Allein es blieb dennoch ein schmerzhaftes Leiden für meinen Heiland, da er in dem Pallaste Herodis ein Opfer der Neugier und ein Gegenstand des schmählichsten Spot- tes werden mußte. Dieser leichtsinnige König hatte es schon längst gewünscht, Jesum zu sehen, und sein Vorwitz machte ihn sogar lüstern, eine nähere Kenntniß von ihm zu erhalten. Er war froh, daß er nun Gelegenheit be- kam, einen allenthalben gepriesenen und bewunderten Pro- pheten zu sehen. Und als er ihn sah, und das bey ihm nicht fand, was seine Neugier befriedigen konnte, so scheute er sich nicht, einen gebundenen Unschuldigen, über wel- chen er kein Recht hatte, dem Muthwillen und dem Hohn- gelächter seiner Hofleute darzustellen. Das Verhalten Herodis erinnert mich an das Betragen so mancher Men- schen, welche aus eitlen und verderbten Absichten Jesum bekennen, oder unter dem Schein einer lobenswürdigen Lehrbegierde einen unanständigen Vorwitz des Unglaubens verrathen, oder mit den Thaten göttlicher Allmacht ver- wegne Versuche anstellen wollen. Herodes mit seinem Anhange sey mir ein warnendes Beyspiel, wie leicht es ge- schehen kann, daß ich aus Vorwitz oder Leichtsinn Jesum verachte, und dadurch in den verderblichsten Unglauben gerathe.
Ach! die Tiefen meines Herzens sind unergründlich. So sehr ich jetzt für die Wahrheit des Evangelii und für die Gottseligkeit eingenommen bin, so leicht kann sich eine verderbte Leidenschaft meines Herzens bemächtigen, die mich, wo nicht gehäßig, doch gleichgültig gegen alles Gu- te macht. Diejenigen, welche jetzt mit so vielem Frevel Gottes und seiner heiligen Religion spotten, waren viel- leicht ehemals vorwitzige Zweifler, die nicht aus Liebe zur Wahrheit, sondern aus Neugier und Stolz sich unnützen Bedenklichkeiten überliessen. Vald aber bemächtigte sich
ein
Zwey und zwanzigſte Betrachtung.
Allein es blieb dennoch ein ſchmerzhaftes Leiden für meinen Heiland, da er in dem Pallaſte Herodis ein Opfer der Neugier und ein Gegenſtand des ſchmählichſten Spot- tes werden mußte. Dieſer leichtſinnige König hatte es ſchon längſt gewünſcht, Jeſum zu ſehen, und ſein Vorwitz machte ihn ſogar lüſtern, eine nähere Kenntniß von ihm zu erhalten. Er war froh, daß er nun Gelegenheit be- kam, einen allenthalben geprieſenen und bewunderten Pro- pheten zu ſehen. Und als er ihn ſah, und das bey ihm nicht fand, was ſeine Neugier befriedigen konnte, ſo ſcheute er ſich nicht, einen gebundenen Unſchuldigen, über wel- chen er kein Recht hatte, dem Muthwillen und dem Hohn- gelächter ſeiner Hofleute darzuſtellen. Das Verhalten Herodis erinnert mich an das Betragen ſo mancher Men- ſchen, welche aus eitlen und verderbten Abſichten Jeſum bekennen, oder unter dem Schein einer lobenswürdigen Lehrbegierde einen unanſtändigen Vorwitz des Unglaubens verrathen, oder mit den Thaten göttlicher Allmacht ver- wegne Verſuche anſtellen wollen. Herodes mit ſeinem Anhange ſey mir ein warnendes Beyſpiel, wie leicht es ge- ſchehen kann, daß ich aus Vorwitz oder Leichtſinn Jeſum verachte, und dadurch in den verderblichſten Unglauben gerathe.
Ach! die Tiefen meines Herzens ſind unergründlich. So ſehr ich jetzt für die Wahrheit des Evangelii und für die Gottſeligkeit eingenommen bin, ſo leicht kann ſich eine verderbte Leidenſchaft meines Herzens bemächtigen, die mich, wo nicht gehäßig, doch gleichgültig gegen alles Gu- te macht. Diejenigen, welche jetzt mit ſo vielem Frevel Gottes und ſeiner heiligen Religion ſpotten, waren viel- leicht ehemals vorwitzige Zweifler, die nicht aus Liebe zur Wahrheit, ſondern aus Neugier und Stolz ſich unnützen Bedenklichkeiten überlieſſen. Vald aber bemächtigte ſich
ein
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Zwey und zwanzigſte Betrachtung.
Allein es blieb dennoch ein ſchmerzhaftes Leiden für
meinen Heiland, da er in dem Pallaſte Herodis ein Opfer
der Neugier und ein Gegenſtand des ſchmählichſten Spot-
tes werden mußte. Dieſer leichtſinnige König hatte es
ſchon längſt gewünſcht, Jeſum zu ſehen, und ſein Vorwitz
machte ihn ſogar lüſtern, eine nähere Kenntniß von ihm
zu erhalten. Er war froh, daß er nun Gelegenheit be-
kam, einen allenthalben geprieſenen und bewunderten Pro-
pheten zu ſehen. Und als er ihn ſah, und das bey ihm
nicht fand, was ſeine Neugier befriedigen konnte, ſo ſcheute
er ſich nicht, einen gebundenen Unſchuldigen, über wel-
chen er kein Recht hatte, dem Muthwillen und dem Hohn-
gelächter ſeiner Hofleute darzuſtellen. Das Verhalten
Herodis erinnert mich an das Betragen ſo mancher Men-
ſchen, welche aus eitlen und verderbten Abſichten Jeſum
bekennen, oder unter dem Schein einer lobenswürdigen
Lehrbegierde einen unanſtändigen Vorwitz des Unglaubens
verrathen, oder mit den Thaten göttlicher Allmacht ver-
wegne Verſuche anſtellen wollen. Herodes mit ſeinem
Anhange ſey mir ein warnendes Beyſpiel, wie leicht es ge-
ſchehen kann, daß ich aus Vorwitz oder Leichtſinn Jeſum
verachte, und dadurch in den verderblichſten Unglauben
gerathe.
Ach! die Tiefen meines Herzens ſind unergründlich.
So ſehr ich jetzt für die Wahrheit des Evangelii und für
die Gottſeligkeit eingenommen bin, ſo leicht kann ſich eine
verderbte Leidenſchaft meines Herzens bemächtigen, die
mich, wo nicht gehäßig, doch gleichgültig gegen alles Gu-
te macht. Diejenigen, welche jetzt mit ſo vielem Frevel
Gottes und ſeiner heiligen Religion ſpotten, waren viel-
leicht ehemals vorwitzige Zweifler, die nicht aus Liebe zur
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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/124>, abgerufen am 26.06.2024.
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