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Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

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wohl ahnen! Sie hat gelitten und leidet noch, gewiß! Aber sie ist eine Einheit, die sich für das Glück einer Vielheit ausgegeben hat. Das Ergebnis ihres persönlichen Schmerzes ist eine Riesensumme um sie verbreiteter Wohltaten. Und wenn jeder mit ihren Gaben ausgestattet wäre, würde das Elend, dieses fürchterliche Elend, das die Menschheit zerfrißt wie eine Wunde, wohl rasch verschwinden!"

"Wieder eine Utopie, Miß -. Das Elend ist notwendig, um das Glück genießen zu können. Wenn alle Welt glücklich wäre, wüßte man nicht, was Glück ist: man ist nur glücklich durch den Vergleich."

"Kann man glücklich sein, wenn man nicht an jene denkt, die es nicht sind?"

"Wenn man mit gesunder Vernunft daran denkt, ja. Gesund sein, das ist das einzige Geheimnis. Das Leben ist eine Macht, Miß. Haben Sie schon darüber nachgedacht? An uns ist es, mit allen Kräften den Odem des Lebens einzuatmen, der in der Luft liegt, der uns berührt und sich anderswo niederläßt, wenn wir ihn nicht festhalten. Schlürfen wir davon so viel als möglich, in langen Zügen, so wie man trinkt, wenn man großen Durst hat. Und dann freuen wir uns unseres Glückes, ohne der

wohl ahnen! Sie hat gelitten und leidet noch, gewiß! Aber sie ist eine Einheit, die sich für das Glück einer Vielheit ausgegeben hat. Das Ergebnis ihres persönlichen Schmerzes ist eine Riesensumme um sie verbreiteter Wohltaten. Und wenn jeder mit ihren Gaben ausgestattet wäre, würde das Elend, dieses fürchterliche Elend, das die Menschheit zerfrißt wie eine Wunde, wohl rasch verschwinden!“

„Wieder eine Utopie, Miß –. Das Elend ist notwendig, um das Glück genießen zu können. Wenn alle Welt glücklich wäre, wüßte man nicht, was Glück ist: man ist nur glücklich durch den Vergleich.“

„Kann man glücklich sein, wenn man nicht an jene denkt, die es nicht sind?“

„Wenn man mit gesunder Vernunft daran denkt, ja. Gesund sein, das ist das einzige Geheimnis. Das Leben ist eine Macht, Miß. Haben Sie schon darüber nachgedacht? An uns ist es, mit allen Kräften den Odem des Lebens einzuatmen, der in der Luft liegt, der uns berührt und sich anderswo niederläßt, wenn wir ihn nicht festhalten. Schlürfen wir davon so viel als möglich, in langen Zügen, so wie man trinkt, wenn man großen Durst hat. Und dann freuen wir uns unseres Glückes, ohne der

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[153/0154] wohl ahnen! Sie hat gelitten und leidet noch, gewiß! Aber sie ist eine Einheit, die sich für das Glück einer Vielheit ausgegeben hat. Das Ergebnis ihres persönlichen Schmerzes ist eine Riesensumme um sie verbreiteter Wohltaten. Und wenn jeder mit ihren Gaben ausgestattet wäre, würde das Elend, dieses fürchterliche Elend, das die Menschheit zerfrißt wie eine Wunde, wohl rasch verschwinden!“ „Wieder eine Utopie, Miß –. Das Elend ist notwendig, um das Glück genießen zu können. Wenn alle Welt glücklich wäre, wüßte man nicht, was Glück ist: man ist nur glücklich durch den Vergleich.“ „Kann man glücklich sein, wenn man nicht an jene denkt, die es nicht sind?“ „Wenn man mit gesunder Vernunft daran denkt, ja. Gesund sein, das ist das einzige Geheimnis. Das Leben ist eine Macht, Miß. Haben Sie schon darüber nachgedacht? An uns ist es, mit allen Kräften den Odem des Lebens einzuatmen, der in der Luft liegt, der uns berührt und sich anderswo niederläßt, wenn wir ihn nicht festhalten. Schlürfen wir davon so viel als möglich, in langen Zügen, so wie man trinkt, wenn man großen Durst hat. Und dann freuen wir uns unseres Glückes, ohne der

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Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/154>, abgerufen am 18.05.2024.