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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
der Wirklichkeit einer Unmöglichkeit auf die der andern
argumentirt, wie wir bald genug bei Betrachtung des
doppelten Speisungswunders sehen werden. Doch nicht
allein das Benehmen der Begleiter, sondern überhaupt fast
alle Züge der Begebenheit müssten sich auf die unbegreif-
lichste Weise wiederholt haben. Einmal wie das andere
der Ruf der Blinden: eleeson emas, oder me, uie Dauid!
hierauf (nach dem ihnen von der Umgebung auferlegten
Stillschweigen,) der Befehl Jesu, sie zu ihm zu bringen;
seine Frage, was sie von ihm wollen? ihre Antwort: se-
hend werden; seine Gewährung ihres Wunsches, worauf
sie ihm dankbar nachfolgen. Dass sich diess Alles drei-
mal, oder auch nur zweimal so wiederholt haben sollte,
ist eine der Unmöglichkeit gleichkommende Unwahrschein-
lichkeit, und es müsste entweder nach der von Sieffert
in solchen Fällen angewandten Hypothese eine sagenhafte
Assimilation verschiedener Fakta, oder eine traditionelle
Variation einer einzigen Begebenheit angenommen werden.
Fragt man sich, um hier zu entscheiden: was konnte, ein-
mal eine Vermittlung durch die Sage vorausgesezt, leichter
geschehen, das Eine, dass dieselbe Geschichte bald von
Einem, bald von Mehreren, bald vom Einzug, bald vom Aus-
zug erzählt wurde? so braucht man das Andre gar nicht
erst dazuzudenken, da jenes Erstere so ohne Vergleichung
wahrscheinlich ist, dass man keinen Augenblick zweifeln
kann, es als wirklich vorauszusetzen. Reducirt man aber
so die scheinbar mehreren Fakta auf wenigere, so bleibe
man nur nicht mit Sieffert bei der Reduktion auf zwei
stehen, da hiebei nicht allein die Schwierigkeiten hinsicht-
lich der Wiederholung desselben Hergangs bleiben, son-
dern auch die Consequenz verlangt, wenn man die eine
Abweichung (in der Zahl) als unwesentlich aufgiebt, auch
von der andern (im Lokal) zu abstrahiren. Stellt sich
nun, wenn hier nur Eine Begebenheit erzählt werden soll,
die weitere Frage, welche der verschiedenen Erzählungen

Zweiter Abschnitt.
der Wirklichkeit einer Unmöglichkeit auf die der andern
argumentirt, wie wir bald genug bei Betrachtung des
doppelten Speisungswunders sehen werden. Doch nicht
allein das Benehmen der Begleiter, sondern überhaupt fast
alle Züge der Begebenheit müſsten sich auf die unbegreif-
lichste Weise wiederholt haben. Einmal wie das andere
der Ruf der Blinden: ἐλέησον ἡμᾶς, oder με, υἱὲ Δαυίδ!
hierauf (nach dem ihnen von der Umgebung auferlegten
Stillschweigen,) der Befehl Jesu, sie zu ihm zu bringen;
seine Frage, was sie von ihm wollen? ihre Antwort: se-
hend werden; seine Gewährung ihres Wunsches, worauf
sie ihm dankbar nachfolgen. Daſs sich dieſs Alles drei-
mal, oder auch nur zweimal so wiederholt haben sollte,
ist eine der Unmöglichkeit gleichkommende Unwahrschein-
lichkeit, und es müsste entweder nach der von Sieffert
in solchen Fällen angewandten Hypothese eine sagenhafte
Assimilation verschiedener Fakta, oder eine traditionelle
Variation einer einzigen Begebenheit angenommen werden.
Fragt man sich, um hier zu entscheiden: was konnte, ein-
mal eine Vermittlung durch die Sage vorausgesezt, leichter
geschehen, das Eine, daſs dieselbe Geschichte bald von
Einem, bald von Mehreren, bald vom Einzug, bald vom Aus-
zug erzählt wurde? so braucht man das Andre gar nicht
erst dazuzudenken, da jenes Erstere so ohne Vergleichung
wahrscheinlich ist, daſs man keinen Augenblick zweifeln
kann, es als wirklich vorauszusetzen. Reducirt man aber
so die scheinbar mehreren Fakta auf wenigere, so bleibe
man nur nicht mit Sieffert bei der Reduktion auf zwei
stehen, da hiebei nicht allein die Schwierigkeiten hinsicht-
lich der Wiederholung desselben Hergangs bleiben, son-
dern auch die Consequenz verlangt, wenn man die eine
Abweichung (in der Zahl) als unwesentlich aufgiebt, auch
von der andern (im Lokal) zu abstrahiren. Stellt sich
nun, wenn hier nur Eine Begebenheit erzählt werden soll,
die weitere Frage, welche der verschiedenen Erzählungen

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[64/0083] Zweiter Abschnitt. der Wirklichkeit einer Unmöglichkeit auf die der andern argumentirt, wie wir bald genug bei Betrachtung des doppelten Speisungswunders sehen werden. Doch nicht allein das Benehmen der Begleiter, sondern überhaupt fast alle Züge der Begebenheit müſsten sich auf die unbegreif- lichste Weise wiederholt haben. Einmal wie das andere der Ruf der Blinden: ἐλέησον ἡμᾶς, oder με, υἱὲ Δαυίδ! hierauf (nach dem ihnen von der Umgebung auferlegten Stillschweigen,) der Befehl Jesu, sie zu ihm zu bringen; seine Frage, was sie von ihm wollen? ihre Antwort: se- hend werden; seine Gewährung ihres Wunsches, worauf sie ihm dankbar nachfolgen. Daſs sich dieſs Alles drei- mal, oder auch nur zweimal so wiederholt haben sollte, ist eine der Unmöglichkeit gleichkommende Unwahrschein- lichkeit, und es müsste entweder nach der von Sieffert in solchen Fällen angewandten Hypothese eine sagenhafte Assimilation verschiedener Fakta, oder eine traditionelle Variation einer einzigen Begebenheit angenommen werden. Fragt man sich, um hier zu entscheiden: was konnte, ein- mal eine Vermittlung durch die Sage vorausgesezt, leichter geschehen, das Eine, daſs dieselbe Geschichte bald von Einem, bald von Mehreren, bald vom Einzug, bald vom Aus- zug erzählt wurde? so braucht man das Andre gar nicht erst dazuzudenken, da jenes Erstere so ohne Vergleichung wahrscheinlich ist, daſs man keinen Augenblick zweifeln kann, es als wirklich vorauszusetzen. Reducirt man aber so die scheinbar mehreren Fakta auf wenigere, so bleibe man nur nicht mit Sieffert bei der Reduktion auf zwei stehen, da hiebei nicht allein die Schwierigkeiten hinsicht- lich der Wiederholung desselben Hergangs bleiben, son- dern auch die Consequenz verlangt, wenn man die eine Abweichung (in der Zahl) als unwesentlich aufgiebt, auch von der andern (im Lokal) zu abstrahiren. Stellt sich nun, wenn hier nur Eine Begebenheit erzählt werden soll, die weitere Frage, welche der verschiedenen Erzählungen

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/83>, abgerufen am 21.11.2024.