Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweyter Abschnitt.
ge ich, daß, da es auf mich angesehen ist, ihr diese
meine Jünger in Ruhe lasset und keine Hand an sie
leget.
Dieses zu sagen bewog Jesum, die Schwachheit
seiner Jünger, die noch nicht stark genug waren, mit ihm
zu leiden. Hier traf also dasjenige ein, was Jesus kurz
vorher in seinem Gebete, gegen Gott geäussert hatte: ich
habe keinen von denjenigen verwahrloset, die du
mir gegeben hast.

Praktische Anmerkungen.

1. Jesus wußte alle Schicksale, die ihm bevorstunden; aber
er blieb deswegen dennoch in der ruhigen Fassung seines Herzens,
und suchte ihnen nicht auszuweichen. Wenn mir meine künfti-
gen Leiden bekannt wären: würde ich auch so ruhig, auch so we-
nig um meine Sicherheit besorgt seyn?

2. Es stund in der Gewalt Jesu, sich gefangen nehmen zu
lassen und sich in Freyheit zu setzen. Hieraus erkenne ich aber
seine Freywilligkeit zu leiden.

3. Hatte die Stimme des erniedrigten Jesu eine solche Kraft:
welche unwidersprechliche Macht wird sie einst beweisen, wenn er
an jenem Gerichtstage zu den Sündern sagen wird: ich bins!

4. Wie verschonend ist Jesus gegen seine Feinde! Es stund
in seiner Macht, sie zu zernichten; allein er schenkt ihnen aufs
neue das Leben, dessen sie so unwerth waren.

5. Kaum fühlen sich die Feinde Jesu gestärkt, so wenden sie
ihre neue Kraft zur Ausübung der Sünde an. Allein handeln
diejenigen besser, welche nach ihrer Genesung, oder nach Be-
freyung aus grossen Gefahren, in ihren gewohnten Sünden
fortfahren?

6. In den gefährlichsten Umständen ist Jesus mehr um die
Sicherheit der Seinigen, als um seine eigene Wohlfahrt besorgt.
Wie gut ist es also, ein Jünger Jesu zu seyn!

7. Wenn ich einmal sterben werde, so wünsche ich mir das
grosse Glück, so sprechen zu können, wie Jesus bey seinem Aus-
tritt aus der Welt sprach: ich habe nichts von demjenigen, was
mir Gott anvertrauet hat, mit Vorsatz verwahrloset.

7. Ge-

Zweyter Abſchnitt.
ge ich, daß, da es auf mich angeſehen iſt, ihr dieſe
meine Jünger in Ruhe laſſet und keine Hand an ſie
leget.
Dieſes zu ſagen bewog Jeſum, die Schwachheit
ſeiner Jünger, die noch nicht ſtark genug waren, mit ihm
zu leiden. Hier traf alſo dasjenige ein, was Jeſus kurz
vorher in ſeinem Gebete, gegen Gott geäuſſert hatte: ich
habe keinen von denjenigen verwahrloſet, die du
mir gegeben haſt.

Praktiſche Anmerkungen.

1. Jeſus wußte alle Schickſale, die ihm bevorſtunden; aber
er blieb deswegen dennoch in der ruhigen Faſſung ſeines Herzens,
und ſuchte ihnen nicht auszuweichen. Wenn mir meine künfti-
gen Leiden bekannt wären: würde ich auch ſo ruhig, auch ſo we-
nig um meine Sicherheit beſorgt ſeyn?

2. Es ſtund in der Gewalt Jeſu, ſich gefangen nehmen zu
laſſen und ſich in Freyheit zu ſetzen. Hieraus erkenne ich aber
ſeine Freywilligkeit zu leiden.

3. Hatte die Stimme des erniedrigten Jeſu eine ſolche Kraft:
welche unwiderſprechliche Macht wird ſie einſt beweiſen, wenn er
an jenem Gerichtstage zu den Sündern ſagen wird: ich bins!

