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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Erst. Abschn. Von einigen Begebenheiten
sche nieder. Als sie nun alle zu Tische lagen, so sprach er
zu ihnen: Mich hat sehnlich verlanget, noch vor dem
Anfange meines letzten Leidens, das Osterlamm mit
euch zu geniessen, um theils alle Gerechtigkeit des
Gesetzes zu erfüllen, theils euch die letzten Beweise
meiner Liebe zu geben. Denn ich versichere euch,
daß ich es jetzt zum letztenmale mit euch geniessen wer-
de, weil mit meinem Tode die neue Gnadenhaushal-
tung Gottes ihren Anfang nimmt.
Hierauf nahm
er den Becher, den man bey dem Anfange der Oster-
mahlzeit herumzugeben pflegte, betete darüber, und ließ ihn
unter den Jüngern gemeinschaftlich herumgehen. Da-
bey aber versicherte er ihnen: er würde nie wieder von dem
Gewächse des Weinstockes trinken; auf eine neue Art
würde er es aber in seines Vaters Reiche thun, wenn die
neue Haushaltung Gottes erschienen wäre.

Praktische Anmerkungen.

1. Je näher es mit uns zum Ende geht, desto tröstlicher ist es,
wenn wir uns überzeugen können, daß wir nie mit Vorsatz die
Verordnungen Gottes übertreten haben.

2. So wie Jesus in den Handlungen der Religion seinen
Trost bey der Annäherung seiner Leiden und seines Todes fand,
so wird es auch mir meine letzten Schmerzen erleichtern und mei-
ne Todesfurcht mindern, wenn ich an Gott und seinem Worte
Lust finde.

3. Todesbetrachtungen anzustellen, kann ich immer Gelegen-
heit finden. Bey jeder Speise, bey jedem Tranke, den ich ge-
niesse, bey jedem Vergnügen, welches mir Gott schenkt, kann ich
auch sagen: vielleicht ist es das letztemal, daß ich diß oder jenes
geniesse. Diese Gedanken werden mich bey dem Genusse aller
irdischen Dinge behutsam machen.

12 Entdeckung des Verräthers.

Während der ganzen Mahlzeit hatte sich eine traurige
Stille und ein tiefes Nachdenken über dasjenige, was Je-

sus

Erſt. Abſchn. Von einigen Begebenheiten
ſche nieder. Als ſie nun alle zu Tiſche lagen, ſo ſprach er
zu ihnen: Mich hat ſehnlich verlanget, noch vor dem
Anfange meines letzten Leidens, das Oſterlamm mit
euch zu genieſſen, um theils alle Gerechtigkeit des
Geſetzes zu erfüllen, theils euch die letzten Beweiſe
meiner Liebe zu geben. Denn ich verſichere euch,
daß ich es jetzt zum letztenmale mit euch genieſſen wer-
de, weil mit meinem Tode die neue Gnadenhaushal-
tung Gottes ihren Anfang nimmt.
Hierauf nahm
er den Becher, den man bey dem Anfange der Oſter-
mahlzeit herumzugeben pflegte, betete darüber, und ließ ihn
unter den Jüngern gemeinſchaftlich herumgehen. Da-
bey aber verſicherte er ihnen: er würde nie wieder von dem
Gewächſe des Weinſtockes trinken; auf eine neue Art
würde er es aber in ſeines Vaters Reiche thun, wenn die
neue Haushaltung Gottes erſchienen wäre.

Praktiſche Anmerkungen.

1. Je näher es mit uns zum Ende geht, deſto tröſtlicher iſt es,
wenn wir uns überzeugen können, daß wir nie mit Vorſatz die
Verordnungen Gottes übertreten haben.

2. So wie Jeſus in den Handlungen der Religion ſeinen
Troſt bey der Annäherung ſeiner Leiden und ſeines Todes fand,
ſo wird es auch mir meine letzten Schmerzen erleichtern und mei-
ne Todesfurcht mindern, wenn ich an Gott und ſeinem Worte
Luſt finde.

3. Todesbetrachtungen anzuſtellen, kann ich immer Gelegen-
heit finden. Bey jeder Speiſe, bey jedem Tranke, den ich ge-
nieſſe, bey jedem Vergnügen, welches mir Gott ſchenkt, kann ich
auch ſagen: vielleicht iſt es das letztemal, daß ich diß oder jenes
genieſſe. Dieſe Gedanken werden mich bey dem Genuſſe aller
irdiſchen Dinge behutſam machen.

12 Entdeckung des Verräthers.

Während der ganzen Mahlzeit hatte ſich eine traurige
Stille und ein tiefes Nachdenken über dasjenige, was Je-

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[212/0234] Erſt. Abſchn. Von einigen Begebenheiten ſche nieder. Als ſie nun alle zu Tiſche lagen, ſo ſprach er zu ihnen: Mich hat ſehnlich verlanget, noch vor dem Anfange meines letzten Leidens, das Oſterlamm mit euch zu genieſſen, um theils alle Gerechtigkeit des Geſetzes zu erfüllen, theils euch die letzten Beweiſe meiner Liebe zu geben. Denn ich verſichere euch, daß ich es jetzt zum letztenmale mit euch genieſſen wer- de, weil mit meinem Tode die neue Gnadenhaushal- tung Gottes ihren Anfang nimmt. Hierauf nahm er den Becher, den man bey dem Anfange der Oſter- mahlzeit herumzugeben pflegte, betete darüber, und ließ ihn unter den Jüngern gemeinſchaftlich herumgehen. Da- bey aber verſicherte er ihnen: er würde nie wieder von dem Gewächſe des Weinſtockes trinken; auf eine neue Art würde er es aber in ſeines Vaters Reiche thun, wenn die neue Haushaltung Gottes erſchienen wäre. Praktiſche Anmerkungen. 1. Je näher es mit uns zum Ende geht, deſto tröſtlicher iſt es, wenn wir uns überzeugen können, daß wir nie mit Vorſatz die Verordnungen Gottes übertreten haben. 2. So wie Jeſus in den Handlungen der Religion ſeinen Troſt bey der Annäherung ſeiner Leiden und ſeines Todes fand, ſo wird es auch mir meine letzten Schmerzen erleichtern und mei- ne Todesfurcht mindern, wenn ich an Gott und ſeinem Worte Luſt finde. 3. Todesbetrachtungen anzuſtellen, kann ich immer Gelegen- heit finden. Bey jeder Speiſe, bey jedem Tranke, den ich ge- nieſſe, bey jedem Vergnügen, welches mir Gott ſchenkt, kann ich auch ſagen: vielleicht iſt es das letztemal, daß ich diß oder jenes genieſſe. Dieſe Gedanken werden mich bey dem Genuſſe aller irdiſchen Dinge behutſam machen. 12 Entdeckung des Verräthers. Während der ganzen Mahlzeit hatte ſich eine traurige Stille und ein tiefes Nachdenken über dasjenige, was Je- ſus

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/234>, abgerufen am 24.11.2024.