei Vorfäl- len dieser Art, denn Niemand wisse ja, ob diejenigen, welche hinter Jericho Stille geboten, nicht ganz andre ge- wesen seien, als die vor der Stadt das Gleiche gethan hatten; wenn aber auch, so wäre eine solche Wiederho- lung eines von Jesu faktisch miſsbilligten Benehmens zwar unschicklich gewesen, aber darum nicht unmöglich, da auch die Jünger, welche der ersten Speisung angewohnt hatten, doch vor der zweiten wieder gefragt haben, wo Brot für so Viele herzunehmen sei? — allein das heiſst aus

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/82>, abgerufen am 21.11.2024.