Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

Bild:
<< vorherige Seite

aufstieg und die vom Gezwitscher der Vögel bei ihren Kämpfen um die Nester gepriesen zu werden schien, erfüllte sie mit einem leisen, weichen Sehnen, das ihr Herz in neuer Hoffnung schwellte. Sie schlug ihren Schleier zurück, befreite den Nacken von der gefälteten Krause, die über ihr Gesicht einen, ihrer reifen Schönheit günstigen sammetartigen Schatten warf, und atmete tief, die Lippen halb geöffnet. Dann belebten sich ihre Augen beim Anblick der spitzen Dächer ihres jetzt schon nahen Hauses: ein rosiger Hauch umspielte sie, der ihren Wangen frischen Glanz verlieh.

Der Wagen fuhr durch das Gittertor und blieb vor der Freitreppe stehen. Frau von Ellissen erstieg sie mit geschmeidiger Beweglichkeit, wobei ihre schlanke Taille sich auf den schön geformten Hüften wiegte, deren harmonische Linie ihre dreißig Jahre gekräftigt aber nicht zerstört hatten. Sie fragte das herbeeilende Stubenmädchen:

"Ist niemand gekommen?"

"Doch, gnädige Frau, Baron Seuriet."

"Ist er wieder fortgegangen?"

"Nein, gnädige Frau, ich sah den Herrn Baron über die Gartentreppe gehen, er dürfte im Park sein."

aufstieg und die vom Gezwitscher der Vögel bei ihren Kämpfen um die Nester gepriesen zu werden schien, erfüllte sie mit einem leisen, weichen Sehnen, das ihr Herz in neuer Hoffnung schwellte. Sie schlug ihren Schleier zurück, befreite den Nacken von der gefälteten Krause, die über ihr Gesicht einen, ihrer reifen Schönheit günstigen sammetartigen Schatten warf, und atmete tief, die Lippen halb geöffnet. Dann belebten sich ihre Augen beim Anblick der spitzen Dächer ihres jetzt schon nahen Hauses: ein rosiger Hauch umspielte sie, der ihren Wangen frischen Glanz verlieh.

Der Wagen fuhr durch das Gittertor und blieb vor der Freitreppe stehen. Frau von Ellissen erstieg sie mit geschmeidiger Beweglichkeit, wobei ihre schlanke Taille sich auf den schön geformten Hüften wiegte, deren harmonische Linie ihre dreißig Jahre gekräftigt aber nicht zerstört hatten. Sie fragte das herbeeilende Stubenmädchen:

„Ist niemand gekommen?“

„Doch, gnädige Frau, Baron Seuriet.“

„Ist er wieder fortgegangen?“

„Nein, gnädige Frau, ich sah den Herrn Baron über die Gartentreppe gehen, er dürfte im Park sein.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018" n="17"/>
aufstieg und die vom Gezwitscher der Vögel bei ihren Kämpfen um die Nester gepriesen zu werden schien, erfüllte sie mit einem leisen, weichen Sehnen, das ihr Herz in neuer Hoffnung schwellte. Sie schlug ihren Schleier zurück, befreite den Nacken von der gefälteten Krause, die über ihr Gesicht einen, ihrer reifen Schönheit günstigen sammetartigen Schatten warf, und atmete tief, die Lippen halb geöffnet. Dann belebten sich ihre Augen beim Anblick der spitzen Dächer ihres jetzt schon nahen Hauses: ein rosiger Hauch umspielte sie, der ihren Wangen frischen Glanz verlieh.</p>
        <p>Der Wagen fuhr durch das Gittertor und blieb vor der Freitreppe stehen. Frau von Ellissen erstieg sie mit geschmeidiger Beweglichkeit, wobei ihre schlanke Taille sich auf den schön geformten Hüften wiegte, deren harmonische Linie ihre dreißig Jahre gekräftigt aber nicht zerstört hatten. Sie fragte das herbeeilende Stubenmädchen:</p>
        <p>&#x201E;Ist niemand gekommen?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Doch, gnädige Frau, Baron Seuriet.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Ist er wieder fortgegangen?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Nein, gnädige Frau, ich sah den Herrn Baron über die Gartentreppe gehen, er dürfte im Park sein.&#x201C;</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0018] aufstieg und die vom Gezwitscher der Vögel bei ihren Kämpfen um die Nester gepriesen zu werden schien, erfüllte sie mit einem leisen, weichen Sehnen, das ihr Herz in neuer Hoffnung schwellte. Sie schlug ihren Schleier zurück, befreite den Nacken von der gefälteten Krause, die über ihr Gesicht einen, ihrer reifen Schönheit günstigen sammetartigen Schatten warf, und atmete tief, die Lippen halb geöffnet. Dann belebten sich ihre Augen beim Anblick der spitzen Dächer ihres jetzt schon nahen Hauses: ein rosiger Hauch umspielte sie, der ihren Wangen frischen Glanz verlieh. Der Wagen fuhr durch das Gittertor und blieb vor der Freitreppe stehen. Frau von Ellissen erstieg sie mit geschmeidiger Beweglichkeit, wobei ihre schlanke Taille sich auf den schön geformten Hüften wiegte, deren harmonische Linie ihre dreißig Jahre gekräftigt aber nicht zerstört hatten. Sie fragte das herbeeilende Stubenmädchen: „Ist niemand gekommen?“ „Doch, gnädige Frau, Baron Seuriet.“ „Ist er wieder fortgegangen?“ „Nein, gnädige Frau, ich sah den Herrn Baron über die Gartentreppe gehen, er dürfte im Park sein.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/18
Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/18>, abgerufen am 03.12.2024.