Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

Seelenleiden Jesu am Oelberge.
mich zerschmettert, nur ein Wort seines Strafurtheils
würde mich zur Hölle gestürzt haben.

O sey mir, sey mir gesegnet, Lamm Gottes, das
die unermeßliche Last der Sünden der Welt, das auch
meine Sünden getragen hat! In deiner Todesangst, in
deinem Zittern, in deinem blutigen Schweiß segne ich
dich, für mich zerschlagenes und zermartertes Lamm
Gottes!

Aber mit Furcht und Zittern denke ich an dich.
Ich sehe dein unaussprechliches Leiden an, und erschrecke
vor mir selbst. So groß sind meine Missethaten, so
ganz verderbt ist mein Herz, so ein Greuel sind meine
Sünden vor Gott, daß du, ewiger Sohn Gottes, selbst
um meiner Uebertretungen willen, so erbärmlich zerschla-
gen und gemartert wirst? Kann ich mich noch bereden,
daß es eine Kleinigkeit sey, den Allmächtigen zu beleidi-
gen? Ach ich sorgloser, sicherer Sünder, wie oft ha-
be ich schon das Gesetz Gottes übertreten, ohne zu beden-
ken, welche unerträgliche Last der Zorn Gottes sey, und
wie jede Uebertretung sein furchtbares Gericht gegen mich
auffordere! Ich will jetzt aus meinem Schlummer zum
Nachdenken kommen. Deine Angst, o Jesu, lehre mich
die Grösse meiner Sünden, die Unerträglichkeit deines
Zorns, und die Strenge deines Gerichts fühlen. Bey
einer jeden Neigung zur Sünde, bey jeder Uebertretung
deines Gesetzes will ich an deine Leiden denken und erzit-
tern. Ja, erzittern will ich, aber nicht verzagen. Wenn
in der Stunde der Versuchung mein aufgewachtes Ge-
wissen mir die Menge meiner begangenen Missethaten
vorstellet, wenn ich mit Angst und Zweifeln kämpfe, wenn
kein Trost mein zerschlagenes Herz erquicken kann, wenn
ein kalter Angstschweiß über meinen Leib fließt, wenn al-
le Schrecken durch meine Gebeine beben, o dann, dann

will
B 3

Seelenleiden Jeſu am Oelberge.
mich zerſchmettert, nur ein Wort ſeines Strafurtheils
würde mich zur Hölle geſtürzt haben.

O ſey mir, ſey mir geſegnet, Lamm Gottes, das
die unermeßliche Laſt der Sünden der Welt, das auch
meine Sünden getragen hat! In deiner Todesangſt, in
deinem Zittern, in deinem blutigen Schweiß ſegne ich
dich, für mich zerſchlagenes und zermartertes Lamm
Gottes!

Aber mit Furcht und Zittern denke ich an dich.
Ich ſehe dein unausſprechliches Leiden an, und erſchrecke
vor mir ſelbſt. So groß ſind meine Miſſethaten, ſo
ganz verderbt iſt mein Herz, ſo ein Greuel ſind meine
Sünden vor Gott, daß du, ewiger Sohn Gottes, ſelbſt
um meiner Uebertretungen willen, ſo erbärmlich zerſchla-
gen und gemartert wirſt? Kann ich mich noch bereden,
daß es eine Kleinigkeit ſey, den Allmächtigen zu beleidi-
gen? Ach ich ſorgloſer, ſicherer Sünder, wie oft ha-
be ich ſchon das Geſetz Gottes übertreten, ohne zu beden-
ken, welche unerträgliche Laſt der Zorn Gottes ſey, und
wie jede Uebertretung ſein furchtbares Gericht gegen mich
auffordere! Ich will jetzt aus meinem Schlummer zum
Nachdenken kommen. Deine Angſt, o Jeſu, lehre mich
die Gröſſe meiner Sünden, die Unerträglichkeit deines
Zorns, und die Strenge deines Gerichts fühlen. Bey
einer jeden Neigung zur Sünde, bey jeder Uebertretung
deines Geſetzes will ich an deine Leiden denken und erzit-
tern. Ja, erzittern will ich, aber nicht verzagen. Wenn
in der Stunde der Verſuchung mein aufgewachtes Ge-
wiſſen mir die Menge meiner begangenen Miſſethaten
vorſtellet, wenn ich mit Angſt und Zweifeln kämpfe, wenn
kein Troſt mein zerſchlagenes Herz erquicken kann, wenn
ein kalter Angſtſchweiß über meinen Leib fließt, wenn al-
le Schrecken durch meine Gebeine beben, o dann, dann

