Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

Bild:
<< vorherige Seite
Von dem Leiden Jesu selbst.
Praktische Anmerkungen.

1. Auch die größten Bösewichter können nicht allezeit die
Stimme ihres aufgewachten Gewissens dämpfen oder unter-
drücken.

2. Ernsthafte Gedanken von Gott und seiner Gerechtigkeit
können auch das gefühlloseste Herz bisweilen erschüttern.

3. Die Mächtigen der Welt vergessen es gar zu leicht, daß
sie ihre Macht von Gott haben, und also nicht nach ihrer Will-
kühr handeln können.

4. Alle Vorzüge, Gaben und Veränderungen der Menschen
rühren von der Regierung Gottes her.

5. Obrigkeitliche Personen werden vor andern Menschen eine
schwere Rechenschast Gott abzulegen haben, wenn sie die Pflich-
ten ihres Amtes übertreten.

6. Je grösser die Mittel der Erkenntniß und der Gottseligkeit
sind, wider welche wir sündigen, desto grösser ist auch unsre
Verschuldung.

36. Verurtheilung Jesu.

Diese Rede Jesu machte auf das Herz Pilati einen
so starken Eindruck, daß er von dem Augenblick an seine
Bemühung verdoppelte, Jesum in Freyheit zu setzen. Zu
diesem Ende gieng er nochmals zu dem versammleten Vol-
ke heraus, und that ihnen von neuem wegen der Loslassung
Jesu Vorstellungen. Allein das Volk rief ihm zu: Wenn
du diesen Menschen loslässest, so bist du kein redli-
cher Diener des Kaisers. Denn es ist unläugbar,
daß derjenige, welcher sich bey uns zum Könige auf-
wirft, sich wider den Kaiser empören müsse.
Pila-
tus gerieth über diese Rede der Juden in die äusserste Ver-
wirrung, weil er wußte, mit welcher Strenge der Kaiser
alle Verbrechen, die nur den Schein einer Empörung hat-
ten, geahndet wissen wollte. Er setzte sich daher auf dem
gepflasterten Gerichtsplatze, welcher auf Ebräisch Gabbatha
heißt, auf den Richtstuhl nieder, und ließ Jesum wieder

vor
Von dem Leiden Jeſu ſelbſt.
Praktiſche Anmerkungen.

1. Auch die größten Böſewichter können nicht allezeit die
Stimme ihres aufgewachten Gewiſſens dämpfen oder unter-
drücken.

2. Ernſthafte Gedanken von Gott und ſeiner Gerechtigkeit
können auch das gefühlloſeſte Herz bisweilen erſchüttern.

3. Die Mächtigen der Welt vergeſſen es gar zu leicht, daß
ſie ihre Macht von Gott haben, und alſo nicht nach ihrer Will-
kühr handeln können.

4. Alle Vorzüge, Gaben und Veränderungen der Menſchen
rühren von der Regierung Gottes her.

5. Obrigkeitliche Perſonen werden vor andern Menſchen eine
ſchwere Rechenſchaſt Gott abzulegen haben, wenn ſie die Pflich-
ten ihres Amtes übertreten.

6. Je gröſſer die Mittel der Erkenntniß und der Gottſeligkeit
ſind, wider welche wir ſündigen, deſto gröſſer iſt auch unſre
Verſchuldung.

36. Verurtheilung Jeſu.

Dieſe Rede Jeſu machte auf das Herz Pilati einen
ſo ſtarken Eindruck, daß er von dem Augenblick an ſeine
Bemühung verdoppelte, Jeſum in Freyheit zu ſetzen. Zu
dieſem Ende gieng er nochmals zu dem verſammleten Vol-
ke heraus, und that ihnen von neuem wegen der Loslaſſung
Jeſu Vorſtellungen. Allein das Volk rief ihm zu: Wenn
du dieſen Menſchen losläſſeſt, ſo biſt du kein redli-
cher Diener des Kaiſers. Denn es iſt unläugbar,
daß derjenige, welcher ſich bey uns zum Könige auf-
wirft, ſich wider den Kaiſer empören müſſe.
Pila-
tus gerieth über dieſe Rede der Juden in die äuſſerſte Ver-
wirrung, weil er wußte, mit welcher Strenge der Kaiſer
alle Verbrechen, die nur den Schein einer Empörung hat-
ten, geahndet wiſſen wollte. Er ſetzte ſich daher auf dem
gepflaſterten Gerichtsplatze, welcher auf Ebräiſch Gabbatha
heißt, auf den Richtſtuhl nieder, und ließ Jeſum wieder

vor
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0289" n="267"/>
            <fw place="top" type="header">Von dem Leiden Je&#x017F;u &#x017F;elb&#x017F;t.</fw><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#fr">Prakti&#x017F;che Anmerkungen.</hi> </head><lb/>
              <p>1. Auch die größten Bö&#x017F;ewichter können nicht allezeit die<lb/>
Stimme ihres aufgewachten Gewi&#x017F;&#x017F;ens dämpfen oder unter-<lb/>
drücken.</p><lb/>
              <p>2. Ern&#x017F;thafte Gedanken von Gott und &#x017F;einer Gerechtigkeit<lb/>
können auch das gefühllo&#x017F;e&#x017F;te Herz bisweilen er&#x017F;chüttern.</p><lb/>
              <p>3. Die Mächtigen der Welt verge&#x017F;&#x017F;en es gar zu leicht, daß<lb/>
&#x017F;ie ihre Macht von Gott haben, und al&#x017F;o nicht nach ihrer Will-<lb/>
kühr handeln können.</p><lb/>
              <p>4. Alle Vorzüge, Gaben und Veränderungen der Men&#x017F;chen<lb/>
rühren von der Regierung Gottes her.</p><lb/>
              <p>5. Obrigkeitliche Per&#x017F;onen werden vor andern Men&#x017F;chen eine<lb/>
&#x017F;chwere Rechen&#x017F;cha&#x017F;t Gott abzulegen haben, wenn &#x017F;ie die Pflich-<lb/>
ten ihres Amtes übertreten.</p><lb/>
              <p>6. Je grö&#x017F;&#x017F;er die Mittel der Erkenntniß und der Gott&#x017F;eligkeit<lb/>
&#x017F;ind, wider welche wir &#x017F;ündigen, de&#x017F;to grö&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t auch un&#x017F;re<lb/>
Ver&#x017F;chuldung.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>36. Verurtheilung Je&#x017F;u.</head><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Rede Je&#x017F;u machte auf das Herz Pilati einen<lb/>
&#x017F;o &#x017F;tarken Eindruck, daß er von dem Augenblick an &#x017F;eine<lb/>
Bemühung verdoppelte, Je&#x017F;um in Freyheit zu &#x017F;etzen. Zu<lb/>
die&#x017F;em Ende gieng er nochmals zu dem ver&#x017F;ammleten Vol-<lb/>
ke heraus, und that ihnen von neuem wegen der Losla&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
Je&#x017F;u Vor&#x017F;tellungen. Allein das Volk rief ihm zu: <hi rendition="#fr">Wenn<lb/>
du die&#x017F;en Men&#x017F;chen loslä&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t, &#x017F;o bi&#x017F;t du kein redli-<lb/>
cher Diener des Kai&#x017F;ers. Denn es i&#x017F;t unläugbar,<lb/>
daß derjenige, welcher &#x017F;ich bey uns zum Könige auf-<lb/>
wirft, &#x017F;ich wider den Kai&#x017F;er empören mü&#x017F;&#x017F;e.</hi> Pila-<lb/>
tus gerieth über die&#x017F;e Rede der Juden in die äu&#x017F;&#x017F;er&#x017F;te Ver-<lb/>
wirrung, weil er wußte, mit welcher Strenge der Kai&#x017F;er<lb/>
alle Verbrechen, die nur den Schein einer Empörung hat-<lb/>
ten, geahndet wi&#x017F;&#x017F;en wollte. Er &#x017F;etzte &#x017F;ich daher auf dem<lb/>
gepfla&#x017F;terten Gerichtsplatze, welcher auf Ebräi&#x017F;ch Gabbatha<lb/>
heißt, auf den Richt&#x017F;tuhl nieder, und ließ Je&#x017F;um wieder<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">vor</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0289] Von dem Leiden Jeſu ſelbſt. Praktiſche Anmerkungen. 1. Auch die größten Böſewichter können nicht allezeit die Stimme ihres aufgewachten Gewiſſens dämpfen oder unter- drücken. 2. Ernſthafte Gedanken von Gott und ſeiner Gerechtigkeit können auch das gefühlloſeſte Herz bisweilen erſchüttern. 3. Die Mächtigen der Welt vergeſſen es gar zu leicht, daß ſie ihre Macht von Gott haben, und alſo nicht nach ihrer Will- kühr handeln können. 4. Alle Vorzüge, Gaben und Veränderungen der Menſchen rühren von der Regierung Gottes her. 5. Obrigkeitliche Perſonen werden vor andern Menſchen eine ſchwere Rechenſchaſt Gott abzulegen haben, wenn ſie die Pflich- ten ihres Amtes übertreten. 6. Je gröſſer die Mittel der Erkenntniß und der Gottſeligkeit ſind, wider welche wir ſündigen, deſto gröſſer iſt auch unſre Verſchuldung. 36. Verurtheilung Jeſu. Dieſe Rede Jeſu machte auf das Herz Pilati einen ſo ſtarken Eindruck, daß er von dem Augenblick an ſeine Bemühung verdoppelte, Jeſum in Freyheit zu ſetzen. Zu dieſem Ende gieng er nochmals zu dem verſammleten Vol- ke heraus, und that ihnen von neuem wegen der Loslaſſung Jeſu Vorſtellungen. Allein das Volk rief ihm zu: Wenn du dieſen Menſchen losläſſeſt, ſo biſt du kein redli- cher Diener des Kaiſers. Denn es iſt unläugbar, daß derjenige, welcher ſich bey uns zum Könige auf- wirft, ſich wider den Kaiſer empören müſſe. Pila- tus gerieth über dieſe Rede der Juden in die äuſſerſte Ver- wirrung, weil er wußte, mit welcher Strenge der Kaiſer alle Verbrechen, die nur den Schein einer Empörung hat- ten, geahndet wiſſen wollte. Er ſetzte ſich daher auf dem gepflaſterten Gerichtsplatze, welcher auf Ebräiſch Gabbatha heißt, auf den Richtſtuhl nieder, und ließ Jeſum wieder vor

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/289
Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/289>, abgerufen am 26.06.2024.