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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Zweyter Abschnitt.

4. Auch die boshaftesten Handlungen müssen endlich zur Aus-
führung des Rathschlusses Gottes beförderlich seyn.

5. Durch die Gefangennehmung Jesu ist meine gesetzlose
Freyheit gebüsset, und alle Mißhandlung seiner Glieder geheili-
get worden.

11. Flucht der Jünger.

Bey diesem Anblicke verlohren die Jünger auf einmal
allen Muth. Sie stellten sich alle die grausamen Schick-
sale vor, welche sie nun bey der Abwesenheit ihres Mei-
sters zu erwarten hätten, ohne sich des Schutzes zu erin-
nern, den er ihnen schon so oft und erst einige Augenblicke
vorher versprochen hatte. Sie liessen daher ihren Meister
in der Gewalt seiner Feinde und flohen alle. Ein einziger
Jüngling hatte noch den Muth, Jesu nachzufolgen. Die-
ser wohnte vielleicht in der Nähe von Gethsemane, und
wurde durch den nächtlichen Lärm aus dem Schlaf erweckt.
Er hatte blos ein leichtes Nachtkleid über sich geworfen, und
war neugierig, den Verlauf der Sache zu sehen. Er gieng
in einiger Entfernung hinter Jesu her. Allein die Solda-
ten, die ihn für einen Kundschafter halten mochten, griffen
nach ihm und wollten ihn gefangen nehmen. Der Jüng-
ling aber ließ das Nachtkleid, an welchem man ihm fest hal-
ten wollte, fahren, und flohe bloß davon.

Praktische Anmerkungen.

1. Wie unbeständig, betrüglich und ungewiß sind doch die
Vorsätze der besten Menschen! Wie leicht kann ein noch entfern-
tes Uebel den Heldenmuth dämpfen!

2. Meine eigene Schwachheit wird mir oft nicht eher bekannt,
als bis ich aufgefordert werde, meine Stärke zu zeigen.

3. Jesus ist ein in aller Absicht versuchter Hoherpriester. Die
Untreue und der Wankelmuth seiner Freunde, den er erfahren
mußte, kann mich in ähnlichen Schicksalen aufrichten.

4. Wie
Zweyter Abſchnitt.

4. Auch die boshafteſten Handlungen müſſen endlich zur Aus-
führung des Rathſchluſſes Gottes beförderlich ſeyn.

5. Durch die Gefangennehmung Jeſu iſt meine geſetzloſe
Freyheit gebüſſet, und alle Mißhandlung ſeiner Glieder geheili-
get worden.

11. Flucht der Jünger.

Bey dieſem Anblicke verlohren die Jünger auf einmal
allen Muth. Sie ſtellten ſich alle die grauſamen Schick-
ſale vor, welche ſie nun bey der Abweſenheit ihres Mei-
ſters zu erwarten hätten, ohne ſich des Schutzes zu erin-
nern, den er ihnen ſchon ſo oft und erſt einige Augenblicke
vorher verſprochen hatte. Sie lieſſen daher ihren Meiſter
in der Gewalt ſeiner Feinde und flohen alle. Ein einziger
Jüngling hatte noch den Muth, Jeſu nachzufolgen. Die-
ſer wohnte vielleicht in der Nähe von Gethſemane, und
wurde durch den nächtlichen Lärm aus dem Schlaf erweckt.
Er hatte blos ein leichtes Nachtkleid über ſich geworfen, und
war neugierig, den Verlauf der Sache zu ſehen. Er gieng
in einiger Entfernung hinter Jeſu her. Allein die Solda-
ten, die ihn für einen Kundſchafter halten mochten, griffen
nach ihm und wollten ihn gefangen nehmen. Der Jüng-
ling aber ließ das Nachtkleid, an welchem man ihm feſt hal-
ten wollte, fahren, und flohe bloß davon.

Praktiſche Anmerkungen.

1. Wie unbeſtändig, betrüglich und ungewiß ſind doch die
Vorſätze der beſten Menſchen! Wie leicht kann ein noch entfern-
tes Uebel den Heldenmuth dämpfen!

2. Meine eigene Schwachheit wird mir oft nicht eher bekannt,
als bis ich aufgefordert werde, meine Stärke zu zeigen.

3. Jeſus iſt ein in aller Abſicht verſuchter Hoherprieſter. Die
Untreue und der Wankelmuth ſeiner Freunde, den er erfahren
mußte, kann mich in ähnlichen Schickſalen aufrichten.

4. Wie
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[234/0256] Zweyter Abſchnitt. 4. Auch die boshafteſten Handlungen müſſen endlich zur Aus- führung des Rathſchluſſes Gottes beförderlich ſeyn. 5. Durch die Gefangennehmung Jeſu iſt meine geſetzloſe Freyheit gebüſſet, und alle Mißhandlung ſeiner Glieder geheili- get worden. 11. Flucht der Jünger. Bey dieſem Anblicke verlohren die Jünger auf einmal allen Muth. Sie ſtellten ſich alle die grauſamen Schick- ſale vor, welche ſie nun bey der Abweſenheit ihres Mei- ſters zu erwarten hätten, ohne ſich des Schutzes zu erin- nern, den er ihnen ſchon ſo oft und erſt einige Augenblicke vorher verſprochen hatte. Sie lieſſen daher ihren Meiſter in der Gewalt ſeiner Feinde und flohen alle. Ein einziger Jüngling hatte noch den Muth, Jeſu nachzufolgen. Die- ſer wohnte vielleicht in der Nähe von Gethſemane, und wurde durch den nächtlichen Lärm aus dem Schlaf erweckt. Er hatte blos ein leichtes Nachtkleid über ſich geworfen, und war neugierig, den Verlauf der Sache zu ſehen. Er gieng in einiger Entfernung hinter Jeſu her. Allein die Solda- ten, die ihn für einen Kundſchafter halten mochten, griffen nach ihm und wollten ihn gefangen nehmen. Der Jüng- ling aber ließ das Nachtkleid, an welchem man ihm feſt hal- ten wollte, fahren, und flohe bloß davon. Praktiſche Anmerkungen. 1. Wie unbeſtändig, betrüglich und ungewiß ſind doch die Vorſätze der beſten Menſchen! Wie leicht kann ein noch entfern- tes Uebel den Heldenmuth dämpfen! 2. Meine eigene Schwachheit wird mir oft nicht eher bekannt, als bis ich aufgefordert werde, meine Stärke zu zeigen. 3. Jeſus iſt ein in aller Abſicht verſuchter Hoherprieſter. Die Untreue und der Wankelmuth ſeiner Freunde, den er erfahren mußte, kann mich in ähnlichen Schickſalen aufrichten. 4. Wie

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/256>, abgerufen am 22.11.2024.