Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905In der Abtei lag neben einem Saale, genannt das "Abteizimmer", eine Art von runder Kapelle. Halbsäulen hoben sich im Relief von der Stuckmauer ab, mit seinen Kannelierungen, zierlichen Kapitälen in zartem, etwas theatralischen Stile gehalten, und das Ganze erinnerte an die Muttergotteskapelle, die wie ein Juwel hinter dem Chor einer Kirche in Calais versteckt ist. Der Altar war verschwunden und durch eine Orgel ersetzt; einige Lehnsessel, Stil Ludwig XVI., in fahlem Atlasüberzug, mit eingewirkten ländlichen Szenen, standen in der Runde. Die lichten Scheiben hoher schmaler Fenster reflektierten das wechselnde Farbenspiel des Himmels. Dies war Freds Arbeitszimmer, sein Lieblingsaufenthalt zum Träumen und Arbeiten. Als Stella mit ihren flatternden schwarzen Flügeln und fliegendem zerzausten Haar im Parke verschwunden war, hatte er sich eilig nach Hause begeben, im Bedürfnis allein zu sein, in seinem Heim sich vor irgend einer Unannehmlichkeit zu retten, dessen Vorgefühl ihn plötzlich und unerwartet überfallen hatte. Sein sensitives Zartgefühl, seine große Empfindsamkeit zwangen ihn oft, im Alleinsein, wie hinter einem Schilde, Schutz zu suchen. Da erst gab er sich dem bis dahin bezwungenen In der Abtei lag neben einem Saale, genannt das „Abteizimmer“, eine Art von runder Kapelle. Halbsäulen hoben sich im Relief von der Stuckmauer ab, mit seinen Kannelierungen, zierlichen Kapitälen in zartem, etwas theatralischen Stile gehalten, und das Ganze erinnerte an die Muttergotteskapelle, die wie ein Juwel hinter dem Chor einer Kirche in Calais versteckt ist. Der Altar war verschwunden und durch eine Orgel ersetzt; einige Lehnsessel, Stil Ludwig XVI., in fahlem Atlasüberzug, mit eingewirkten ländlichen Szenen, standen in der Runde. Die lichten Scheiben hoher schmaler Fenster reflektierten das wechselnde Farbenspiel des Himmels. Dies war Freds Arbeitszimmer, sein Lieblingsaufenthalt zum Träumen und Arbeiten. Als Stella mit ihren flatternden schwarzen Flügeln und fliegendem zerzausten Haar im Parke verschwunden war, hatte er sich eilig nach Hause begeben, im Bedürfnis allein zu sein, in seinem Heim sich vor irgend einer Unannehmlichkeit zu retten, dessen Vorgefühl ihn plötzlich und unerwartet überfallen hatte. Sein sensitives Zartgefühl, seine große Empfindsamkeit zwangen ihn oft, im Alleinsein, wie hinter einem Schilde, Schutz zu suchen. Da erst gab er sich dem bis dahin bezwungenen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0058" n="57"/> <p>In der Abtei lag neben einem Saale, genannt das „Abteizimmer“, eine Art von runder Kapelle. Halbsäulen hoben sich im Relief von der Stuckmauer ab, mit seinen Kannelierungen, zierlichen Kapitälen in zartem, etwas theatralischen Stile gehalten, und das Ganze erinnerte an die Muttergotteskapelle, die wie ein Juwel hinter dem Chor einer Kirche in Calais versteckt ist. Der Altar war verschwunden und durch eine Orgel ersetzt; einige Lehnsessel, Stil Ludwig XVI., in fahlem Atlasüberzug, mit eingewirkten ländlichen Szenen, standen in der Runde. Die lichten Scheiben hoher schmaler Fenster reflektierten das wechselnde Farbenspiel des Himmels.</p> <p>Dies war Freds Arbeitszimmer, sein Lieblingsaufenthalt zum Träumen und Arbeiten.</p> <p>Als Stella mit ihren flatternden schwarzen Flügeln und fliegendem zerzausten Haar im Parke verschwunden war, hatte er sich eilig nach Hause begeben, im Bedürfnis allein zu sein, in seinem Heim sich vor irgend einer Unannehmlichkeit zu retten, dessen Vorgefühl ihn plötzlich und unerwartet überfallen hatte. Sein sensitives Zartgefühl, seine große Empfindsamkeit zwangen ihn oft, im Alleinsein, wie hinter einem Schilde, Schutz zu suchen. Da erst gab er sich dem bis dahin bezwungenen </p> </div> </body> </text> </TEI> [57/0058]
In der Abtei lag neben einem Saale, genannt das „Abteizimmer“, eine Art von runder Kapelle. Halbsäulen hoben sich im Relief von der Stuckmauer ab, mit seinen Kannelierungen, zierlichen Kapitälen in zartem, etwas theatralischen Stile gehalten, und das Ganze erinnerte an die Muttergotteskapelle, die wie ein Juwel hinter dem Chor einer Kirche in Calais versteckt ist. Der Altar war verschwunden und durch eine Orgel ersetzt; einige Lehnsessel, Stil Ludwig XVI., in fahlem Atlasüberzug, mit eingewirkten ländlichen Szenen, standen in der Runde. Die lichten Scheiben hoher schmaler Fenster reflektierten das wechselnde Farbenspiel des Himmels.
Dies war Freds Arbeitszimmer, sein Lieblingsaufenthalt zum Träumen und Arbeiten.
Als Stella mit ihren flatternden schwarzen Flügeln und fliegendem zerzausten Haar im Parke verschwunden war, hatte er sich eilig nach Hause begeben, im Bedürfnis allein zu sein, in seinem Heim sich vor irgend einer Unannehmlichkeit zu retten, dessen Vorgefühl ihn plötzlich und unerwartet überfallen hatte. Sein sensitives Zartgefühl, seine große Empfindsamkeit zwangen ihn oft, im Alleinsein, wie hinter einem Schilde, Schutz zu suchen. Da erst gab er sich dem bis dahin bezwungenen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-29T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |