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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.

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Zweiter Abschnitt.
ob sich helfen lasse oder nicht. Eine solche Untersuchung
finden die bezeichneten Erklärer vom Evangelisten selbst
angezeigt, wenn nach ihm Jesus dem Tauben die Finger
in die Ohren steckte, wobei er die Taubheit als eine heil-
bare, vielleicht nur durch verhärtete Feuchtigkeit im Ohr
entstandene, gefunden, und hierauf, gleichfalls mit den
Fingern, das Hinderniss des Gehörs entfernt habe. Wie
das ebale tous daktulous eis ta ota, so wird auch das epsa
to tes glosses von einer chirurgischen Operation verstan-
den, durch welche Jesus das Zungenband bis auf den er-
forderlichen Punkt gelöst, und dem erstarrten Organ sei-
ne Gelenkigkeit wieder gegeben habe, und ebenso wird
das epitheis tas kheiras auto bei dem Blinden dahin erklärt,
Jesus habe vielleicht durch ein Drücken der Augen die
verdickte Linse herausgebracht. Eine weitere Hülfe findet
diese Erklärungsweise darin, dass Jesus beidemale, an der
Zunge des Schwerredenden und an den Augen des Blin-
den, Speichel anwandte. Schon für sich hat der Speichel,
besonders nach älteren Ärzten 14), eine für die Augen heilsa-
me Kraft; da er indess so schnell in keinem Falle wirkt,
um eine Blindheit und einen Fehler der Sprachorgane mit
Einemmale entfernen zu können, so wird für beide Fälle
vermuthet, Jesus habe den Speichel nur gebraucht, um ein
Arzneimittel, wahrscheinlich ein ätzendes Pulver, anzu-
feuchten, wobei sowohl der Blinde nur das Ausspucken ge-
hört, von den eingemischten Medikamenten aber nichts ge-
sehen, als auch der Taube nach dem Geist der Zeit die
natürlichen Mittel wenig beachtet, oder die Sage sie nicht
weiter aufbewahrt habe. Wird hierauf in der Erzählung
vom Tauben die Heilung nur einfach angegeben, so zeich-
net sich die vom Blinden noch dadurch aus, dass sie die
Wiederherstellung seines Gesichts umständlich als eine suc-
cessive beschreibt. Nachdem Jesus die Augen des Kran-

14) Plin. H. N. 28, 7. u. a. St. bei Wetstein.

Zweiter Abschnitt.
ob sich helfen lasse oder nicht. Eine solche Untersuchung
finden die bezeichneten Erklärer vom Evangelisten selbst
angezeigt, wenn nach ihm Jesus dem Tauben die Finger
in die Ohren steckte, wobei er die Taubheit als eine heil-
bare, vielleicht nur durch verhärtete Feuchtigkeit im Ohr
entstandene, gefunden, und hierauf, gleichfalls mit den
Fingern, das Hinderniſs des Gehörs entfernt habe. Wie
das ἔβαλε τοὺς δακτύλους εἰς τὰ ὦτα, so wird auch das ἥψα
το τῆς γλώσσης von einer chirurgischen Operation verstan-
den, durch welche Jesus das Zungenband bis auf den er-
forderlichen Punkt gelöst, und dem erstarrten Organ sei-
ne Gelenkigkeit wieder gegeben habe, und ebenso wird
das ἐπιϑεὶς τὰς χεῖρας αὐτῷ bei dem Blinden dahin erklärt,
Jesus habe vielleicht durch ein Drücken der Augen die
verdickte Linse herausgebracht. Eine weitere Hülfe findet
diese Erklärungsweise darin, daſs Jesus beidemale, an der
Zunge des Schwerredenden und an den Augen des Blin-
den, Speichel anwandte. Schon für sich hat der Speichel,
besonders nach älteren Ärzten 14), eine für die Augen heilsa-
me Kraft; da er indeſs so schnell in keinem Falle wirkt,
um eine Blindheit und einen Fehler der Sprachorgane mit
Einemmale entfernen zu können, so wird für beide Fälle
vermuthet, Jesus habe den Speichel nur gebraucht, um ein
Arzneimittel, wahrscheinlich ein ätzendes Pulver, anzu-
feuchten, wobei sowohl der Blinde nur das Ausspucken ge-
hört, von den eingemischten Medikamenten aber nichts ge-
sehen, als auch der Taube nach dem Geist der Zeit die
natürlichen Mittel wenig beachtet, oder die Sage sie nicht
weiter aufbewahrt habe. Wird hierauf in der Erzählung
vom Tauben die Heilung nur einfach angegeben, so zeich-
net sich die vom Blinden noch dadurch aus, daſs sie die
Wiederherstellung seines Gesichts umständlich als eine suc-
cessive beschreibt. Nachdem Jesus die Augen des Kran-

14) Plin. H. N. 28, 7. u. a. St. bei Wetstein.
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[70/0089] Zweiter Abschnitt. ob sich helfen lasse oder nicht. Eine solche Untersuchung finden die bezeichneten Erklärer vom Evangelisten selbst angezeigt, wenn nach ihm Jesus dem Tauben die Finger in die Ohren steckte, wobei er die Taubheit als eine heil- bare, vielleicht nur durch verhärtete Feuchtigkeit im Ohr entstandene, gefunden, und hierauf, gleichfalls mit den Fingern, das Hinderniſs des Gehörs entfernt habe. Wie das ἔβαλε τοὺς δακτύλους εἰς τὰ ὦτα, so wird auch das ἥψα το τῆς γλώσσης von einer chirurgischen Operation verstan- den, durch welche Jesus das Zungenband bis auf den er- forderlichen Punkt gelöst, und dem erstarrten Organ sei- ne Gelenkigkeit wieder gegeben habe, und ebenso wird das ἐπιϑεὶς τὰς χεῖρας αὐτῷ bei dem Blinden dahin erklärt, Jesus habe vielleicht durch ein Drücken der Augen die verdickte Linse herausgebracht. Eine weitere Hülfe findet diese Erklärungsweise darin, daſs Jesus beidemale, an der Zunge des Schwerredenden und an den Augen des Blin- den, Speichel anwandte. Schon für sich hat der Speichel, besonders nach älteren Ärzten 14), eine für die Augen heilsa- me Kraft; da er indeſs so schnell in keinem Falle wirkt, um eine Blindheit und einen Fehler der Sprachorgane mit Einemmale entfernen zu können, so wird für beide Fälle vermuthet, Jesus habe den Speichel nur gebraucht, um ein Arzneimittel, wahrscheinlich ein ätzendes Pulver, anzu- feuchten, wobei sowohl der Blinde nur das Ausspucken ge- hört, von den eingemischten Medikamenten aber nichts ge- sehen, als auch der Taube nach dem Geist der Zeit die natürlichen Mittel wenig beachtet, oder die Sage sie nicht weiter aufbewahrt habe. Wird hierauf in der Erzählung vom Tauben die Heilung nur einfach angegeben, so zeich- net sich die vom Blinden noch dadurch aus, daſs sie die Wiederherstellung seines Gesichts umständlich als eine suc- cessive beschreibt. Nachdem Jesus die Augen des Kran- 14) Plin. H. N. 28, 7. u. a. St. bei Wetstein.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/89>, abgerufen am 21.11.2024.