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Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741.

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viel Menschen auf dem Erdboden leben etc.
tem Erdreich eben das und noch mehr gewinnen kön-
ten, wenn man nur alles nöthige, an Menschen und
Vieh dazu hätte? Folglich würde auch ein und eben
dasselbe Land vielmehr Menschen in sich fassen kön-
nen, als es beym jetzigen Zustand des menschlichen
Geschlechtes vermögend ist. Brod ist bey uns Eu-
ropäern das vornehmste. Die wenigsten Menschen
leben in Städten, und sind des wollüstigen Uber-
flusses gewohnt. Also darf wohl GOtt um der
Nahrung und Kleidung willen, so leicht keine Pest
und Krieg schicken. Für einen geitzigen und uner-
sättlichen aber, leben vielleicht schon jetzo viel zu viel
Menschen.

§. 20.

Wir sehen ferner, daß Pest und Krieg solche
Länder oft treffen, wo es gar nicht nöthig scheinen
möchte, und hingegen da nicht hinkommen, wo es
nach unsern Einsichten nöthig wäre. Italien ist
nach Addisons Bericht sehr ledig, gleichwohl ist es von
beyden bisher nicht frey gewesen. China ist gestopft
voll, aber man weiß dorten fast gar nichts von der Pest,
und der Krieg ist denen Sinesern vor dem letzten
Einfall der Tatarn ebenfalls eine undenckliche Sa-
che gewesen, und nun haben sie sich vor gar keinem
Feinde zu fürchten. Dalecarlien, eine Provintz in
Schweden ist so angefüllet, daß ein Bauer Hof, der
ehedem einer Familie angewiesen, jetzt in 60, ja ei-
nige in 120. Theile zerrissen und so vielen Familien
zugehörig ist. Der Menschen sind allda so viel,
daß das Erdreich sie nicht mit Brod sättigen kan.
Die Noth hat sie gedrungen, die Rinde der Bäume
zu ihrer Nahrung zuzubereiten. Ihr sogenanntes

Borcke-
E 4

viel Menſchen auf dem Erdboden leben ꝛc.
tem Erdreich eben das und noch mehr gewinnen koͤn-
ten, wenn man nur alles noͤthige, an Menſchen und
Vieh dazu haͤtte? Folglich wuͤrde auch ein und eben
daſſelbe Land vielmehr Menſchen in ſich faſſen koͤn-
nen, als es beym jetzigen Zuſtand des menſchlichen
Geſchlechtes vermoͤgend iſt. Brod iſt bey uns Eu-
ropaͤern das vornehmſte. Die wenigſten Menſchen
leben in Staͤdten, und ſind des wolluͤſtigen Uber-
fluſſes gewohnt. Alſo darf wohl GOtt um der
Nahrung und Kleidung willen, ſo leicht keine Peſt
und Krieg ſchicken. Fuͤr einen geitzigen und uner-
ſaͤttlichen aber, leben vielleicht ſchon jetzo viel zu viel
Menſchen.

§. 20.

Wir ſehen ferner, daß Peſt und Krieg ſolche
Laͤnder oft treffen, wo es gar nicht noͤthig ſcheinen
moͤchte, und hingegen da nicht hinkommen, wo es
nach unſern Einſichten noͤthig waͤre. Italien iſt
nach Addiſons Bericht ſehr ledig, gleichwohl iſt es von
beyden bisher nicht frey geweſen. China iſt geſtopft
voll, aber man weiß dorten faſt gar nichts von der Peſt,
und der Krieg iſt denen Sineſern vor dem letzten
Einfall der Tatarn ebenfalls eine undenckliche Sa-
che geweſen, und nun haben ſie ſich vor gar keinem
Feinde zu fuͤrchten. Dalecarlien, eine Provintz in
Schweden iſt ſo angefuͤllet, daß ein Bauer Hof, der
ehedem einer Familie angewieſen, jetzt in 60, ja ei-
nige in 120. Theile zerriſſen und ſo vielen Familien
zugehoͤrig iſt. Der Menſchen ſind allda ſo viel,
daß das Erdreich ſie nicht mit Brod ſaͤttigen kan.
Die Noth hat ſie gedrungen, die Rinde der Baͤume
zu ihrer Nahrung zuzubereiten. Ihr ſogenanntes

Borcke-
E 4
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[71/0117] viel Menſchen auf dem Erdboden leben ꝛc. tem Erdreich eben das und noch mehr gewinnen koͤn- ten, wenn man nur alles noͤthige, an Menſchen und Vieh dazu haͤtte? Folglich wuͤrde auch ein und eben daſſelbe Land vielmehr Menſchen in ſich faſſen koͤn- nen, als es beym jetzigen Zuſtand des menſchlichen Geſchlechtes vermoͤgend iſt. Brod iſt bey uns Eu- ropaͤern das vornehmſte. Die wenigſten Menſchen leben in Staͤdten, und ſind des wolluͤſtigen Uber- fluſſes gewohnt. Alſo darf wohl GOtt um der Nahrung und Kleidung willen, ſo leicht keine Peſt und Krieg ſchicken. Fuͤr einen geitzigen und uner- ſaͤttlichen aber, leben vielleicht ſchon jetzo viel zu viel Menſchen. §. 20. Wir ſehen ferner, daß Peſt und Krieg ſolche Laͤnder oft treffen, wo es gar nicht noͤthig ſcheinen moͤchte, und hingegen da nicht hinkommen, wo es nach unſern Einſichten noͤthig waͤre. Italien iſt nach Addiſons Bericht ſehr ledig, gleichwohl iſt es von beyden bisher nicht frey geweſen. China iſt geſtopft voll, aber man weiß dorten faſt gar nichts von der Peſt, und der Krieg iſt denen Sineſern vor dem letzten Einfall der Tatarn ebenfalls eine undenckliche Sa- che geweſen, und nun haben ſie ſich vor gar keinem Feinde zu fuͤrchten. Dalecarlien, eine Provintz in Schweden iſt ſo angefuͤllet, daß ein Bauer Hof, der ehedem einer Familie angewieſen, jetzt in 60, ja ei- nige in 120. Theile zerriſſen und ſo vielen Familien zugehoͤrig iſt. Der Menſchen ſind allda ſo viel, daß das Erdreich ſie nicht mit Brod ſaͤttigen kan. Die Noth hat ſie gedrungen, die Rinde der Baͤume zu ihrer Nahrung zuzubereiten. Ihr ſogenanntes Borcke- E 4

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Zitationshilfe: Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts aus der Geburt, Tod und Fortpflanzung desselben. Berlin, 1741, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/suessmilch_ordnung_1741/117>, abgerufen am 23.11.2024.