4. Alles, was Gott wohlgefällig seyn soll, muß aus einer wahren Liebe und Hochachtung gegen Gott herfliessen.
4. Tadel dieser Liebeshandlung.
Einige von den Jüngern, vielleicht aus Neid und Ei- gennutz, vielleicht aus andern Vorurtheilen, waren über diese Handlung unzufrieden. Vor allen andern aber zeig- te Judas, Simons Sohn, mit dem Beynahmen Ischa- rioth, der Jesum nachher verrieth, die sichtbarste Erbitte- rung. Dieser war es hauptsächlich, welcher der rechtschaf- fenen Frau, ja Jesu selbst, die unanständigsten Vorwür- fe deswegen machte. Wozu, sprach er, dient derglei- chen unnütze Verschwendung? Eine so köstliche Sal- be hätte leicht um mehr, als dreyßig Thaler verkauft, und diese Summe unter die Armen ausgetheilt wer- den können. So scheinbar dieser Tadel war, so floß er doch bey dem Judas nicht aus einer aufrichtigen Neigung, den Armen beyzustehen, sondern aus einer unmäßigen Geldbegierde her. Denn er war ein Geizhals, und dachte nur darauf, wie er die Kasse, die er in Verwahrung hatte, bereichern möchte.
Praktische Anmerkungen.
1. Es ist ein sehr gemeines Schicksal, daß auch die redlichsten Handlungen von übelgesinnten Menschen getadelt, und lieblos be- urtheilt zu werden pflegen. Allein es ist mein Trost, daß der un- partheyische Zeuge und Richter meiner Handlungen im Himmel ist.
2. Auch dem Lasterhaftesten fehlt es nicht an einem scheinba- ren Vorwande, hinter welchem er seine boshaften Absichten zu verbergen sucht.
3. Jede Wohlthat, die ich dürftigen Gliedern Jesu erzeige, ist, wenn sie mir auch Verlust zuzöge, ein grosser Gewinn.
4. Es ist die Eigenschaft eines Geizigen, daß er unter dem Scheine der Sparsamkeit sich der Ausübung der Liebeswerke entzieht.
5. Wie
Erſt. Abſchn. Von einigen Begebenheiten
4. Alles, was Gott wohlgefällig ſeyn ſoll, muß aus einer wahren Liebe und Hochachtung gegen Gott herflieſſen.
4. Tadel dieſer Liebeshandlung.
Einige von den Jüngern, vielleicht aus Neid und Ei- gennutz, vielleicht aus andern Vorurtheilen, waren über dieſe Handlung unzufrieden. Vor allen andern aber zeig- te Judas, Simons Sohn, mit dem Beynahmen Iſcha- rioth, der Jeſum nachher verrieth, die ſichtbarſte Erbitte- rung. Dieſer war es hauptſächlich, welcher der rechtſchaf- fenen Frau, ja Jeſu ſelbſt, die unanſtändigſten Vorwür- fe deswegen machte. Wozu, ſprach er, dient derglei- chen unnütze Verſchwendung? Eine ſo köſtliche Sal- be hätte leicht um mehr, als dreyßig Thaler verkauft, und dieſe Summe unter die Armen ausgetheilt wer- den können. So ſcheinbar dieſer Tadel war, ſo floß er doch bey dem Judas nicht aus einer aufrichtigen Neigung, den Armen beyzuſtehen, ſondern aus einer unmäßigen Geldbegierde her. Denn er war ein Geizhals, und dachte nur darauf, wie er die Kaſſe, die er in Verwahrung hatte, bereichern möchte.
Praktiſche Anmerkungen.
1. Es iſt ein ſehr gemeines Schickſal, daß auch die redlichſten Handlungen von übelgeſinnten Menſchen getadelt, und lieblos be- urtheilt zu werden pflegen. Allein es iſt mein Troſt, daß der un- partheyiſche Zeuge und Richter meiner Handlungen im Himmel iſt.
2. Auch dem Laſterhafteſten fehlt es nicht an einem ſcheinba- ren Vorwande, hinter welchem er ſeine boshaften Abſichten zu verbergen ſucht.
3. Jede Wohlthat, die ich dürftigen Gliedern Jeſu erzeige, iſt, wenn ſie mir auch Verluſt zuzöge, ein groſſer Gewinn.
4. Es iſt die Eigenſchaft eines Geizigen, daß er unter dem Scheine der Sparſamkeit ſich der Ausübung der Liebeswerke entzieht.
5. Wie
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Erſt. Abſchn. Von einigen Begebenheiten
4. Alles, was Gott wohlgefällig ſeyn ſoll, muß aus einer
wahren Liebe und Hochachtung gegen Gott herflieſſen.
4. Tadel dieſer Liebeshandlung.
Einige von den Jüngern, vielleicht aus Neid und Ei-
gennutz, vielleicht aus andern Vorurtheilen, waren über
dieſe Handlung unzufrieden. Vor allen andern aber zeig-
te Judas, Simons Sohn, mit dem Beynahmen Iſcha-
rioth, der Jeſum nachher verrieth, die ſichtbarſte Erbitte-
rung. Dieſer war es hauptſächlich, welcher der rechtſchaf-
fenen Frau, ja Jeſu ſelbſt, die unanſtändigſten Vorwür-
fe deswegen machte. Wozu, ſprach er, dient derglei-
chen unnütze Verſchwendung? Eine ſo köſtliche Sal-
be hätte leicht um mehr, als dreyßig Thaler verkauft,
und dieſe Summe unter die Armen ausgetheilt wer-
den können. So ſcheinbar dieſer Tadel war, ſo floß er
doch bey dem Judas nicht aus einer aufrichtigen Neigung,
den Armen beyzuſtehen, ſondern aus einer unmäßigen
Geldbegierde her. Denn er war ein Geizhals, und dachte
nur darauf, wie er die Kaſſe, die er in Verwahrung hatte,
bereichern möchte.
Praktiſche Anmerkungen.
1. Es iſt ein ſehr gemeines Schickſal, daß auch die redlichſten
Handlungen von übelgeſinnten Menſchen getadelt, und lieblos be-
urtheilt zu werden pflegen. Allein es iſt mein Troſt, daß der un-
partheyiſche Zeuge und Richter meiner Handlungen im Himmel iſt.
2. Auch dem Laſterhafteſten fehlt es nicht an einem ſcheinba-
ren Vorwande, hinter welchem er ſeine boshaften Abſichten zu
verbergen ſucht.
3. Jede Wohlthat, die ich dürftigen Gliedern Jeſu erzeige,
iſt, wenn ſie mir auch Verluſt zuzöge, ein groſſer Gewinn.
4. Es iſt die Eigenſchaft eines Geizigen, daß er unter dem
Scheine der Sparſamkeit ſich der Ausübung der Liebeswerke
entzieht.
5. Wie
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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/224>, abgerufen am 18.06.2024.
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