4.) Eine andere Ursach, daß in Städten mehr sterben als auf dem Lande, kan noch diese seyn, daß epidemische Kranckheiten sich weit eher ausbrei- ten können. Einige Kranckheiten sind, wie bekand, ansteckend. Wo nun die Menschen sehr auf einan- der gepackt, oder wo auch nur in einer volckreichen Stadt vieler Umgang ist, da ist auch mehr Gele- genheit, daß eine Seuche andere eher anstecken kan, als wo die Leute sehr dünne und wenig Gemein- schafft mit einander haben, oder wenigstens bey epi- demischen Kranckheiten sie leicht vermeiden können.
5.) Vielleicht liessen sich bey genauer Untersu- chung noch mehr Gründe ausfinden. Solte nicht das vieles thun, wenn die Aertzte schlechte Helden? wenn Apothecken in schlechter Verfassung, und un- ter keiner Aufsicht? wenn Hebammen ihr Hand- werck nicht recht verstehen? Doch hievon unten ein mehrers.
Wie ich hoffe, daß sich aus angeführten Grün- den begreiffen lasse, warum in London, Wien, Breßlau, Dreßden, Leipzig u. s. w. so viel Menschen mehr sterben als gebohren werden: so könte nach eben denen Gründen auch vielleicht gezeiget werden, warum es in Amsterdam, Venedig, Hamburg etc. nicht also sey. Wo die Ursachen sich nicht finden, da sind auch nicht die Wirckungen. Vielleicht haben er- wehnte Städte eine bessere Lage, gesundere Lufft, besser Wasser und andere Nahrungs-Mittel von mehrerer Güte. Vielleicht sind die Debauchen we- der so groß noch so allgemein. Und letzteres wol- te wohl von denen Venetianern, Holländern, Ham- burgern etc. zum voraus mit Gewißheit sagen. Ein Italiäner liebt Maasse und Nüchterkeit. In
Amster-
Cap. II. III. E
des Menſchlichen Geſchlechts.
4.) Eine andere Urſach, daß in Staͤdten mehr ſterben als auf dem Lande, kan noch dieſe ſeyn, daß epidemiſche Kranckheiten ſich weit eher ausbrei- ten koͤnnen. Einige Kranckheiten ſind, wie bekand, anſteckend. Wo nun die Menſchen ſehr auf einan- der gepackt, oder wo auch nur in einer volckreichen Stadt vieler Umgang iſt, da iſt auch mehr Gele- genheit, daß eine Seuche andere eher anſtecken kan, als wo die Leute ſehr duͤnne und wenig Gemein- ſchafft mit einander haben, oder wenigſtens bey epi- demiſchen Kranckheiten ſie leicht vermeiden koͤnnen.
5.) Vielleicht lieſſen ſich bey genauer Unterſu- chung noch mehr Gruͤnde ausfinden. Solte nicht das vieles thun, wenn die Aertzte ſchlechte Helden? wenn Apothecken in ſchlechter Verfaſſung, und un- ter keiner Aufſicht? wenn Hebammen ihr Hand- werck nicht recht verſtehen? Doch hievon unten ein mehrers.
Wie ich hoffe, daß ſich aus angefuͤhrten Gruͤn- den begreiffen laſſe, warum in London, Wien, Breßlau, Dreßden, Leipzig u. ſ. w. ſo viel Menſchen mehr ſterben als gebohren werden: ſo koͤnte nach eben denen Gruͤnden auch vielleicht gezeiget werden, warum es in Amſterdam, Venedig, Hamburg ꝛc. nicht alſo ſey. Wo die Urſachen ſich nicht finden, da ſind auch nicht die Wirckungen. Vielleicht haben er- wehnte Staͤdte eine beſſere Lage, geſundere Lufft, beſſer Waſſer und andere Nahrungs-Mittel von mehrerer Guͤte. Vielleicht ſind die Debauchen we- der ſo groß noch ſo allgemein. Und letzteres wol- te wohl von denen Venetianern, Hollaͤndern, Ham- burgern ꝛc. zum voraus mit Gewißheit ſagen. Ein Italiaͤner liebt Maaſſe und Nuͤchterkeit. In
Amſter-
Cap. II. III. E
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0111"n="65"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">des Menſchlichen Geſchlechts.</hi></fw><lb/><p>4.) Eine andere Urſach, daß in Staͤdten mehr<lb/>ſterben als auf dem Lande, kan noch dieſe ſeyn,<lb/>
daß epidemiſche Kranckheiten ſich weit eher ausbrei-<lb/>
