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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Von dem Leiden Jesu selbst.
7. Gefangennehmung Jesu.

Diese freymüthige Erklärung Jesu machte Judam,
statt daß er von seiner Frevelthat abgeschreckt wurde, noch
dreuster, dieselbe an Jesu zu vollziehen. Mit einer ver-
stellten Freundlichkeit näherte er sich Jesu, in der Absicht,
ihn zu küssen. Denn dis war das Zeichen, welches er
mit den Feinden Jesu verabredet hatte, da er ihnen sagte:
welchen ich küssen werde, der ists; den nehmet gefan-
gen. Aber brauchet alle Vorsicht, wenn ihr ihn
fortführet.
Der Verräther setzte nicht ohne Ursache die-
se Erinnerung hinzu, weil er in der gewissen Erwartung
stund, daß Jesus, wie er schon öfters gethan, sich auf eine
wunderthätige Art aus den Händen seiner Feinden losma-
chen würde. Nach der genommenen Abrede trat er also
zu Jesu mit den Worten: Rabbi! sey gegrüsset. Und
zu gleicher Zeit küßte er ihn mehrmals und auf die verbind-
lichste Art. Jesus, der die ganze Bosheit seiner verstellten
Freundlichkeit einsahe, sagte zu ihm: mein Freund! Ist
dis die Absicht, in welcher du hieher gekommen bist?
Juda! scheuest du dich nicht, des Menschen Sohn
durch einen Kuß an seine Feinde zu verrathen?
Der
Verräther blieb bey dieser liebreichen Vorstellung eben so
gefühlloß, als die übrige Schaar der Feinde. Denn so-
gleich eilten diese, die Hände an Jesum zu legen. Und
sie bemächtigten sich seiner Person.

Praktische Anmerkungen.

1. Zu welchen Schandthaten ist nicht ein Mensch fähig, der, wie
Judas, sich selbst verstocket, und sein Herz gegen alle Erinne-
rungen und Warnungen verschließt.

2. Einem Sünder, der böses zu thun entschlossen ist, ist
nichts zu heilig, das er nicht verletze, nichts zu niederträchtig,
das er nicht ausübe, nichts so unmenschlich, zu welchem er
sich nicht bequemen sollte.

3. Wie
P 3
Von dem Leiden Jeſu ſelbſt.
7. Gefangennehmung Jeſu.

Dieſe freymüthige Erklärung Jeſu machte Judam,
ſtatt daß er von ſeiner Frevelthat abgeſchreckt wurde, noch
dreuſter, dieſelbe an Jeſu zu vollziehen. Mit einer ver-
ſtellten Freundlichkeit näherte er ſich Jeſu, in der Abſicht,
ihn zu küſſen. Denn dis war das Zeichen, welches er
mit den Feinden Jeſu verabredet hatte, da er ihnen ſagte:
welchen ich küſſen werde, der iſts; den nehmet gefan-
gen. Aber brauchet alle Vorſicht, wenn ihr ihn
fortführet.
Der Verräther ſetzte nicht ohne Urſache die-
ſe Erinnerung hinzu, weil er in der gewiſſen Erwartung
ſtund, daß Jeſus, wie er ſchon öfters gethan, ſich auf eine
wunderthätige Art aus den Händen ſeiner Feinden losma-
chen würde. Nach der genommenen Abrede trat er alſo
zu Jeſu mit den Worten: Rabbi! ſey gegrüſſet. Und
zu gleicher Zeit küßte er ihn mehrmals und auf die verbind-
lichſte Art. Jeſus, der die ganze Bosheit ſeiner verſtellten
Freundlichkeit einſahe, ſagte zu ihm: mein Freund! Iſt
dis die Abſicht, in welcher du hieher gekommen biſt?
Juda! ſcheueſt du dich nicht, des Menſchen Sohn
durch einen Kuß an ſeine Feinde zu verrathen?
Der
Verräther blieb bey dieſer liebreichen Vorſtellung eben ſo
gefühlloß, als die übrige Schaar der Feinde. Denn ſo-
gleich eilten dieſe, die Hände an Jeſum zu legen. Und
ſie bemächtigten ſich ſeiner Perſon.

Praktiſche Anmerkungen.

1. Zu welchen Schandthaten iſt nicht ein Menſch fähig, der, wie
Judas, ſich ſelbſt verſtocket, und ſein Herz gegen alle Erinne-
rungen und Warnungen verſchließt.

2. Einem Sünder, der böſes zu thun entſchloſſen iſt, iſt
nichts zu heilig, das er nicht verletze, nichts zu niederträchtig,
das er nicht ausübe, nichts ſo unmenſchlich, zu welchem er
ſich nicht bequemen ſollte.

3. Wie
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[229/0251] Von dem Leiden Jeſu ſelbſt. 7. Gefangennehmung Jeſu. Dieſe freymüthige Erklärung Jeſu machte Judam, ſtatt daß er von ſeiner Frevelthat abgeſchreckt wurde, noch dreuſter, dieſelbe an Jeſu zu vollziehen. Mit einer ver- ſtellten Freundlichkeit näherte er ſich Jeſu, in der Abſicht, ihn zu küſſen. Denn dis war das Zeichen, welches er mit den Feinden Jeſu verabredet hatte, da er ihnen ſagte: welchen ich küſſen werde, der iſts; den nehmet gefan- gen. Aber brauchet alle Vorſicht, wenn ihr ihn fortführet. Der Verräther ſetzte nicht ohne Urſache die- ſe Erinnerung hinzu, weil er in der gewiſſen Erwartung ſtund, daß Jeſus, wie er ſchon öfters gethan, ſich auf eine wunderthätige Art aus den Händen ſeiner Feinden losma- chen würde. Nach der genommenen Abrede trat er alſo zu Jeſu mit den Worten: Rabbi! ſey gegrüſſet. Und zu gleicher Zeit küßte er ihn mehrmals und auf die verbind- lichſte Art. Jeſus, der die ganze Bosheit ſeiner verſtellten Freundlichkeit einſahe, ſagte zu ihm: mein Freund! Iſt dis die Abſicht, in welcher du hieher gekommen biſt? Juda! ſcheueſt du dich nicht, des Menſchen Sohn durch einen Kuß an ſeine Feinde zu verrathen? Der Verräther blieb bey dieſer liebreichen Vorſtellung eben ſo gefühlloß, als die übrige Schaar der Feinde. Denn ſo- gleich eilten dieſe, die Hände an Jeſum zu legen. Und ſie bemächtigten ſich ſeiner Perſon. Praktiſche Anmerkungen. 1. Zu welchen Schandthaten iſt nicht ein Menſch fähig, der, wie Judas, ſich ſelbſt verſtocket, und ſein Herz gegen alle Erinne- rungen und Warnungen verſchließt. 2. Einem Sünder, der böſes zu thun entſchloſſen iſt, iſt nichts zu heilig, das er nicht verletze, nichts zu niederträchtig, das er nicht ausübe, nichts ſo unmenſchlich, zu welchem er ſich nicht bequemen ſollte. 3. Wie P 3

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/251>, abgerufen am 21.11.2024.