4. Wie verſchonend iſt Jeſus gegen ſeine Feinde! Es ſtund
in ſeiner Macht, ſie zu zernichten; allein er ſchenkt ihnen aufs
neue das Leben, deſſen ſie ſo unwerth waren.

5. Kaum fühlen ſich die Feinde Jeſu geſtärkt, ſo wenden ſie
ihre neue Kraft zur Ausübung der Sünde an. Allein handeln
diejenigen beſſer, welche nach ihrer Geneſung, oder nach Be-
freyung aus groſſen Gefahren, in ihren gewohnten Sünden
fortfahren?

6. In den gefährlichſten Umſtänden iſt Jeſus mehr um die
Sicherheit der Seinigen, als um ſeine eigene Wohlfahrt beſorgt.
Wie gut iſt es alſo, ein Jünger Jeſu zu ſeyn!

7. Wenn ich einmal ſterben werde, ſo wünſche ich mir das
groſſe Glück, ſo ſprechen zu können, wie Jeſus bey ſeinem Aus-
tritt aus der Welt ſprach: ich habe nichts von demjenigen, was
mir Gott anvertrauet hat, mit Vorſatz verwahrloſet.

7. Ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0250" n="228"/><fw place="top" type="header">Zweyter Ab&#x017F;chnitt.</fw><lb/><hi rendition="#fr">ge ich, daß, da es auf mich ange&#x017F;ehen i&#x017F;t, ihr die&#x017F;e<lb/>
meine Jünger in Ruhe la&#x017F;&#x017F;et und keine Hand an &#x017F;ie<lb/>
leget.</hi> Die&#x017F;es zu &#x017F;agen bewog Je&#x017F;um, die Schwachheit<lb/>
&#x017F;einer Jünger, die noch nicht &#x017F;tark genug waren, mit ihm<lb/>
zu leiden. Hier traf al&#x017F;o dasjenige ein, was Je&#x017F;us kurz<lb/>
vorher in &#x017F;einem Gebete, gegen Gott geäu&#x017F;&#x017F;ert hatte: <hi rendition="#fr">ich<lb/>
habe keinen von denjenigen verwahrlo&#x017F;et, die du<lb/>
mir gegeben ha&#x017F;t.</hi></p><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#fr">Prakti&#x017F;che Anmerkungen.</hi> </head><lb/>
              <p>1. Je&#x017F;us wußte alle Schick&#x017F;ale, die ihm bevor&#x017F;tunden; aber<lb/>
er blieb deswegen dennoch in der ruhigen Fa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;eines Herzens,<lb/>
und &#x017F;uchte ihnen nicht auszuweichen. Wenn mir meine künfti-<lb/>
gen Leiden bekannt wären: würde ich auch &#x017F;o ruhig, auch &#x017F;o we-<lb/>
nig um meine Sicherheit be&#x017F;orgt &#x017F;eyn?</p><lb/>
              <p>2. Es &#x017F;tund in der Gewalt Je&#x017F;u, &#x017F;ich gefangen nehmen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;ich in Freyheit zu &#x017F;etzen. Hieraus erkenne ich aber<lb/>
&#x017F;eine Freywilligkeit zu leiden.</p><lb/>
              <p>3. Hatte die Stimme des erniedrigten Je&#x017F;u eine &#x017F;olche Kraft:<lb/>
welche unwider&#x017F;prechliche Macht wird &#x017F;ie ein&#x017F;t bewei&#x017F;en, wenn er<lb/>
an jenem Gerichtstage zu den Sündern &#x017F;agen wird: ich bins!</p><lb/>
              <p>4. Wie ver&#x017F;chonend i&#x017F;t Je&#x017F;us gegen &#x017F;eine Feinde! Es &#x017F;tund<lb/>
in &#x017F;einer Macht, &#x017F;ie zu zernichten; allein er &#x017F;chenkt ihnen aufs<lb/>
neue das Leben, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie &#x017F;o unwerth waren.</p><lb/>
              <p>5. Kaum fühlen &#x017F;ich die Feinde Je&#x017F;u ge&#x017F;tärkt, &#x017F;o wenden &#x017F;ie<lb/>