will
B 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0043" n="21"/><fw place="top" type="header">Seelenleiden Je&#x017F;u am Oelberge.</fw><lb/>
mich zer&#x017F;chmettert, nur ein Wort &#x017F;eines Strafurtheils<lb/>
würde mich zur Hölle ge&#x017F;türzt haben.</p><lb/>
          <p>O &#x017F;ey mir, &#x017F;ey mir ge&#x017F;egnet, Lamm Gottes, das<lb/>
die unermeßliche La&#x017F;t der Sünden der Welt, das auch<lb/>
meine Sünden getragen hat! In deiner Todesang&#x017F;t, in<lb/>
deinem Zittern, in deinem blutigen Schweiß &#x017F;egne ich<lb/>
dich, für mich zer&#x017F;chlagenes und zermartertes Lamm<lb/>
Gottes!</p><lb/>
          <p>Aber mit Furcht und Zittern denke ich an dich.<lb/>
Ich &#x017F;ehe dein unaus&#x017F;prechliches Leiden an, und er&#x017F;chrecke<lb/>
vor mir &#x017F;elb&#x017F;t. So groß &#x017F;ind meine Mi&#x017F;&#x017F;ethaten, &#x017F;o<lb/>
ganz verderbt i&#x017F;t mein Herz, &#x017F;o ein Greuel &#x017F;ind meine<lb/>
Sünden vor Gott, daß du, ewiger Sohn Gottes, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
um meiner Uebertretungen willen, &#x017F;o erbärmlich zer&#x017F;chla-<lb/>
gen und gemartert wir&#x017F;t? Kann ich mich noch bereden,<lb/>
daß es eine Kleinigkeit &#x017F;ey, den Allmächtigen zu beleidi-<lb/>
gen? Ach ich &#x017F;orglo&#x017F;er, &#x017F;icherer Sünder, wie oft ha-<lb/>
be ich &#x017F;chon das Ge&#x017F;etz Gottes übertreten, ohne zu beden-<lb/>
ken, welche unerträgliche La&#x017F;t der Zorn Gottes &#x017F;ey, und<lb/>
wie jede Uebertretung &#x017F;ein furchtbares Gericht gegen mich<lb/>
auffordere! Ich will jetzt aus meinem Schlummer zum<lb/>
Nachdenken kommen. Deine Ang&#x017F;t, o Je&#x017F;u, lehre mich<lb/>
die Grö&#x017F;&#x017F;e meiner Sünden, die Unerträglichkeit deines<lb/>
Zorns, und die Strenge deines Gerichts fühlen. Bey<lb/>
einer jeden Neigung zur Sünde, bey jeder Uebertretung<lb/>
deines Ge&#x017F;etzes will ich an deine Leiden denken und erzit-<lb/>
tern. Ja, erzittern will ich, aber nicht verzagen. Wenn<lb/>
in der Stunde der Ver&#x017F;uchung mein aufgewachtes Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en mir die Menge meiner begangenen Mi&#x017F;&#x017F;ethaten<lb/>
vor&#x017F;tellet, wenn ich mit Ang&#x017F;t und Zweifeln kämpfe, wenn<lb/>
kein Tro&#x017F;t mein zer&#x017F;chlagenes Herz erquicken kann, wenn<lb/>
ein kalter Ang&#x017F;t&#x017F;chweiß über meinen Leib fließt, wenn al-<lb/>
le Schrecken durch meine Gebeine beben, o dann, dann<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 3</fw><fw place="bottom" type="catch">will</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0043] Seelenleiden Jeſu am Oelberge. mich zerſchmettert, nur ein Wort ſeines Strafurtheils würde mich zur Hölle geſtürzt haben. O ſey mir, ſey mir geſegnet, Lamm Gottes, das die unermeßliche Laſt der Sünden der Welt, das auch meine Sünden getragen hat! In deiner Todesangſt, in deinem Zittern, in deinem blutigen Schweiß ſegne ich dich, für mich zerſchlagenes und zermartertes Lamm Gottes! Aber mit Furcht und Zittern denke ich an dich. Ich ſehe dein unausſprechliches Leiden an, und erſchrecke vor mir ſelbſt. So groß ſind meine Miſſethaten, ſo ganz verderbt iſt mein Herz, ſo ein Greuel ſind meine Sünden vor Gott, daß du, ewiger Sohn Gottes, ſelbſt um meiner Uebertretungen willen, ſo erbärmlich zerſchla- gen und gemartert wirſt? Kann ich mich noch bereden, daß es eine Kleinigkeit ſey, den Allmächtigen zu beleidi- gen? Ach ich ſorgloſer, ſicherer Sünder, wie oft ha- be ich ſchon das Geſetz Gottes übertreten, ohne zu beden- ken, welche unerträgliche Laſt der Zorn Gottes ſey, und wie jede Uebertretung ſein furchtbares Gericht gegen mich auffordere! Ich will jetzt aus meinem Schlummer zum Nachdenken kommen. Deine Angſt, o Jeſu, lehre mich die Gröſſe meiner Sünden, die Unerträglichkeit deines Zorns, und die Strenge deines Gerichts fühlen. Bey einer jeden Neigung zur Sünde, bey jeder Uebertretung deines Geſetzes will ich an deine Leiden denken und erzit- tern. Ja, erzittern will ich, aber nicht verzagen. Wenn in der Stunde der Verſuchung mein aufgewachtes Ge- wiſſen mir die Menge meiner begangenen Miſſethaten vorſtellet, wenn ich mit Angſt und Zweifeln kämpfe, wenn kein Troſt mein zerſchlagenes Herz erquicken kann, wenn ein kalter Angſtſchweiß über meinen Leib fließt, wenn al- le Schrecken durch meine Gebeine beben, o dann, dann will B 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/43
Zitationshilfe: Sturm, Christoph Christian: Unterhaltung der Andacht über die Leidensgeschichte Jesu. 2. Aufl. Halle (Saale), 1775, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturm_unterhaltung_1781/43>, abgerufen am 23.11.2024.