ten koͤnnen. Einige Kranckheiten ſind, wie bekand,<lb/>
anſteckend. Wo nun die Menſchen ſehr auf einan-<lb/>
der gepackt, oder wo auch nur in einer volckreichen<lb/>
Stadt vieler Umgang iſt, da iſt auch mehr Gele-<lb/>
genheit, daß eine Seuche andere eher anſtecken kan,<lb/>
als wo die Leute ſehr duͤnne und wenig Gemein-<lb/>ſchafft mit einander haben, oder wenigſtens bey epi-<lb/>
demiſchen Kranckheiten ſie leicht vermeiden koͤnnen.</p><lb/><p>5.) Vielleicht lieſſen ſich bey genauer Unterſu-<lb/>
chung noch mehr Gruͤnde ausfinden. Solte nicht<lb/>
das vieles thun, wenn die Aertzte ſchlechte Helden?<lb/>
wenn Apothecken in ſchlechter Verfaſſung, und un-<lb/>
ter keiner Aufſicht? wenn Hebammen ihr Hand-<lb/>
werck nicht recht verſtehen? Doch hievon unten ein<lb/>
mehrers.</p><lb/><p>Wie ich hoffe, daß ſich aus angefuͤhrten Gruͤn-<lb/>
den begreiffen laſſe, warum in London, Wien,<lb/>
Breßlau, Dreßden, Leipzig u. ſ. w. ſo viel Menſchen<lb/>
mehr ſterben als gebohren werden: ſo koͤnte nach<lb/>
eben denen Gruͤnden auch vielleicht gezeiget werden,<lb/>
warum es in Amſterdam, Venedig, Hamburg ꝛc. nicht<lb/>
alſo ſey. Wo die Urſachen ſich nicht finden, da ſind<lb/>
auch nicht die Wirckungen. Vielleicht haben er-<lb/>
wehnte Staͤdte eine beſſere Lage, geſundere Lufft,<lb/>
beſſer Waſſer und andere Nahrungs-Mittel von<lb/>
mehrerer Guͤte. Vielleicht ſind die Debauchen we-<lb/>
der ſo groß noch ſo allgemein. Und letzteres wol-<lb/>
te wohl von denen Venetianern, Hollaͤndern, Ham-<lb/>
burgern ꝛc. zum voraus mit Gewißheit ſagen.<lb/>
Ein Italiaͤner liebt Maaſſe und Nuͤchterkeit. In<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Cap. <hirendition="#aq">II. III.</hi> E</fw><fwplace="bottom"type="catch">Amſter-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[65/0111]
des Menſchlichen Geſchlechts.
4.) Eine andere Urſach, daß in Staͤdten mehr
ſterben als auf dem Lande, kan noch dieſe ſeyn,
daß epidemiſche Kranckheiten ſich weit eher ausbrei-
ten koͤnnen. Einige Kranckheiten ſind, wie bekand,
anſteckend. Wo nun die Menſchen ſehr auf einan-
der gepackt, oder wo auch nur in einer volckreichen
Stadt vieler Umgang iſt, da iſt auch mehr Gele-
genheit, daß eine Seuche andere eher anſtecken kan,
als wo die Leute ſehr duͤnne und wenig Gemein-
ſchafft mit einander haben, oder wenigſtens bey epi-
demiſchen Kranckheiten ſie leicht vermeiden koͤnnen.
5.) Vielleicht lieſſen ſich bey genauer Unterſu-
chung noch mehr Gruͤnde ausfinden. Solte nicht
das vieles thun, wenn die Aertzte ſchlechte Helden?
wenn Apothecken in ſchlechter Verfaſſung, und un-
ter keiner Aufſicht? wenn Hebammen ihr Hand-
werck nicht recht verſtehen? Doch hievon unten ein
mehrers.
Wie ich hoffe, daß ſich aus angefuͤhrten Gruͤn-
den begreiffen laſſe, warum in London, Wien,
Breßlau, Dreßden, Leipzig u. ſ. w. ſo viel Menſchen
mehr ſterben als gebohren werden: ſo koͤnte nach
eben denen Gruͤnden auch vielleicht gezeiget werden,
warum es in Amſterdam, Venedig, Hamburg ꝛc. nicht
alſo ſey. Wo die Urſachen ſich nicht finden, da ſind
auch nicht die Wirckungen. Vielleicht haben er-
wehnte Staͤdte eine beſſere Lage, geſundere Lufft,
beſſer Waſſer und andere Nahrungs-Mittel von
mehrerer Guͤte. Vielleicht ſind die Debauchen we-
der ſo groß noch ſo allgemein. Und letzteres wol-
te wohl von denen Venetianern, Hollaͤndern, Ham-
burgern ꝛc. zum voraus mit Gewißheit ſagen.
Ein Italiaͤner liebt Maaſſe und Nuͤchterkeit. In
Amſter-
Cap. II. III. E
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741/111>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.