ihre neue Kraft zur Ausübung der Sünde an. Allein handeln<lb/>
diejenigen be&#x017F;&#x017F;er, welche nach ihrer Gene&#x017F;ung, oder nach Be-<lb/>
freyung aus gro&#x017F;&#x017F;en Gefahren, in ihren gewohnten Sünden<lb/>
fortfahren?</p><lb/>
              <p>6. In den gefährlich&#x017F;ten Um&#x017F;tänden i&#x017F;t Je&#x017F;us mehr um die<lb/>
Sicherheit der Seinigen, als um &#x017F;eine eigene Wohlfahrt be&#x017F;orgt.<lb/>
Wie gut i&#x017F;t es al&#x017F;o, ein Jünger Je&#x017F;u zu &#x017F;eyn!</p><lb/>
              <p>7. Wenn ich einmal &#x017F;terben werde, &#x017F;o wün&#x017F;che ich mir das<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e Glück, &#x017F;o &#x017F;prechen zu können, wie Je&#x017F;us bey &#x017F;einem Aus-<lb/>
tritt aus der Welt &#x017F;prach: ich habe nichts von demjenigen, was<lb/>
mir Gott anvertrauet hat, mit Vor&#x017F;atz verwahrlo&#x017F;et.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">7. Ge-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0250] Zweyter Abſchnitt. ge ich, daß, da es auf mich angeſehen iſt, ihr dieſe meine Jünger in Ruhe laſſet und keine Hand an ſie leget. Dieſes zu ſagen bewog Jeſum, die Schwachheit ſeiner Jünger, die noch nicht ſtark genug waren, mit ihm zu leiden. Hier traf alſo dasjenige ein, was Jeſus kurz vorher in ſeinem Gebete, gegen Gott geäuſſert hatte: ich habe keinen von denjenigen verwahrloſet, die du mir gegeben haſt. Praktiſche Anmerkungen. 1. Jeſus wußte alle Schickſale, die ihm bevorſtunden; aber er blieb deswegen dennoch in der ruhigen Faſſung ſeines Herzens, und ſuchte ihnen nicht auszuweichen. Wenn mir meine künfti- gen Leiden bekannt wären: würde ich auch ſo ruhig, auch ſo we- nig um meine Sicherheit beſorgt ſeyn? 2. Es ſtund in der Gewalt Jeſu, ſich gefangen nehmen zu laſſen und ſich in Freyheit zu ſetzen. Hieraus erkenne ich aber ſeine Freywilligkeit zu leiden. 3. Hatte die Stimme des erniedrigten Jeſu eine ſolche Kraft: welche unwiderſprechliche Macht wird ſie einſt beweiſen, wenn er an jenem Gerichtstage zu den Sündern ſagen wird: ich bins! 4. Wie verſchonend iſt Jeſus gegen ſeine Feinde! Es ſtund in ſeiner Macht, ſie zu zernichten; allein er ſchenkt ihnen aufs neue das Leben, deſſen ſie ſo unwerth waren. 5. Kaum fühlen ſich die Feinde Jeſu geſtärkt, ſo wenden ſie ihre neue Kraft zur Ausübung der Sünde an. Allein handeln diejenigen beſſer, welche nach ihrer Geneſung, oder nach Be- freyung aus groſſen Gefahren, in ihren gewohnten Sünden fortfahren? 6. In den gefährlichſten Umſtänden iſt Jeſus mehr um die Sicherheit der Seinigen, als um ſeine eigene Wohlfahrt beſorgt. Wie gut iſt es alſo, ein Jünger Jeſu zu ſeyn! 7. Wenn ich einmal ſterben werde, ſo wünſche ich mir das groſſe Glück, ſo ſprechen zu können, wie Jeſus bey ſeinem Aus- tritt aus der Welt ſprach: ich habe nichts von demjenigen, was mir Gott anvertrauet hat, mit Vorſatz verwahrloſet. 7. Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/250
Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/250>, abgerufen am 18.06.2024.