Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.Sieben und zwanzigste Betrachtung. Er konnte auch Freude haben, aber er übernahm freywilligalle Schmerzen, um eure tollen Freuden auszusöhnen. Ihr wolltet fortfahren, die Güter der Welt übermäßig zu lieben? Seht, welch ein Mensch! Wie hat ihn euer Stolz aller Kleider beraubt! Seine Blösse, seine Müh- seligkeit, wer kann sie ansehen, ohne seine Geldbegierde, seinen Kleiderpracht, sein Wohlleben zu verdammen? Se- het, wenn ihr wissen wollt, was ihr vor Geschöpfe von Natur seyd, und welche Greuel, die euch zu Unmenschen machen, in eurer Seele wohnen, sehet auf diesen gemar- terten und so unmenschlich gemißhandelten Menschen! Wer seyd ihr? Eben der Pilatus, eben die Kriegsknechte, eben die Jüden, welche Jesum marterten und in seinen Martern ihr Vergnügen fanden. Ihr seyd mit eben den bösen Begierden behaftet, welche jene zu dem ruchlosen Vorsatze brachten, den Sohn Gottes so frevelhaft zu mißhandeln. Ihr habt eben die Unbarmherzigkeit, welche jene Knechte so unempfindlich machte, daß sie den Heiligsten lästern, spotten und quälen konnten. Und da ihr so gleichgültig bey allen Leiden bleibt, die ihr der Unschuld anthut: da ihr mit höllischer Frechheit lachen könnt, wenn der gemißhan- delte Gerechte weinet: da ihr, um euren Hochmuth, eure Rachgier und eure Wollust zu befriedigen, zu allen Grau- samkeiten fähig seyd: ihr würdet ohnstreitig eben so, wie jene Barbaren handeln, wenn sich euer Heiland aufs neue in Knechtsgestalt darstellte. Wer Menschen und beson- ders die Unschuld hassen, martern und verfolgen kann, der ist auch fähig, Jesum selbst zu hassen, zu martern und zu verfolgen. Ach, Sünder, daß ihr doch bey dem An- blick eures gemarterten Jesu an euch zurückdenken möchtet! Ach daß ihr doch an ihm die grosse Verwüstung, die die Sünde in der menschlichen Natur angerichtet hat, erken- nen möchtet! Schauet und sehet, welchen Jammer und
Sieben und zwanzigſte Betrachtung. Er konnte auch Freude haben, aber er übernahm freywilligalle Schmerzen, um eure tollen Freuden auszuſöhnen. Ihr wolltet fortfahren, die Güter der Welt übermäßig zu lieben? Seht, welch ein Menſch! Wie hat ihn euer Stolz aller Kleider beraubt! Seine Blöſſe, ſeine Müh- ſeligkeit, wer kann ſie anſehen, ohne ſeine Geldbegierde, ſeinen Kleiderpracht, ſein Wohlleben zu verdammen? Se- het, wenn ihr wiſſen wollt, was ihr vor Geſchöpfe von Natur ſeyd, und welche Greuel, die euch zu Unmenſchen machen, in eurer Seele wohnen, ſehet auf dieſen gemar- terten und ſo unmenſchlich gemißhandelten Menſchen! Wer ſeyd ihr? Eben der Pilatus, eben die Kriegsknechte, eben die Jüden, welche Jeſum marterten und in ſeinen Martern ihr Vergnügen fanden. Ihr ſeyd mit eben den böſen Begierden behaftet, welche jene zu dem ruchloſen Vorſatze brachten, den Sohn Gottes ſo frevelhaft zu mißhandeln. Ihr habt eben die Unbarmherzigkeit, welche jene Knechte ſo unempfindlich machte, daß ſie den Heiligſten läſtern, ſpotten und quälen konnten. Und da ihr ſo gleichgültig bey allen Leiden bleibt, die ihr der Unſchuld anthut: da ihr mit hölliſcher Frechheit lachen könnt, wenn der gemißhan- delte Gerechte weinet: da ihr, um euren Hochmuth, eure Rachgier und eure Wolluſt zu befriedigen, zu allen Grau- ſamkeiten fähig ſeyd: ihr würdet ohnſtreitig eben ſo, wie jene Barbaren handeln, wenn ſich euer Heiland aufs neue in Knechtsgeſtalt darſtellte. Wer Menſchen und beſon- ders die Unſchuld haſſen, martern und verfolgen kann, der iſt auch fähig, Jeſum ſelbſt zu haſſen, zu martern und zu verfolgen. Ach, Sünder, daß ihr doch bey dem An- blick eures gemarterten Jeſu an euch zurückdenken möchtet! Ach daß ihr doch an ihm die groſſe Verwüſtung, die die Sünde in der menſchlichen Natur angerichtet hat, erken- nen möchtet! Schauet und ſehet, welchen Jammer und
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Sieben und zwanzigſte Betrachtung.
Er konnte auch Freude haben, aber er übernahm freywillig
alle Schmerzen, um eure tollen Freuden auszuſöhnen.
Ihr wolltet fortfahren, die Güter der Welt übermäßig zu
lieben? Seht, welch ein Menſch! Wie hat ihn euer
Stolz aller Kleider beraubt! Seine Blöſſe, ſeine Müh-
ſeligkeit, wer kann ſie anſehen, ohne ſeine Geldbegierde,
ſeinen Kleiderpracht, ſein Wohlleben zu verdammen? Se-
het, wenn ihr wiſſen wollt, was ihr vor Geſchöpfe von
Natur ſeyd, und welche Greuel, die euch zu Unmenſchen
machen, in eurer Seele wohnen, ſehet auf dieſen gemar-
terten und ſo unmenſchlich gemißhandelten Menſchen! Wer
ſeyd ihr? Eben der Pilatus, eben die Kriegsknechte, eben
die Jüden, welche Jeſum marterten und in ſeinen Martern
ihr Vergnügen fanden. Ihr ſeyd mit eben den böſen
Begierden behaftet, welche jene zu dem ruchloſen Vorſatze
brachten, den Sohn Gottes ſo frevelhaft zu mißhandeln.
Ihr habt eben die Unbarmherzigkeit, welche jene Knechte
ſo unempfindlich machte, daß ſie den Heiligſten läſtern,
ſpotten und quälen konnten. Und da ihr ſo gleichgültig
bey allen Leiden bleibt, die ihr der Unſchuld anthut: da ihr
mit hölliſcher Frechheit lachen könnt, wenn der gemißhan-
delte Gerechte weinet: da ihr, um euren Hochmuth, eure
Rachgier und eure Wolluſt zu befriedigen, zu allen Grau-
ſamkeiten fähig ſeyd: ihr würdet ohnſtreitig eben ſo, wie
jene Barbaren handeln, wenn ſich euer Heiland aufs neue
in Knechtsgeſtalt darſtellte. Wer Menſchen und beſon-
ders die Unſchuld haſſen, martern und verfolgen kann, der
iſt auch fähig, Jeſum ſelbſt zu haſſen, zu martern und
zu verfolgen. Ach, Sünder, daß ihr doch bey dem An-
blick eures gemarterten Jeſu an euch zurückdenken möchtet!
Ach daß ihr doch an ihm die groſſe Verwüſtung, die die
Sünde in der menſchlichen Natur angerichtet hat, erken-
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