Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

Bild:
<< vorherige Seite

"Wer ist das?" fragte Frau von Ellissen.

"Der seit kurzem neuernannte Generalsekretär der Präfektur."

"So. Und?"

"Den man den schönen Fernand nennt." Hier seufzte Herr Deaken, der ehemals in der ganzen Stadt der "schöne Franz" hieß - jetzt nur mehr Herr Deaken. Da ihm aber seine Kleidung und das gedämpfte Licht gut standen, richtete er den Oberleib auf, lächelte fein und wiederholte mit einiger Ironie:

"Dieser Mann, den man, ich weiß nicht recht warum, den schönen Fernand nennt, wird als Freier des Fräuleins von Werner bezeichnet."

"Dieser Fratz!" rief die junge Frau.

"Eigentlich ja. Aber das Alter sagt anders, sie zählt zwanzig Jahre."

"Es ist wahr," entgegnete sie, indem sie an Stella dachte. "Wie schnell die Zeit vergeht!"

"Wem sagen Sie das, schöne Frau!" Herr Deaken seufzte abermals. Indessen vermochte er nicht das banale Kompliment zu unterdrücken: "Ich begreife, daß Sie es nicht merken, denn niemand, der Sie sieht, glaubt an Ihre dreißig." Und er sang den Vers aus Lamartine's Gedicht "Le lac" vor sich hin:

„Wer ist das?“ fragte Frau von Ellissen.

„Der seit kurzem neuernannte Generalsekretär der Präfektur.“

„So. Und?“

„Den man den schönen Fernand nennt.“ Hier seufzte Herr Deaken, der ehemals in der ganzen Stadt der „schöne Franz“ hieß – jetzt nur mehr Herr Deaken. Da ihm aber seine Kleidung und das gedämpfte Licht gut standen, richtete er den Oberleib auf, lächelte fein und wiederholte mit einiger Ironie:

„Dieser Mann, den man, ich weiß nicht recht warum, den schönen Fernand nennt, wird als Freier des Fräuleins von Werner bezeichnet.“

„Dieser Fratz!“ rief die junge Frau.

„Eigentlich ja. Aber das Alter sagt anders, sie zählt zwanzig Jahre.“

„Es ist wahr,“ entgegnete sie, indem sie an Stella dachte. „Wie schnell die Zeit vergeht!“

„Wem sagen Sie das, schöne Frau!“ Herr Deaken seufzte abermals. Indessen vermochte er nicht das banale Kompliment zu unterdrücken: „Ich begreife, daß Sie es nicht merken, denn niemand, der Sie sieht, glaubt an Ihre dreißig.“ Und er sang den Vers aus Lamartine’s Gedicht „Le lac“ vor sich hin:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0092" n="91"/>
        <p>&#x201E;Wer ist das?&#x201C; fragte Frau von Ellissen.</p>
        <p>&#x201E;Der seit kurzem neuernannte Generalsekretär der Präfektur.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;So. Und?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Den man den schönen Fernand nennt.&#x201C; Hier seufzte Herr Deaken, der ehemals in der ganzen Stadt der &#x201E;schöne Franz&#x201C; hieß &#x2013; jetzt nur mehr Herr Deaken. Da ihm aber seine Kleidung und das gedämpfte Licht gut standen, richtete er den Oberleib auf, lächelte fein und wiederholte mit einiger Ironie:</p>
        <p>&#x201E;Dieser Mann, den man, ich weiß nicht recht warum, den schönen Fernand nennt, wird als Freier des Fräuleins von Werner bezeichnet.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Dieser Fratz!&#x201C; rief die junge Frau.</p>
        <p>&#x201E;Eigentlich ja. Aber das Alter sagt anders, sie zählt zwanzig Jahre.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Es ist wahr,&#x201C; entgegnete sie, indem sie an Stella dachte. &#x201E;Wie schnell die Zeit vergeht!&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Wem sagen Sie das, schöne Frau!&#x201C; Herr Deaken seufzte abermals. Indessen vermochte er nicht das banale Kompliment zu unterdrücken: &#x201E;Ich begreife, daß Sie es nicht merken, denn niemand, der Sie sieht, glaubt an Ihre dreißig.&#x201C; Und er sang den Vers aus Lamartine&#x2019;s Gedicht &#x201E;<hi rendition="#aq">Le lac</hi>&#x201C; vor sich hin:</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0092] „Wer ist das?“ fragte Frau von Ellissen. „Der seit kurzem neuernannte Generalsekretär der Präfektur.“ „So. Und?“ „Den man den schönen Fernand nennt.“ Hier seufzte Herr Deaken, der ehemals in der ganzen Stadt der „schöne Franz“ hieß – jetzt nur mehr Herr Deaken. Da ihm aber seine Kleidung und das gedämpfte Licht gut standen, richtete er den Oberleib auf, lächelte fein und wiederholte mit einiger Ironie: „Dieser Mann, den man, ich weiß nicht recht warum, den schönen Fernand nennt, wird als Freier des Fräuleins von Werner bezeichnet.“ „Dieser Fratz!“ rief die junge Frau. „Eigentlich ja. Aber das Alter sagt anders, sie zählt zwanzig Jahre.“ „Es ist wahr,“ entgegnete sie, indem sie an Stella dachte. „Wie schnell die Zeit vergeht!“ „Wem sagen Sie das, schöne Frau!“ Herr Deaken seufzte abermals. Indessen vermochte er nicht das banale Kompliment zu unterdrücken: „Ich begreife, daß Sie es nicht merken, denn niemand, der Sie sieht, glaubt an Ihre dreißig.“ Und er sang den Vers aus Lamartine’s Gedicht „Le lac“ vor sich hin:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/92
Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/92>, abgerufen am 24.11.2024.