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Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

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Zweyter Abschnitt.
52. Oefnung der Seite Jesu.

Gott hatte den Juden ein Gesetz gegeben, daß der
Leichnam eines Gehängten nicht über Nacht am Holze
bleiben sollte. Die Juden glaubten, um so viel mehr zur
genauesten Beobachtung dieses Gesetzes verbunden zu seyn,
da der Tag, an welchem Jesus gestorben war, der Zu-
bereitungstag des grossen Sabbaths war. Sie ersuchten
daher Pilatum, er möchte erlauben, daß den Gekreuzig-
ten, um ihren Tod zu beschleunigen, die Beine gebrochen,
und sie alsdenn vom Kreuze genommen würden. Auf
erhaltene Erlaubniß brachen die Soldaten sowohl dem er-
stern, als dem andern die Beine. Als sie nun an Jesum
kamen, in der Absicht, auf ähnliche Art seinen Tod zu be-
fördern, so sahen sie, daß er bereits gestorben war. Sie
zerschmetterten ihm daher die Beine nicht. Um aber desto
gewisser überzeugt zu seyn, daß kein Leben in ihm wäre, so
durchstach einer die Seite Jesu mit einer Lanze, wo-
mit die römischen Soldaten versehen waren. Aus dieser
Wunde floß Blut und Wasser, und zwar so, daß man
beydes unterscheiden konnte. Da Jesus bey diesem Sti-
che nicht die geringsten Merkmale des Lebens von sich gab,
und sein Tod, wenn noch einiges Leben in ihm gewesen
wäre, hiedurch hätte erfolgen müssen, so konnten die
Soldaten nun völlig von seinem Tode gewiß seyn. Und
wir dürfen eben so wenig daran zweifeln, da diese Bege-
benheit von Johanne, dem glaubwürdigsten Augenzeugen
berichtet wird, den auch der heilige Geist regierte, daß er
die Wahrheit schrieb. So zufällig diese Begebenheit zu
seyn schien, so geschahe sie doch nach dem Rathschluß
Gottes, und zur Erfüllung einiger Vorbilder und Weis-
sagungen auf den Tod Jesu. So wie die Kinder Israel
an dem Osterlamme kein Bein zerbrechen durften, so
konnte dieses auch nicht bey Jesu geschehen. Und hier

traf
Zweyter Abſchnitt.
52. Oefnung der Seite Jeſu.

Gott hatte den Juden ein Geſetz gegeben, daß der
Leichnam eines Gehängten nicht über Nacht am Holze
bleiben ſollte. Die Juden glaubten, um ſo viel mehr zur
genaueſten Beobachtung dieſes Geſetzes verbunden zu ſeyn,
da der Tag, an welchem Jeſus geſtorben war, der Zu-
bereitungstag des groſſen Sabbaths war. Sie erſuchten
daher Pilatum, er möchte erlauben, daß den Gekreuzig-
ten, um ihren Tod zu beſchleunigen, die Beine gebrochen,
und ſie alsdenn vom Kreuze genommen würden. Auf
erhaltene Erlaubniß brachen die Soldaten ſowohl dem er-
ſtern, als dem andern die Beine. Als ſie nun an Jeſum
kamen, in der Abſicht, auf ähnliche Art ſeinen Tod zu be-
fördern, ſo ſahen ſie, daß er bereits geſtorben war. Sie
zerſchmetterten ihm daher die Beine nicht. Um aber deſto
gewiſſer überzeugt zu ſeyn, daß kein Leben in ihm wäre, ſo
durchſtach einer die Seite Jeſu mit einer Lanze, wo-
mit die römiſchen Soldaten verſehen waren. Aus dieſer
Wunde floß Blut und Waſſer, und zwar ſo, daß man
beydes unterſcheiden konnte. Da Jeſus bey dieſem Sti-
che nicht die geringſten Merkmale des Lebens von ſich gab,
und ſein Tod, wenn noch einiges Leben in ihm geweſen
wäre, hiedurch hätte erfolgen müſſen, ſo konnten die
Soldaten nun völlig von ſeinem Tode gewiß ſeyn. Und
wir dürfen eben ſo wenig daran zweifeln, da dieſe Bege-
benheit von Johanne, dem glaubwürdigſten Augenzeugen
berichtet wird, den auch der heilige Geiſt regierte, daß er
die Wahrheit ſchrieb. So zufällig dieſe Begebenheit zu
ſeyn ſchien, ſo geſchahe ſie doch nach dem Rathſchluß
Gottes, und zur Erfüllung einiger Vorbilder und Weiſ-
ſagungen auf den Tod Jeſu. So wie die Kinder Iſrael
an dem Oſterlamme kein Bein zerbrechen durften, ſo
konnte dieſes auch nicht bey Jeſu geſchehen. Und hier

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[286/0308] Zweyter Abſchnitt. 52. Oefnung der Seite Jeſu. Gott hatte den Juden ein Geſetz gegeben, daß der Leichnam eines Gehängten nicht über Nacht am Holze bleiben ſollte. Die Juden glaubten, um ſo viel mehr zur genaueſten Beobachtung dieſes Geſetzes verbunden zu ſeyn, da der Tag, an welchem Jeſus geſtorben war, der Zu- bereitungstag des groſſen Sabbaths war. Sie erſuchten daher Pilatum, er möchte erlauben, daß den Gekreuzig- ten, um ihren Tod zu beſchleunigen, die Beine gebrochen, und ſie alsdenn vom Kreuze genommen würden. Auf erhaltene Erlaubniß brachen die Soldaten ſowohl dem er- ſtern, als dem andern die Beine. Als ſie nun an Jeſum kamen, in der Abſicht, auf ähnliche Art ſeinen Tod zu be- fördern, ſo ſahen ſie, daß er bereits geſtorben war. Sie zerſchmetterten ihm daher die Beine nicht. Um aber deſto gewiſſer überzeugt zu ſeyn, daß kein Leben in ihm wäre, ſo durchſtach einer die Seite Jeſu mit einer Lanze, wo- mit die römiſchen Soldaten verſehen waren. Aus dieſer Wunde floß Blut und Waſſer, und zwar ſo, daß man beydes unterſcheiden konnte. Da Jeſus bey dieſem Sti- che nicht die geringſten Merkmale des Lebens von ſich gab, und ſein Tod, wenn noch einiges Leben in ihm geweſen wäre, hiedurch hätte erfolgen müſſen, ſo konnten die Soldaten nun völlig von ſeinem Tode gewiß ſeyn. Und wir dürfen eben ſo wenig daran zweifeln, da dieſe Bege- benheit von Johanne, dem glaubwürdigſten Augenzeugen berichtet wird, den auch der heilige Geiſt regierte, daß er die Wahrheit ſchrieb. So zufällig dieſe Begebenheit zu ſeyn ſchien, ſo geſchahe ſie doch nach dem Rathſchluß Gottes, und zur Erfüllung einiger Vorbilder und Weiſ- ſagungen auf den Tod Jeſu. So wie die Kinder Iſrael an dem Oſterlamme kein Bein zerbrechen durften, ſo konnte dieſes auch nicht bey Jeſu geſchehen. Und hier traf

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Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/308>, abgerufen am 25.11.2024.